Die Fussball-WM 2015 in Kanada markierte für die Schweizer Frauen-Nati einen Wendepunkt: Zum ersten Mal in der Geschichte des Frauenfussballs qualifizierte sich die Schweiz für eine Endrunde – es folgten zwei EM-Teilnahmen und im vergangenen Sommer die Teilnahme an der Fussball WM in Australien und Neuseeland.
Es geht bergauf im Schweizer Frauenfussball, keine Frage. Das letzte Jahr unter der Trainerin Inka Grings, die jüngst entlassen wurde, war jedoch ein Rückschritt für die Entwicklung des Teams. Vieles scheint im Moment in der Schweizer Nati nicht zusammenzupassen – eine Übersicht.
14 Spiele, ein Sieg – so lautete die ernüchternde Bilanz unter der ehemaligen Trainerin Inka Grings. Auch an der WM in Australien und Neuseeland konnten die Schweizerinnen – trotz des Erreichens des Achtelfinals – nicht überzeugen. In der Offensive passte so gut wie gar nichts zusammen. In vier Spielen verbuchte das Team um Grings drei Treffer – einer davon war ein Eigentor der Spanierin Laia Codina im Achtelfinal, in dem die Schweizerinnen mit 1:5 vom Platz gefegt wurden.
Seit sich die Schweiz regelmässig für Endrunden qualifiziert, sind die Erwartungen an das Team massiv gestiegen. Die Partien gegen den späteren Weltmeister Spanien an der WM und jüngst auch in der Women's Nation League haben aber gezeigt, wie weit die Nati noch von der Weltspitze entfernt ist, dass die Erwartungen an das Team vielleicht schlicht und einfach zu hoch sind. Trotzdem: Grings' taktischen Entscheide waren nicht immer nachvollziehbar und seien auch innerhalb des Teams nicht immer auf Verständnis gestossen.
Ein Sieg in 14 Spielen. Was nach einer Horrorbilanz klingt, ist beim genaueren Hinsehen zu relativieren. In sieben der 14 Partien spielten die Schweizerinnen nämlich Unentschieden und bei fünf Niederlagen trafen sie auf hochkarätige Gegnerinnen aus Schweden, Spanien und Norwegen. «Man kann nie alles auf die Trainerposition schieben, wir sind eine selbstkritische Gruppe», meinte indes auch Captain Lia Wälti im Vorfeld der Nations-League-Partie gegen Schweden.
Nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz konnte Grings nicht immer überzeugen. Als sie Riola Xhemaili aufgrund «physischer Mängel» nicht für die WM nominierte und die Teamleaderin Ana-Maria Crnogorcevic nach deren Rausschmiss bei Barcelona nicht für die Nations League berücksichtigte, fehlte der Deutschen das Fingerspitzengefühl.
Es war auch die – in diesem Fall fehlende – Kommunikation, die das Fass schliesslich zum Überlaufen brachte. So hatte der Schweizerische Fussballverband erst über die Medien erfahren, dass Grings in Deutschland wegen «Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt» zu einer Busse verurteilt worden war.
Doch auch der Fussballverband selbst scheint in Sachen Kommunikation Luft nach oben zu haben. So versandete – wie kürzlich bekannt wurde – die Meldung eines mutmasslichen sexuellen Übergriffs an einer Spielerin irgendwo in der Kommunikationskette. Wie der SFV bekannt gab, will er über den Fall nicht mehr öffentlich kommunizieren. Dabei wäre es für einen nationalen Verband gerade bei solch sensiblen Themen wichtig, transparent zu sein.
Nach den turbulenten elf Monaten unter Inka Grings, übernimmt Reto Gertschen interimsweise das Zepter. Bei den Spielerinnen ist eine gewisse Erleichterung erkennbar. «Das Thema Inka ist für mich Vergangenheit. Ich konzentriere mich auf die zwei Spiele und dass wir das Jahr gut abschliessen.» Reuteler sagt, was andere Nationalspielerinnen in ihren Äusserungen auch vermitteln wollen: Die Zeit unter der 45-jährigen Deutschen Grings ist vorbei, und man soll darüber auch nicht mehr viele Worte verlieren.
Es können nicht alle verbergen, dass sie nicht unglücklich darüber sein dürften, dass es auf der Trainerposition zu diesem Wechsel gekommen ist. Eseosa Aigbogun sagt, sie sei froh, dass es eine Veränderung gegeben habe, «aber jetzt stehen wir alle in der Pflicht und müssen Gas geben».
Die Spielerinnen werden auch mit Fragen zu einer möglichen Nachfolgerin oder einem Nachfolger Gertschens konfrontiert. Was diese oder dieser denn für Eigenschaften mitbringen müsse, zum Beispiel. Die Nationalspielerinnen sind sich einig: Fachkompetenz, Sozialkompetenz und gute Kommunikation sind die Eckpunkte, die sowohl Reuteler und Aigbogun als auch Meriame Terchoun und Captain Lia Wälti aufführen, wenn sie ihre künftige Chefin oder ihren künftigen Chef charakterisieren sollen.
Es ist der Moment, in dem die Schweizerinnen wohl doch ein kleines Fenster öffnen in die Vergangenheit und ihre Zeit unter Grings. Denn es scheint nicht unwahrscheinlich, dass die frühere Nationaltrainerin in diesen Punkten nicht ihre Stärken hatte. Man erkennt jedenfalls eher Grings' Vorgänger Nils Nielsen wieder in den Umschreibungen der Spielerinnen. Der Däne war bekannt für seine ausgeprägte Stärke im Umgang mit verschiedenen Persönlichkeiten und überliess den Spielerinnen viele Freiheiten und Eigenverantwortung.
https://t.co/FC7t05Y5nC
— 🇨🇭 Nati (@nati_sfv_asf) November 21, 2023
Der Leiter Ressort Trainerausbildung und Ex-Profi Reto Gertschen übernimmt das Frauen-Nationalteam im Dezember
Nach dem Abgang Nielsens Ende 2022 wünschten sich die Verantwortlichen im Verband eine andere Herangehensweise und engagierten mit Grings eine Trainerin, die grossen Wert auf Disziplin und Kontrolle legte. Gut möglich, dass das Pendel nun wieder in die andere, empathischere Richtung ausschlägt. Marion Daube, Direktorin Frauenfussball im SFV, ist Teil der neu einberufenen Kommission, die in den nächsten Wochen und Monaten die Aufgabe hat, die Nachfolge von Grings definitiv zu klären und dem Zentralvorstand diesbezüglich einen Vorschlag zu unterbreiten.
Folglich wäre auch denkbar, Gertschen vom Interims- zum fixen Coach zu befördern, obwohl sich dieser in seiner Rolle als Ausbildungschef sehr wohlfühlt, wie er selbst schon öfter betont hat? «Ich sage einmal, wir wollen nichts ausschliessen», entgegnet die Direktorin. Und fügt an: «Wir wollen nicht schon bald wieder in der gleichen Situation sein. Wir streben eine langfristige Lösung an.» (kat/sda)