Die Nachricht von Karim Benzemas Verletzung am späten Samstagabend kam einer Hiobsbotschaft gleich. Der Weltfussballer und Star-Stürmer der französischen Nationalmannschaft wird die gesamte Weltmeisterschaft verpassen.
Zuvor mussten sich bereits Benzema-Ersatzmann Christopher Nkunku, das Mittelfeld-Duo Paul Pogba und N'Golo Kanté sowie Verteidiger Presnel Kimpembe verletzungsbedingt abmelden. Als das Verletzungspech dann im ersten WM-Spiel gegen Australien nach 12 Minuten gleich wieder zuschlug und Lucas Hérnandez (Kreuzbandriss) verletzt ausgewechselt werden musste, waren die Sorgen gross.
Frankreich schien fast schon verflucht – zumal Australien zu diesem Zeitpunkt 1:0 führte. Doch während die französische Defensive und teilweise auch das Mittelfeld beim Gegentor und auch einigen weiteren Szenen mit Unsicherheiten oder Fehlern auffielen, präsentierte sich der Sturm auch ohne Benzema sehr torgefährlich. Und das lag nicht nur an Superstar Kylian Mbappé, der beim 4:1-Sieg an drei Toren beteiligt war (ein Treffer, zwei Assists).
Nein, Olivier Giroud glänzte mit zwei Toren und einer auch sonst starken Leistung ebenfalls. Mit seinen nun 51 Treffern im Nationaltrikot zog der 36-jährige Mittelstürmer mit Thierry Henry gleich. «Ich bin stolz darauf, mit ‹Titi› gleichzuziehen», schrieb er danach bei Instagram. Doch nicht alle französischen Fans freuen sich darüber, dass Giroud wohl bald alleiniger Rekordtorschütze der «Équipe Tricolore» ist und Henry damit ablöst. Denn Giroud war in Frankreich nicht immer beliebt. So wurde er vor der EM 2016 im eigenen Land ausgebuht.
Bei der WM 2018 traf er kein einziges Mal, obwohl er ab dem zweiten Gruppenspiel bis zum Final immer von Beginn an spielte. Und er trug sich nicht nur nicht in die Torschützenliste ein, sondern schoss nicht ein einziges Mal aufs Tor. Auch deshalb wurde Giroud immer wieder belächelt und dies brachte ihm Häme ein, obwohl Frankreich in Russland Weltmeister wurde.
Dabei wird ihm der Ruf des einseitigen Stossstürmers nicht gerecht. So sagte Didier Deschamps bei der WM vor vier Jahren gegenüber The Guardian: «Er hat noch nicht getroffen, aber er ist sehr wichtig für unser Team und unseren Spielstil.»
Giroud habe vielleicht nicht den extravaganten Stil anderer Angreifer, aber das Team brauche ihn in jeder Partie. «Er macht viel für das Spiel und seine Mitspieler profitieren von seiner Präsenz, weil er einige Verteidiger bindet.» Nun setzt der 54-Jährige in Benzemas Abwesenheit wieder auf den grossgewachsenen und dennoch technisch versierten Stürmer. Deschamps verzichtete gar auf eine Nachnominierung, weil er grosses Vertrauen in sein nun 25-Mann-starkes Kader habe.
Und Giroud zahlt das Vertrauen zurück, indem er trifft. Wie er das schon lange tut. Erstmals in Erscheinung trat Giroud bei HSC Montpellier, wo er in der Saison 2010/11 in der Ligue 1 debütierte. Im Folgejahr schoss er die Südfranzosen mit 21 Toren und 12 Assists zum französischen Meistertitel, dem grössten Erfolg der Vereinsgeschichte. Und auch nach seinem Wechsel in die Premier League zu Arsenal traf der Mittelstürmer regelmässig zweistellig und holte dreimal den FA Cup. Auch am Europa-League-Triumph des FC Chelsea, wohin er im Januar 2018 wechselte, hatte er als Torschützenkönig mit elf Treffern entscheidenden Anteil.
Jedoch liess seine Torquote in der Liga immer mehr zu wünschen übrig – und trotzdem war er immer wieder für ein Traumtor gut. Sein Skorpion-Treffer aus dem Januar 2017 wurde zum Tor des Jahres gewählt und im Champions-League-Achtelfinal der Saison 2020/21 erzielte er den einzigen Treffer beim Sieg gegen Atlético Madrid per Fallrückzieher. Gegen Australien hätte er dieses Kunststück am Dienstagabend beinahe wiederholt.
Giroud blüht im für einen Fussballer hohen Alter von 36 Jahren noch einmal auf. «Ich weiss nicht, ob ich in meiner besten Form bin, aber es stimmt, dass ich mich gut fühle», sagte der 114-fache Nationalspieler bei France24. Mit der AC Milan holte er in der letzten Saison den Meistertitel, er schoss dabei elf Tore in 29 Spielen. Nun bewies er seine Form auch im Nationalteam. Bald dürfte er Henry überflügeln – und wenn Olivier Giroud Frankreich zur Titelverteidigung schiesst, dürften auch die letzten kritischen Stimmen verstummen.