Das Spiel England – Schweiz am Samstag in Düsseldorf war über weite Strecken nicht sehr unterhaltsam. Bis zum ersten Schuss – von Breel Embolo – strichen 51 Minuten ins Land. Die Nati schien danach den Sieg in den eigenen Füssen zu haben, doch eine gewisse abwartende Haltung führte dazu, dass das Penaltyschiessen entscheiden musste. Dass Murat Yakin lieber Vorsicht walten liess, zeigte auch die Einwechslung von Denis Zakaria.
Doch auch in diesem Spiel konnte man nicht über gewisse Abnützungserscheinungen der Spieler hinwegtäuschen. Nach dem Spiel wurde auch bekannt, dass Granit Xhaka verletzt gespielt hatte. Dass er sich verletzt hat, ist eigentlich keine Überraschung, denn der Schweizer gehörte in der vergangenen Saison zu den 17 Feldspielern, die in ihren Klubs am meisten eingesetzt wurden. Vor dem Spiel gegen Ungarn hatte er laut Transfermarkt.ch bereits 4441 Spielminuten in den Beinen.
Auch Manuel Akanji hat mit Manchester City eine lange Saison in den Beinen. Er hatte bereits bei früheren Nati-Zusammenzügen über seine Müdigkeit gesprochen, etwa nach dem Spiel gegen Portugal bei der WM 2022 oder nach dem Spiel in Andorra im Juni 2023. Britische Medien berichteten im vergangenen April, er habe gegen Real Madrid um eine Auswechslung gebeten, weil er beim hohen Tempo körperlich nicht mehr mithalten konnte. Akanji spielte ein gutes Turnier. Es drängt sich trotzdem die Frage auf, ob er nach weiteren 120 Minuten nicht einfach zu erschöpft war, als er gegen Jordan Pickford antrat.
Obschon auch viele Schweizer viele Einsatzminuten auf Vereinsebene hinter sich hatten – bei den Engländern waren es wesentlich mehr. Ezri Konza, Declan Rice, Phil Foden und Ollie Watkins gehören alle zu den Top 12 der am häufigsten eingesetzten Spieler dieser Saison. Die Three Lions haben zudem 12 der 100 Spieler, die in der Saison 2023/24 am meisten gespielt haben, in ihrem Kader. Das ist weit mehr als jede andere Nation. Die meisten Spieler von Gareth Southgate spielen in der Premier League, der körperlich anspruchsvollsten Liga, in der es zudem keine Winterpause gibt. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals gibt es neben dem FA Cup zudem noch einen zweiten Ligapokal.
Die Theorie, dass die englischen Spieler erschöpft sind, ist nicht neu. Jedes Mal, wenn England ausscheidet, rückt sie wieder in den Vordergrund. Sie dient auch als Erklärung für die schwachen Leistungen an der diesjährigen Europameisterschaft.
Auch Portugal konnte spielerisch an dieser EM nicht glänzen, obschon bei den Südeuropäern Spieler auf der Bank sassen, die so manch andere Nation vor Neid erblassen lassen. Zählt man die gespielten Minuten vor Turnierbeginn zusammen, wird deutlich: Das portugiesische Kader stand in dieser Saison am meisten auf dem Platz. Laut ESPN spielten die Portugiesen 92'322 Minuten in 1216 Spielen – und liegen damit knapp vor England. Bruno Fernandes von Manchester United spielte eine hervorragende Saison, in Deutschland konnte er aber nicht überzeugen. Auch Berardo Silva von Manchester City wird in den portugiesischen Medien kritisiert.
Rafael Leão spielt zwar nicht in England, war aber mit 47 Einsätzen in offiziellen Spielen in der Saison 2023/24 das Herzstück des AC Mailand. Trat er in der ersten Halbzeit gegen Frankreich auf der linken Seite noch überzeugend auf, schien er in der zweiten Halbzeit überfordert.
Auch die französische Nationalmannschaft fällt mit «Minimalisten-Fussball» auf. Seit Beginn der Europameisterschaft hat das Team nur drei Tore erzielt, zwei Eigentore und einen Penalty. Antoine Griezmann, der zu den Spielern mit den meisten Einsatzminuten gehört, scheint ausgepumpt. Eduardo Camavinga erlitt im Mai dieses Jahres einen Ermüdungsbruch. Trotz seiner Schnelligkeit hatte Marcus Thuram Mühe, mit dem 41-jährigen Pepe mitzuhalten. Er verpasste in dieser Saison bei Inter Mailand nur drei Spiele.
Kylian Mbappé seinerseits bat gegen Portugal um eine Auswechslung, weil er müde war. Der Pariser versuchte seine schlechte Form mit seiner gebrochenen Nase, der politischen Situation in Frankreich oder sogar seinem Konflikt mit Paris Saint-Germain zu erklären. Obschon er dieses Jahr auf Vereinsebene deutlich weniger gespielt hat, ist er einer der am häufigsten eingesetzten französischen Spieler.
Auch der in diesem Jahr hochgelobte Deutsche Ilkay Gündogan kam an der EM nicht auf Touren. Er kam gegen Dänemark auf gerade mal 25 Ballberührungen, bei Tony Kroos waren es über 100. Gündogan war am Freitag im Viertelfinale gegen Spanien quasi unsichtbar und wurde in der 57. Minute ausgewechselt. Er hatte vor seinem Match seine körperliche Erschöpfung thematisiert.
Angesichts dieser Zustände werden nun Stimmen laut, die sich gegen Verlängerungen aussprechen. «Man muss sich schon fragen. Sie haben unglaubliche Saisons hinter sich», sagte Gary Lineker auf BBC. Er wünsche sich für die EM und die Weltmeisterschaft einen Modus à la Copa America: Steht es nach 90 Minuten unentschieden, muss ein Elfmeterschiessen entscheiden. «Wir verlangen viel von den Spielern. Deshalb sehen wir bei diesem Turnier auch so viele müde Fussballer», meinte Lineker.
Sein Gegenüber Rio Ferdinand ist derselben Meinung: «Irgendwann wird es zu viel. Wenn wir mehr Wettbewerbe und mehr Spiele veranstalten, können die Spieler nicht mehr mithalten. Das ist nicht fair. Da müssen wir eine Lösung finden.» Ferdinand war vor nicht allzu langer Zeit selbst Profifussballer und erlebte auch lange Saisons. Der Unterschied zu seiner Ära liegt nicht so sehr in der Anzahl der gespielten Spiele – obschon heute häufiger gespielt wird –, sondern vielmehr in der physischen Intensität der Partien.
So hallen auch die Worte von Uruguays Trainer Marcelo Bielsa nach dem Sieg seines Teams gegen Brasilien am vergangenen Wochenende nach. El Loco, der mit seinem Team im Penaltyschiessen gewann, sieht in den wenig attraktiven, sehr taktisch geprägten Spielen nichts weniger als den Niedergang des Fussballs: «Immer mehr Leute schauen Fussball, aber er wird immer unattraktiver», sagte er. Laut Bielsa werde sich diese Tatsache früher oder später auf das Fussballbusiness auswirken – dasselbe Business, das dafür verantwortlich wird, dass immer mehr Spiele angesetzt werden.
Die Akteure der NBA, NHL, Moto GP, Formel 1, usw. gehen alle auf dem Zahnfleisch und als Zuschauer verspüre ich ebenfalls eine Übersättigung des Angebots, ohne das die Qualität besser wird.