Absicht oder keine Absicht? Natürliche oder unnatürliche Bewegung? Angelegter Arm oder nicht? Klarer Fehlentscheid oder nicht? Penalty oder kein Penalty? Rund fünf Jahre nach der Einführung des Video Assistant Referees (VAR) und laufenden Regelanpassungen sind die Fragen noch die gleichen wie davor.
Eine einheitliche Linie gibt es unter den Schiedsrichtern nach wie vor nicht, insbesondere nicht bei der Auslegung von strafbaren Handspielen im Strafraum.
Zugegeben, einen einfachen Job haben die Unparteiischen nicht. Vieles spielt sich im Graubereich ab. Die wenigsten Akteure würden es begrüssen, gälte schlicht «Berührung ist Berührung», «Hand ist Hand». Und viele verfolgen das Geschehen durch eine gefärbte Vereinsbrille.
Aber warum gelingt es den Schiedsrichtern nicht, sich auf eine Stossrichtung zu einigen? Teils werden Entscheide bei der Video-Konsultation von Grund auf neu bewertet und führen entsprechend auch leichte Handberührungen nachträglich zu Penaltys. Andere Male halten die Refs an der Idee fest, dass es sich um klare Fehler handeln muss, um Entscheide umzustossen.
In der deutschen Bundesliga ist nach wochenlanger Polemik um zu strenge Handspenaltys nach VAR-Konsultation die Tendenz zu mehr Kulanz und Vertrauen in den Tatsachen-Entscheid erkennbar. Und in der Super League? Hier verhilft ein scharfer Schuss an den angelegten angewinkelten Arm von Mickaël Facchinetti dem FC St.Gallen in der Nachspielzeit zum 1:1-Ausgleich in Lugano und sorgt dafür, dass die Traumtore von Cedric Zesiger in Bern und Sofyan Chader in Winterthur in der Nachbetrachtung übertönt werden.
Ob richtig oder falsch, lässt sich kaum mehr sachlich beurteilen. «Kann man, muss man nicht» heisst es oft. Das wäre eigentlich die Ausgangslage, um am Tatsachen-Entscheid festzuhalten. Doch häufig wird man vom Gegenteil überrascht.
In Lugano ergab sich in der Nachspielzeit die Situation, dass nach dem zuerst nicht geahndeten möglichen Hands das 2:0 der Tessiner fiel. Nach Videokonsultation gab es Penalty für St.Gallen, Luganos Tor wurde zurückgenommen.
So weit, so gut, würde es sich um ein eindeutiges Handspiel handeln. Der neutrale «Blue»-Experte Philippe Montandon schätzte die Situation so ein: «Das Hands ist klar ersichtlich. Aber ob es eine unnatürliche Bewegung war? Das ist Interpretationssache. Entsprechend kann man den Penalty-Entscheid vertreten.» Die Frage, die sich hierzu aufdrängt: Kann man den ursprünglichen Entscheid auf keinen Penalty umstossen, wenn es Interpretationsspielraum gibt?
Luganos 1:0-Torschütze Renato Steffen hatte naturgemäss eine andere Sicht auf die Dinge: «Wo soll er mit den Händen hin? Er hat sie vor dem Körper, nicht abgespreizt. Gegen die Grasshoppers hatten wir am letzten Wochenende eine ähnliche Situation, bekamen aber keinen Penalty. Es ist eine Endlos-Diskussion, das ist ärgerlich.»
St.Gallens Captain Lukas Görtler freute sich zwar über den späten Punktgewinn, räumte aber ein, kein Freund der aktuellen Auslegung zu sein: «Heute kam es uns entgegen, okay. Es sah für mich auch in Echtzeit wie ein Handspiel und keine natürliche Bewegung aus. Trotzdem bin ich kein Fan von dieser Handhabung mit dem VAR. Ich bin dafür, dass wir ihn weniger benutzen. Was wir in dieser Saison in der Super League für Handspenaltys gesehen haben, ist der Wahnsinn. Ich finde, das musst du auf dem Platz erkennen. Erkennst du es nicht, lautet die Frage: Ist es ein klarer Fehlentscheid?»
Drei nachvollziehbare Meinungen, keine Klarheit. Eine gute Lösung? Nicht in Sicht. (ram/sda)
und nein, ich sehe dies nicht mit einer Vereinsbrille, da ich weder St. Gallen noch Lugano Fan bin.