Für Harry Kane war es ein wunderbarer Mittwoch-Abend. Im EM-Halbfinale zwischen England und Dänemark traf der Stürmer in der Verlängerung zum 2:1. Knapp 15 Minuten später war klar, dass er sein Land mit diesem Tor erstmals ins Finale einer Europameisterschaft geschossen hatte.
Er selbst sagte danach: «Unglaublich, wir bestreiten ein Endspiel, und das auch noch zu Hause. Was für ein Gefühl.» Weiter fügte er an: «Wir geniessen das heute, aber der Fokus liegt jetzt auf Sonntag.» Und da soll der Titel im Finale gegen Italien her.
Es wäre – man mag es kaum glauben – der erste Titel, den Kane mit einer Mannschaft im Profi-Fussball gewinnt. Er ist ein Ausnahme-Stürmer, aber mit der grossen Titel-Jagd wurde es noch nichts. Dabei biegt er mit 27 Jahren schon auf den Weg zur zweiten Hälfte seiner Karriere ein.
An ihm selbst liegt es definitiv nicht. Seine persönlichen Statistiken sind unfassbar gut. Dreimal wurde Kane Torschützenkönig in der englischen Premier League, zuletzt in der abgelaufenen Saison. In den vergangenen sieben Spielzeiten traf er im Durchschnitt 23-mal. Hält er diesen Schnitt, ist er in vier Jahren Rekord-Torschütze der englischen Liga und löst Alan Shearer (260 Treffer) ab – mit dann 31 Jahren.
Dabei sagte schon sein ehemaliger Trainer Mauricio Pochettino, dass das Geheimnis die grosse Disziplin ist. Pochettino: «Er ist sehr fokussiert im Training und achtet auch ausserhalb des Platzes sehr auf sich.» 2017 stellte Kane beispielsweise seine Ernährung um, engagierte privat einen eigenen Koch. Er erklärte damals: «Ich habe einen neuen Koch, mit dem ich an meiner Ernährung arbeite und der mir hilft, schlanker und schneller zu werden. Das scheint zu funktionieren.»
Und auch für die abgelaufene Saison hat Kane etwas verändert. Inspiriert von der Dokumentation «The Last Dance» über die Karriere von Michael Jordan erzählte er England-Legende Gary Neville in einem Interview: «Ich habe die Michael-Jordan-Dokumentation geschaut und gesehen, wie er sein Spiel verändert hat in seiner Karriere, und sowohl im Angriff als auch der Verteidigung besser wurde. Er wollte alles für das Team machen und ich bin in die Saison gegangen und wollte mich auch so verbessern.»
Die Folge: Gerade als Jose Mourinho noch Trainer war, hatte Kane mehr Freiheiten, liess sich auch fallen und kurbelte das Spiel an. Er war oft nicht mehr nur der Stürmer, der einen Angriff abschloss, sondern initiierte ihn auch. Neben seinen 23 Toren gab Kane letzte Saison auch 14 Vorlagen – niemand kam sonst auf so viele.
Auch in der Nationalelf ist Kane auf Erfolgs-Kurs. Wenn er fit bleibt, wird er Wayne Rooney ablösen und bester Stürmer Englands werden. Kane fehlen dafür noch 18 Treffer. Bloss die Trophäen blieben bis jetzt aus. Deshalb liebäugelt der Rechtsfüsser mit einem Wechsel zu Manchester City. Dort hätte Kane mit Erfolgstrainer Pep Guardiola quasi eine Titel-Garantie. Drei der letzten vier Meisterschaften gingen nach Manchester, dazu holten die Citizen in den vergangenen vier Jahren immer den Ligapokal und gewannen einmal den FA-Cup.
Und Kane selbst sagte im Mai in einem Interview, dass es ein Traum für jeden Stürmer ist, mit Manchester-City-Star Kevin de Bruyne zu spielen: «De Bruyne ist ein sehr besonderer Spieler und einige seiner Hereingaben für City sind einfach der Traum eines Stürmers.»
Das grosse Problem: Kane hat noch drei Jahre Vertrag bei Tottenham und auch die Fussball-Welt ist von der Corona-Pandemie noch stark gebeutelt. Der neue Spurs-Sportdirektor Fabio Paratici erklärte bei «Sky Italia»: «Es ist mein grosses Ziel und auch das des Klubs, dass wir ihn hier behalten. Er ist gerade einer der besten Stürmer der Welt. Kane ist ein kompletter Spieler und sehr besonders. Er ist ein richtiger Stürmer, aber hat auch eine unglaublich gute Technik.»
Angeblich soll City schon ein Angebot von 117 Mio. Euro abgegeben haben, Tottenham fordere aber 160 Mio. Euro. Ein Pokerspiel, das sich noch über den gesamten Sommer ziehen kann und bei dem letztlich auch entschieden werden könnte, ob und wann Kane seine ersten Titel mit einem Klub gewinnt.
Mit der Nationalmannschaft könnte es schon am Sonntag sein. Im EM-Finale. Es wäre der erste Titel in der Profi-Karriere von Kane – einem der wohl besten Stürmer seiner Zeit.