Es ist faszinierend, was ein Post in den sozialen Medien alles auslösen kann: Ein Fussballklub eines Dorfes, in welchem rund 4700 Menschen zu Hause sind, hat plötzlich fast hundertmal so viele Abonnenten, wie der kleine Ort Einwohner hat. Es ist natürlich klar, um welchen Verein es geht: den FC Balzers.
Der argentinische Influencer Valentin «El Scarso» Scarsini entschloss sich Ende Dezember, den «Klub mit der kleinsten Fangemeinde der Welt» grosszumachen und forderte seine über 250'000 Follower auf, dem FC Balzers auf der Plattform Instagram zu folgen. So nahm das Ganze seinen Lauf: Mittlerweile hat der kleine Verein aus dem Fürstentum Liechtenstein 426'000 Abonnenten auf Instagram – fast so viele wie der FC Basel und die Young Boys zusammen.
Am Sonntag hat Scarsini die über 10'000 Kilometer lange Reise aus Buenos Aires auf Einladung des FC Balzers auf sich genommen, um seinen neuen Herzensverein zu besuchen. Das Team organisierte am Freitagabend eine Pressekonferenz und ein öffentliches Training, bei welchem auch der Argentinier mittun durfte.
Auf den ersten Blick ist in Balzers wenig vom neuen Hype zu sehen. Auch am Freitag ist die Stimmung in der Liechtensteiner Gemeinde gelassen, aber gut. Im Dorf angekommen, fällt als Erstes auf, dass die Einheimischen sehr freundlich sind. Nahezu keine Person läuft vorbei, ohne «Hoi» zu sagen. Und beim Fotografieren der Burg Gutenberg, der Sehenswürdigkeit von Balzers, klopft es im gegenüberliegenden Gebäude plötzlich an einer Fensterscheibe. Ein älterer Herr steht dort, öffnet das Fenster und erklärt stolz: «Das, was du gerade fotografierst, ist die Burg Gutenberg.» Und wie später ein Bewohner erklärt, herrscht in ganz Liechtenstein die «Du-Kultur».
Auch auf dem Weg zum Sportplatz Rheinau, wo am Freitag eine Pressekonferenz sowie ein öffentliches Training des Teams stattfinden, ist wenig vom neuen Social-Media-Ruhm von Balzers zu spüren. Der Weg zum Platz führt am Dorfplatz vorbei. Ausser einem Marronistand gibt es dort nichts. Und der Verkäufer bekam vom ganzen Hype um den Dorfverein gar nichts mit, wie sich zeigt. «Ich schaue kein Fussball und weiss nichts davon», antwortet er freundlich.
Erst bei der Ankunft beim Sportplatz ist etwas vom neuen Rummel um das Team zu sehen. Mehr als ein Dutzend Medienvertreter versammeln sich in einem Raum des Vereinsheimes. Gleichzeitig spürt man auch hier die familiäre Atmosphäre des Provinzteams. Beim Sportplatz angekommen, erklärt der Vereinspräsident Fredy Scherrer persönlich den Weg zur Pressekonferenz.
Pünktlich um 18 Uhr kommt dann der grosse Star des Abends El Scarso für die Medienkonferenz in den improvisierten Medienraum. Mit dabei ist eine Dolmetscherin: Der Argentinier spricht nur Spanisch. Auch Präsident Scherrer und Marketingleiter Sandro Wolfinger, welcher selbst noch in der ersten Mannschaft spielt, nehmen an der Pressekonferenz teil.
«Willkommen an der ersten Pressekonferenz in der Geschichte des FC Balzers», eröffnet Wolfinger die Medienrunde und erzählt nochmals kurz zusammengefasst die Geschichte, welche Ende Dezember 2024 seit dem Post von Scarsini seinen Lauf nimmt. «Wir merkten schnell, dass es sich um mehr als nur einen Silvester-Gag handelt», erklärt Wolfinger und ergänzt: «Eine Woche nach dem Video starteten wir die Organisation für die Reise von Scarsini und am Sonntagabend kam er bei uns an.»
Auch El Scarso ist die Freude über die neue Bekanntheit des Vereins anzusehen. Während der ganzen Medienkonferenz hat der Influencer stets ein Lächeln auf den Lippen und wirkt sehr glücklich über das Erlebnis. Trotz seiner Social-Media-Karriere ist ein solcher Event für ihn nicht alltäglich: Es ist das erste Mal, dass der junge Argentinier in seinem Leben geflogen ist. Zudem lernt er damit eine neue Kultur kennen. Über die Region und das Land Liechtenstein zeigt er sich begeistert:
Die Idee, einen Fussballklub grosszumachen, sei ihm einfach gekommen, als er gerade nicht wusste, was er für ein Projekt starten sollte, berichtet Scarsini. Zwar habe er mit Unterstützung gerechnet, als er sich für die Idee entschied. Aber dass es gleich solche Ausmasse annimmt, habe ihn völlig überrascht. So sagt er:
Doch warum eigentlich ausgerechnet Balzers? «Ich habe viel Zeit investiert, um den richtigen Verein zu finden. Dabei benutzte ich unter anderem Künstliche Intelligenz – dort wurde mir Balzers vorgeschlagen», so Scarsini. Am Liechtensteiner Verein hätten ihm unter anderem die kleine Tribüne und der Klang des Namens besonders gut gefallen.
