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Transfers von Minderjährigen – «Kinderhandel» oder normales Business?

Die Bayern wollen in Zukunft mehr in den eigenen Nachwuchs investieren.
Die Bayern wollen in Zukunft mehr in den eigenen Nachwuchs investieren.bild: imago-images.de

Transfers von Minderjährigen in der Bundesliga – «Kinderhandel» oder normales Business?

28.03.2022, 20:03
Lukas Grybowski, Nikolai Stübner / watson.de
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Gladbach-Sportchef Roland Virkus machte ganz deutlich, was er von der aktuellen Situation hält. «Solche Deals sind dem deutschen Nachwuchsfussball alles andere als dienlich. Ich finde das geschmacklos», sagte der 55-jährige Deutsche der «Rheinischen Post». Grund dafür ist der Wechsel des 13-jährigen Nachwuchstalents Mike Wisdom, der nach «Sky»-Informationen für 300'000 Euro im Sommer nach München wechseln soll.

Bereits vor einigen Wochen soll bei den Münchnern intern ein Beschluss gefasst worden sein, vermehrt auf junge Spieler zu setzen, die nach fünf bis sechs Jahren im Verein gewinnbringend weiterverkauft werden können. Eine Strategie, die im Fussballgeschäft bei zahlreichen Bundesligisten angewendet wird.

«Und wenn alles klappt, dann verdient er in wenigen Jahren so viel Geld, dass er das in einem Leben gar nicht mehr ausgeben kann.»
Sportökonom Rainer Frick zum Transfer des 13-jährigen Mike Wisdom

Dass die Bayern nun aber ausgerechnet für einen 13-Jährigen so viel Geld ausgeben, ist genau deshalb gar nicht so überraschend und für die Münchner ein kalkuliertes Risiko, erklärt Sportökonom Peter Frick von der Universität Paderborn im Gespräch mit watson.

Gladbach erhält 20'000 Euro, die Familie den Rest

Aus einer ethisch-moralischen Perspektive sei der Wechsel sicherlich bedenklich, «da es Kinderhandel ist». Doch «aus einer nüchternen ökonomischen Perspektive macht dieser Wechsel sehr viel Sinn», erklärt Frick. Die Transferkosten in Höhe von 300'000 Euro, plus eine Wohnung für die Familie und eventuell einen Job für den Vater seien eine «risikolose Anlage».

«Wenn sich der Junge nicht als der Knaller entpuppt, dann hat der Klub nicht sonderlich viel Geld verloren. Es ist wichtig, diese beiden Ebenen voneinander zu trennen und die Frage mit der nötigen emotionalen Distanz zu betrachten», sagt Frick.

Nur wenige schaffen es in die U19 der Bayern – noch viel weniger ins Profi-Kader.
Nur wenige schaffen es in die U19 der Bayern – noch viel weniger ins Profi-Kader.bild: imago-images.de

Gladbach wird für den Wechsel wohl eine sogenannte Ausbildungsentschädigung in Höhe von maximal 20'000 Euro erhalten. Der Rest soll wohl an die Familie des Nachwuchsstürmers gehen. Und somit ist für Frick auch nicht verwunderlich, dass die Eltern dem Deal zugestimmt haben.

«Im schlimmsten Fall kriegt er »nur« eine Schulausbildung und vielleicht auch noch eine Lehrstelle. Und wenn alles klappt, dann verdient er in wenigen Jahren so viel Geld, dass er das in einem Leben gar nicht mehr ausgeben kann.»

Wisdom-Wechsel ist kein Einzelfall

Der Wechsel von Wisdom zu dieser hohen Summe in dem Alter ist bei weitem kein Ausnahmebeispiel. So wechselt zum Beispiel auch 13-jährige Lennart Karl von Aschaffenburg in diesem Sommer in den Campus des FC Bayern.

Auch Florian Wirtz wechselte im Alter von 16 Jahren von der Jugendabteilung des 1. FC Köln für eine Ablöse von 200'000 Euro in den Nachwuchs von Bayer Leverkusen. Und Borussia Dortmund verpflichtete den erst 17-jährigen Jude Bellingham sogar für 25 Millionen Euro aus Birmingham.

