Vielleicht hat sich Xherdan Shaqiri in diesem Sommer an seine Kindheit erinnert. An die Zeit in der Schule, und vor allem: an die Ferien. Die EM mit der Schweiz, sie war für ihn eine wunderbare Abwechslung zum Alltag. Er durfte spielen. Er durfte lachen. Eine Zeit so unbeschwert und schön wie einst als Kind eine Reise ans Meer. Die Seele tankt Energie. Das Leben ist wunderbar.
Doch irgendwann einmal sind die Ferien vorbei. Die Leichtigkeit, sie verflüchtigt sich nur allzu schnell. Die Last der Pflichten ist zurück. Es ist dieses Gefühl, mit dem Shaqiri an diesem Samstag mit Liverpool in Norwich in die neue Premier-League-Saison startet. Nur: Kommt es überhaupt noch dazu?
Drei Jahre lang war Shaqiri einer der «Reds». Drei Jahre voller Hoffnung, sich irgendwie in dieses Star-Ensemble einzunisten. Und das zu tun, was er am liebsten tut: zaubern, auf den grössten Bühnen der Welt.
Natürlich, es gab die grossen Momente, in denen auch er selbst eine Hauptrolle spielte. Nie so sehr wie an jenem 7. Mai 2019. Der Abend, an dem Liverpool im Halbfinal-Rückspiel der Champions League den FC Barcelona 4:0 demütigte. Es war, sechs Tage nach dem 0:3 im Hinspiel, eine der legendärsten Fussballnächte an der Anfield Road. Und er, Shaqiri, mittendrin, 90 Minuten Spielzeit, die geniale Flanke zum zwischenzeitlichen 3:0, so viel Spielfreude, so viel Schalk. Ein paar Wochen später war Liverpool Champions-League-Sieger.
Trotzdem: Aus Xherdan Shaqiri und Liverpool ist nie eine Liebesgeschichte geworden. Irgendetwas kam immer dazwischen. Viel zu häufig waren die Plätze im Starensemble besetzt. Viel zu häufig war Shaqiri wieder verletzt. Viel zu häufig blieb nur die Ernüchterung. 8 Tore und 63 Einsätze mit im Durchschnitt nur 40 Minuten Spielzeit stehen in Shaqiris Bilanz aus drei Jahren bei Liverpool. Das ist nicht viel. Und hat nun beim Spieler selbst und dem Verein zur Einsicht geführt, dass eine Trennung das Beste ist. Liverpool hat Shaqiri erlaubt, sich einen neuen Verein zu suchen.
Eines ist nach dieser EM klar: Xherdan Shaqiri kann noch immer für sehr viele Klubs, auch in grossen Ligen, eine Bereicherung sein. Vor allem dann, wenn er im Spielrhythmus ist. Drei Tore erzielte er an diesem Turnier. Und je länger es dauerte, desto mehr offenbarte er, was in ihm steckt.
Der einstige französische Serienmeister Lyon hat bei Liverpool ein konkretes Angebot hinterlegt. Der offensiv ausgerichtete Fussball von Trainer Peter Bosz würde zu Shaqiri passen. Aber reicht ihm die Ausstrahlung der Ligue 1? Fragzeichen sind angebracht. Interessenten für Shaqiri gibt es einige. Lazio Rom und Neapel aus Italien. Aber auch Sevilla und Villareal aus Spanien werden genannt.
Wohin immer es Shaqiri auch zieht, es könnte die letzte grosse Chance seiner Karriere sein, noch einmal durchzustarten. 30 Jahre alt wird er im Sommer. «Ein schönes Alter! Und wir sind im Geiste ja noch jung», hat er während der EM in einem Interview mit dieser Zeitung gesagt. Es tönte jedenfalls nach ziemlich viel Zuversicht.