Das Lachen bleibt auch beim Sprechen stets auf den Lippen des Influencers, obwohl er ein wenig nervös wirkt. Es ist ihm anzusehen, dass er sich den Medienrummel nicht gewohnt ist: Immer wieder spielt er mit seinem schwarzen Edding herum, mit welchem er sich nach der Pressekonferenz auf der Ehrenwand des FC Balzers verewigen darf. Natürlich ist Scarsini nun auch Ehrenmitglied des FC Balzers.
Auch die Verantwortlichen des Vereins sind sich bewusst, dass der Hype irgendwann abflachen dürfte. Trotzdem möchte Balzers das Beste daraus machen. Marketingleiter Wolfinger ist begeistert über die vielen Trikot-Anfragen aus der ganzen Welt. Allerdings sei es aufgrund vieler Auflagen nicht so einfach, die Trikots in jedes Land zu versenden, erklärt er. «Es wird aber eine passende Lösung gesucht», sagt Wolfinger.
Die neue Berühmtheit ist auch für den Mann, der mit Liechtenstein schon 69 Länderspiele bestritt und unter anderem gegen Cristiano Ronaldo spielte, das Highlight seiner Karriere. «Dieses Mal geht es um uns, gegen Ronaldo war primär er im Mittelpunkt und wir waren die kleinen Gegner», so der 33-Jährige.
Für Präsident Scherrer ist derweil klar, dass sich bei den Prinzipien des Vereines nicht viel ändern wird: «Der FC Balzers bleibt immer ein Dorfverein», stellt er klar. Auch die sportlichen Ziele würden sich bei den Liechtensteinern nicht ändern.
Nach der Pressekonferenz ist es Zeit für das öffentliche Training, bei welchem auch Scarsini seine Schuhe bindet und mit auf den Platz geht. Trotz tiefer Temperaturen und Schneefall sind einige Zuschauer dabei, als die Mannschaft mit El Scarso auf den Platz läuft. Durch die knirschenden Boxen erklingt die Vereinshymne des FC Balzers, die jüngeren Zuschauer sind vor allem von Scarsini begeistert.
Auch für langjährige Fans ist es eine völlig neue Situation, welche sie mit ihrem Verein erleben. «Hoffentlich können wir das gut für den FCB nutzen und auch sportlichen Erfolg haben», erklären zwei Fans, welche seit vielen Jahren an jedes Spiel reisen. Ihr Wunsch ist es, dass der Verein bald wieder aufsteigt: «Dann treffen wir wieder auf Eschen/Mauren, das sind unsere grössten Rivalen», so die beiden Herren.
Der Schneefall auf dem Sportplatz wird derweil immer stärker. Trotzdem trainiert Scarsini voll mit und wird von den Balzers-Spielern immer wieder in Szene gesetzt. Auch der Stadionsprecher macht Stimmung auf dem Sportplatz Rheinau:
Mit dabei ist beim Training auch Mathias Ulrich, Geschäftsführer von Liechtenstein Marketing. Er empfinde den neuen Hype um das Provinzteam als tolle Geschichte, sagt er. Deshalb habe er kurz nach dem Video dem FC Balzers Hilfe angeboten.
Der Verein sei dann auch zwei Tage später auf ihn zugekommen: «Sie sagten mir, dass sie Scarsini gerne einladen würden. Ich fand das natürlich eine grossartige Idee. Doch es war zeittechnisch ein wenig eng, denn die Reise sollte schon am nächsten Tag für Scarsini starten.» Obwohl es der erste Flug für den Argentinier war, sei alles reibungslos vonstattengegangen.
Ulrich hofft, dass durch die ganze Aktion auch der Tourismus profitiert: «Vielleicht reist jemand in ein paar Monaten durch Europa und denkt dann auch an den FC Balzers oder Liechtenstein.»
Für Scarsini wurde deshalb ein volles Programm im und ums Fürstentum geboten. So besuchte der Argentinier am Dienstag unter anderem ein Eishockeyspiel in Davos und lernte das ganze Land kennen.
Am Samstagabend reist Scarsini zurück in seine Heimat. Wie es zwischen ihm und dem FC Balzers weitergeht, ist noch unklar. «Es fühlt sich an, als würde dieses Projekt schon über Monate laufen, doch es sind erst wenige Tage. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt», sagte Scarsini. Auch ein Trainingslager oder Testspiel wurden nicht ausgeschlossen.
Auf dem Platz dauert es derweil noch einige Wochen, bis der FC Balzers sein erstes Spiel mit massiv grösserer Fangemeinde bestreitet. Am 15. März ist der FC Gossau zu Gast. Aktuell ist Balzers in der 2. Liga interregional Sechster und liegt elf Punkte hinter Leader Widnau. Nur das beste Team der Liga schafft am Ende der Saison den Aufstieg.
Und im Herbst jammern von wegen überlaufen?