Dass sich die Bundesligisten nach jungen Talenten im Ausland umschauen, findet auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus nicht verwerflich, wie er dem Sportportal «Spox» sagte:

«Man braucht Weitsicht. Und wenn man dann ein entsprechendes Scouting hat – und das haben heute die grossen Vereine – finde ich es nicht verkehrt, in Absprache mit den Eltern einen 14- oder 15-Jährigen von etwas weiter her beispielsweise nach München zu holen.»

Restriktionen des DFB sind kaum möglich

Wie sinnvoll Wechsel von jungen Spielern in einem jungen Alter aber tatsächlich sind, ist äusserst fraglich. Denn die Bilanz der Nachwuchsleistungszentren ist oft sehr überschaubar. «Von allen Jugend-Spielern wird etwa jeder Tausendste ein Erstliga-Profi. Ein Nachwuchsleistungszentrum produziert also viel mehr Misserfolge als Erfolge», sagte Arne Güllich von der TU Kaiserslautern bereits Anfang des Jahres im Gespräch mit watson.

«Sie verlieren ihre Identität, ihr ganzes bisheriges Leben gibt es nicht mehr, und das Leben, das sie sich erträumt haben, zerplatzt.»
Sportwissenschaftler Arne Güllich über die möglichen Auswirkungen eines frühen Wechsels
Schon die Kleinsten geben vollen Einsatz.
Schon die Kleinsten geben vollen Einsatz.bild: imago-images.de

Dabei sei es besonders für die Kinder schlimm, aussortiert zu werden. «Sie verlieren ihre Identität, ihr ganzes bisheriges Leben gibt es nicht mehr, und das Leben, das sie sich erträumt haben, zerplatzt. Sie fühlen sich alleingelassen, hilflos und als Versager. Es geht sogar so weit, dass 55 Prozent der Ausselektierten klinisch relevante Stressniveaus haben – bis hin zu Depressionen.»

Wirkliche Restriktionen seien eine «naheliegende Forderung», könnten aber nicht kontrolliert werden. «Die Klubs wissen genau, wie sie bestimmte Regeln umgehen können. Und die Strafen sind am Ende meist symbolischer Natur», sagt Frick.

Zumal es häufig gar nicht den direkten Weg über die Vereine gibt. Wenn ein grösserer Klub einen Jugendspieler mit grossem Potenzial vermutet, kann dieser auch mal Kontakt über die Eltern aufnehmen. Ihnen wird ein Job im Verein oder im Umfeld es Klubs besorgt, die Familie kann umziehen und das Kind für einen neuen Verein spielen.

Bayern-Strategie bleibt langfristig ohne Erfolg

Die Corona-Pandemie und damit verbundenen finanziellen Einbussen hätten laut Frick für merkliche Veränderungen bei den Bundesligisten gesorgt. «Die Klubs sind auf der einen Seite risikoscheuer, auf der anderen Seite aber gleichzeitig risikofreudiger geworden, indem sie jungen Spielern früher den Sprung zutrauen, als sie das vorher getan haben.»

Schon jetzt ist die Bundesliga mit einem Altersschnitt der Teams von 25,7 Jahren eine der jüngsten Ligen in Europa. Lediglich die Mannschaften der französischen Ligue 1 sind mit im Schnitt 25,6 Jahren noch jünger. Von Dauer wird die Strategie der Bayern laut dem Sportökonomen aber nicht sein. «Diese Dellen in den Einnahmen der Klubs hat es immer mal wieder gegeben. Ich glaube nicht, dass das langfristige Konsequenzen haben wird.»

Denn auch wenn die Münchner nun einen anderen Weg auf dem Transfermarkt einschlagen wollen, wird diese schnell Nachahmer finden, wenn sie in mehr als nur Einzelfällen erfolgreich ist. «Und dann wird sich das ganz schnell wieder wechselseitig neutralisieren», sagt Frick.

Und so werde wohl bald nicht mehr für einen 300'000-Euro-Wechsel eines 13-Jährigen spekuliert, sondern über Transfers weit über 50 Millionen Euro.

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7 Kommentare
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Bibilieli
28.03.2022 20:32registriert September 2014
So fragwürdig das Vorgehen auch sein mag. Die Verwendung des Begriffs "Kinderhandel" in diesem Zusammenhang ist dermassen polemisch, dass einem fast die Lust am Lesen vergeht.
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