Hat Alex Frei als Trainer in der Schweiz überhaupt eine faire Chance? Natürlich hat er diese, sagen die einen und verweisen darauf, dass er allein wegen seiner Verdienste einen Bonus auf Lebzeiten hat oder zumindest so lange, wie er die Nati-Torschützenliste anführt – was vielleicht auf dasselbe hinausläuft. Nein, sagen die anderen und verweisen auf den Promi-Malus, der in der Schweiz besonders stark ausgeprägt sein soll.
Derzeit ist Frei beim FC Aarau engagiert. Und weil er zuvor auch in Wil, Winterthur und Basel auf Profi-Niveau gearbeitet hat, kann zumindest von fehlenden Opportunitäten nicht die Rede sein. Aber waren es tatsächlich echte Chancen, sich als Trainer zu beweisen? Oder anders gefragt: Hat man bei den jeweiligen Klubs wirklich alles dafür unternommen, um dem Trainer Frei die bestmöglichen Voraussetzungen zu bieten?
Oder hat man sich einfach auch ein Stück weit darauf verlassen, dass dieser selbstbewusst und unerschütterlich wirkende Mensch alle Unebenheiten in seinem Berufsleben so schadlos schluckt wie ein Pickup?
Vom FC Wil hat er sich mehr oder weniger in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. In Winterthur ist er nach dem Aufstieg in die Super League den Verlockungen aus Basel erlegen. In Basel wurde er nach acht Monaten entlassen. Und in Aarau, so hört man, kommen nach der gleichen Zeitspanne erste leise Zweifel auf, ob er der richtige Trainer am richtigen Ort ist.
22 Punkte hinter Leader Sion und 17 Punkte Rückstand auf den Barrageplatz (Thun): Auch wenn man in Aarau vor der Saison nicht den Aufstieg als Zielvorgabe definierte, ist der Abstand auf die ersten beiden Plätze doch etwas ernüchternd. Und wenn einzelne Exponenten des FCA urteilen, dass das zweitplatzierte Thun nicht wesentlich besser besetzt sei als Aarau, kann man das auch als versteckte Kritik an Alex Frei auffassen.
Ja, es wird viel getuschelt rund ums Aarauer Brügglifeld. Beispielsweise, dass Frei kaum in die Kaderplanung eingebunden ist für nächste Saison, obwohl er einen Vertrag bis 2025 unterschrieben hat. Oder dass sich der Sportchef Elsad Zverotic mit möglichen Nachfolgern von Frei bereits getroffen haben soll – beispielsweise Michel Renggli, derzeit U21-Trainer beim FC Luzern.
Alex Frei will sich zu alldem nicht äussern. Aber klar ist auch, dass ihn die Situation nicht kalt lässt, ihn sehr wahrscheinlich stärker beschäftigt und belastet. Weshalb man sich beim FC Aarau auch fragen muss, ob zwischen Freis Stinkefinger nach dem Derbysieg gegen Baden, seinem impulsiven Verhalten an der Linie in Schaffhausen, das ihm eine Sperre eingebracht hat und den ersten subtilen Signalen, die auf eine Trennung hindeuten, ein Zusammenhang besteht.
Es geht hierbei nicht darum, aus dem Täter ein Opfer zu machen. Frei weiss selbst, dass der Stinkefinger nicht geht. Aber er fragt sich nicht zu Unrecht, ob bei ihm stets der gleiche Massstab angewendet wird wie bei anderen, weniger prominenten Berufskollegen. Oder: Wie gross ist die Verlockung des kleinen Mannes, dem grossen Alex Frei mal ein Bein zu stellen? Die Disziplinarkommission der Swiss Football League hat jedenfalls ein Verfahren gegen den 44-Jährigen eröffnet, weil er nach dem 1:1 in Schaffhausen ohne anzuklopfen die Schiedsrichterkabine betrat.
Das Leben unter dem Brennglas kennt er wie kaum ein anderer. Entsprechend hat Frei gelernt, damit umzugehen. Aber fühlt er sich ungerecht behandelt, kann er sich schon mal in einen Vulkan verwandeln. Warum verjährt die Spuckattacke auch 20 Jahre später nicht? Warum verhallen die Pfiffe des Nati-Publikums von vor über 14 Jahren nicht? Warum werde ich noch immer auf den verbissenen Ehrgeizling reduziert? Warum wird eine grosse Sache daraus gemacht, wenn ich nach dem Spiel in Schaffhausen mit dem Schiedsrichter diskutieren will?
Ja, warum haben wir Mühe im Umgang mit Legenden respektive sie mit uns? Kürzlich erschien bei ORF eine Dokumentation über Toni Polster. Die Parallelen zu Frei liegen auf der Hand. Beide Stürmer, beide Rekordtorschützen, beide verschmäht und verehrt, beide mit Problemen in der Karriere nach der Karriere. Und beide spüren nicht wirklich die Wertschätzung, die sie ihrer Meinung nach verdienen.
Der 60-jährige Polster trainiert nun schon viele Jahre den Wiener Amateurklub SC Viktoria. Wie er im Dokfilm über sein Engagement spricht, kommen seine Begeisterung und sein Enthusiasmus zum Ausdruck. Gleichwohl drückt sein Unverständnis darüber durch, dass er als Manager oder Trainer auf den grossen Bühnen seit über zehn Jahren nicht mehr gefragt ist.
So weit ist es bei Frei nicht. Und es geht jetzt auch nicht um Artenschutz für Legenden. Aber Fussball mit Frei ist spannender als Fussball ohne Frei. Nur: Was passiert, wenn das mit dem FC Aarau nicht hinhaut, wenn er für seinen Besuch in der Schiri-Kabine zusätzlich bestraft wird?
Stellt er sich dann die Sinnfrage? Wofür mache ich das? Wofür verzichte ich auf Frühlings- Sommer- und Herbstferien mit meiner Familie? Wofür lasse ich mich von Fans beleidigen? Ja, wofür all das? Nicht des Geldes wegen. Nein, weil er den Fussball liebt, diesem Spiel verfallen ist. Aber auch, weil er sich beweisen will. Nur hat all die Liebe und Getriebenheit Grenzen. Und Frei, so ist zu befürchten, sieht bereits diesen Grenzbaum vor sich.
Meiner Meinung nach, ist er an seinem Image selbst schuld und sollte sich hinterfragen, ob er die richtigen Entscheidungen als Trainer getroffen hat. Ähnlich wie Bruno Berner bei GC zurzeit.
Die grossen Clubs locken halt...
Aber all diese Dinge kann man sich auch aneignen, erarbeiten und aufbauen. Und dann als Trainer dort hinkommen, wo man gerne hin möchte. Verdient, mit Nachhaltigkeit und wohl auch mit weniger Kritik und meh Wertschätzung. Aber dafür hätte man wohl in Winterthur bleiben müssen, um im Job noch zu reifen/lernen/entwickeln. Schon gleich schnell den nächsten Schritt zu machen, war wohl seine Entscheidung. Daran wird er gemessen...