Beim letzten Auswärtsspiel in Lugano fehlte er einmal mehr, selbst für den Trainer überraschend. Mario Balotelli meldete sich mit Schmerzen an den Adduktoren kurzfristig ab, obwohl er noch das Abschlusstraining absolvierte hatte. Übers Wochenende fand sich kurzfristig kein Arzt, der eine Diagnose hätte stellen können.
In dieser Woche herrscht etwas mehr Klarheit beim italienischen Altstar: Seine Verletzung an den Adduktoren soll nicht gravierend sein, trotzdem fällt er für das heutige Heimspiel gegen den FC Basel erneut aus. Anschliessend soll von Tag zu Tag neu beurteilt werden, ob Balotelli in absehbarer Zeit beim FC Sion wieder eingesetzt werden kann oder nicht.
Einblicke in seine Gefühlswelt gibt Balotelli keine, seit seiner Ankunft im Wallis im vergangenen August hat er erst ein Interview gegeben. Nun war er bei seinem Freund, dem italienischen Musiker Fedez, in dessen Podcast «Muschio Selvaggio» zu Gast, und hat sich dabei einsichtig und angriffig gezeigt.
Er habe in seiner Karriere bisher doch einige Fehler gemacht, «ich habe zu oft nur 20 Prozent meines Potenzials ausgeschöpft». Dies habe ihm auch sein früherer Agent, der verstorbene Mino Raiola immer wieder klargemacht. «Er sagte mir immer dasselbe: Wenn Messi und Ronaldo so viele Ballon d'Ors gewinnen, dann ist das deine Schuld.»
11,2 Millionen Follower hat Balotelli auf Instagram, einsame Spitze aller Spieler in der Super League. Auch betreffend Lohn (man spricht von 1,5 Millionen Franken plus Prämien) ist er die Nummer 1 im Schweizer Fussball. Balotelli spricht im Podcast von einer schwierigen Jugend und davon, dass er seine zehnjährige Tochter und seinen fünfjährigen Sohn zu wenig sieht: «Das Schwierige ist, dass ich sie nicht immer bei mir habe. Das stimmt mich ab und zu traurig. Aber inzwischen habe ich mich auch etwas daran gewöhnt», so der Italiener.
Im Podcast spricht Balotelli auch über seine Ambitionen – und überrascht dabei. Denn der 32-Jährige sagt: «Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, noch einmal für die Nationalmannschaft von Italien zu spielen.»
Das letzte seiner 36 Länderspiele absolvierte der Stürmer 2018. «Ich habe immer noch das Gefühl», so Balotelli, «dass ich der Nationalmannschaft würdig bin.»
Dafür müssten indes seine Leistungen beim FC Sion wohl auffälliger werden. Bisher erzielte Balotelli für den Walliser Verein, bei dem er Captain ist, zwar 6 Tore in 16 Spielen, doch wirkte er dabei nicht unbedingt lauffreudig oder fit.
Auch legt er sich verbal immer wieder mit Gegenspielern und Schiedsrichtern an, was ihm allein in dieser Saison bisher acht Verwarnungen eingebracht hat. Zudem wurde er schon zweimal durch das Verbandsgericht gesperrt.
Ans Aufhören denkt er nicht: «Ich kann noch mindestens vier Jahre auf gutem Niveau spielen», meint er. Ob er das bei Sion tun wird? Zumindest läuft sein Vertrag bei den Sittenern auch noch für die nächste Saison.
Doch will Balotelli das auch? Sion spielt aktuell gegen den Abstieg, steht auf dem zweitletzten Rang in der Super League. «Wir haben anhand unserer Möglichkeiten noch Luft nach oben», sagt Trainer David Bettoni überzeugt und fügt an: «Ich bin Realist und kein Träumer. Es geht nur darum, dass wir ein Team in der Tabelle hinter uns lassen.»
Bettoni ist der zweite prominente Name in Sion. Wobei eher der Umstand, dass der 51-jährige Franzose jahrelang Assistent Zinédine Zidanes war, ihn berühmt macht. Weniger die Karriere, die Bettoni bislang als Coach absolviert hat. Denn das Engagement beim FC Sion ist Bettonis Feuertaufe als Cheftrainer.
Ausgerechnet beim Walliser Klub, dessen Trainerverschleiss des Präsidenten weitherum bekannt ist. Bettoni erlebte nach dem «Betonmischer» Tramezzani und dem euphorischen Offensivverfechter Celestini einen schwierigen Einstand, doch er hat nun das mit Problemen behaftete Team durchaus stabilisiert.
Wäre die Nachspielzeit in Lugano nicht derart fatal ausgefallen (Sion kassierte in den Minuten 91 und 95 die Tore zur 0:2-Niederlage, Anm. d. Red.), stünde Bettonis Zwischenbilanz besser da. Immerhin hat er aus seinen sechs Spielen sieben Punkte geholt. Das scheint gut, ist aber nicht gut genug, um sich aller Abstiegssorgen zu befreien.
Bettoni philosophiert gerne, doch er macht dies mit einer gewissen verbalen Nüchternheit und ist keineswegs realitätsfremd: «Unsere Situation ist nach dem Lugano-Spiel weiterhin kritisch und schwierig, dessen müssen wir uns bewusst sein.»
Was er nicht sagt und trotzdem weiss: Die kommenden drei Spiele innert zehn Tagen, sie dürften auch seine Zukunft im «Tourbillon» beeinflussen. Erst gegen den FC Basel, der nach der Niederlage gegen Luzern zwingend einen Sieg braucht, und dann die Direktbegegnungen in den hinteren Tabellengefilden beim FC Zürich und gegen Winterthur.
Entweder verabschiedet sich Sion aus den Zitterspielen gegen den Barrageplatz, oder es bleibt bis zuletzt eng. Auch für Bettoni. Und womöglich auch für Balotelli.