Wo soll man da bloss beginnen? Mit dem Fakt, dass Titelverteidiger Manchester City nur eines seiner letzten 13 Pflichtspiele gewonnen hat? Oder mit der Tatsache, dass Manchester United schon wieder ein Tor durch einen direkt verwandelten Corner kassiert hat? Oder dass der neue United-Trainer Ruben Amorim von seinen ersten zehn Spielen fünf verloren hat?
Der Boxing Day jedenfalls wurde für beide Klubs nicht zum erhofften Wendepunkt. Manchester City kam gegen den Abstiegskandidaten Everton nicht über ein 1:1 hinaus, Superstar Erling Haaland verschoss einen Penalty.
Manchester United verlor gegen den Kellerklub Wolverhampton Wanderers 0:2, der Gamewinner war ein Geniestreich des früheren Sion-Juwels Matheus Cunha. Der Brasilianer vernaschte ManUtd-Torhüter André Onana nach einer knappen Stunde mit einem direkt verwandelten Eckball.
Onanas Schwächen waren gezielt analysiert worden, Wolverhampton trainierte direkte Eckbälle unter der Woche. «Ich übte das und hatte beim zweiten Versuch das nötige Glück», sagte Cunha, der schon in der ersten Halbzeit probiert hatte, auf diese Art zu treffen. Der Plan ging auf, so wie schon vor einer Woche bei Tottenham Hotspur, als Heung-min Son im Liga-Cup gegen Onanas Ersatz Altay Bayindir einen Corner direkt im Netz versenkte.
Uniteds neuer Trainer Ruben Amorim kam Ende November von Sporting. Dort feierte der Portugiese grosse Erfolge und er hatte auch vor, die Saison bei Sporting zu beenden und Manchester United erst im Sommer zu übernehmen. Doch Amorim liess sich von den «Red Devils» erweichen, Erik ten Hag beziehungsweise dessen interimistischen Nachfolger Ruud van Nistelrooy per sofort zu beerben. Womöglich hat er dies schon bereut.
«Es ist ein schwieriger Moment und wir sind noch lange nicht am Ende dieses Moments», sagte Amorim nach der Niederlage in Wolverhampton. Er komme aufgrund des dicht gedrängten Spielplans schlicht nicht dazu, mit dem Team neue Abläufe einzustudieren. «Dabei brauchen die Spieler Zeit, weil sie ihre Spielweise komplett umstellen müssen. Das ist schwer für sie. Wir müssen einfach überleben und manchmal gewinnen», forderte der Trainer. Wie lange das noch dauern könnte? Amorim wagte sich nicht auf die Äste hinaus: «Keine Ahnung, ich habe wirklich keine Ahnung.»
Man muss fast hundert Jahre zurückblicken, um eine noch desaströsere Startbilanz zu finden. Walter Crickmer verlor 1932 sechs seiner zehn ersten Spiele als Trainer von Manchester United, eines mehr als Amorim.
Dieser wird im nächsten Spiel am Montag gegen Newcastle United auf seinen Captain verzichten müssen. Bruno Fernandes sah Gelb-Rot, auch Manuel Ugarte wird fehlen, wegen seiner fünften Verwarnung. Die übernächste Partie wird auch alles andere als ein Zuckerschlecken: ManUtd muss auswärts beim grossen Rivalen FC Liverpool ran, der am Boxing Day mit einem 3:1-Sieg gegen Aufsteiger Leicester City seine Tabellenführung zementiert hat.
Von der Champions League braucht bei Manchester United gerade niemand zu sprechen. Viel eher müssen die Abstiegsränge ins Auge gefasst werden: Acht Punkte beträgt der Vorsprung derzeit noch.
Für Manchester City ist die Champions League nach wie vor ein Thema. Aber langsam sieht Trainer Pep Guardiola die Felle davon schwimmen, er fordert deshalb Verstärkungen. Grundsätzlich wolle der Klub keine Paniktransfers tätigen, sondern Spieler für drei, vier oder fünf Jahre verpflichten. Nun aber habe ManCity so viele Verletzte, «dass wir nicht mehr lange durchhalten können».
Geld spielt keine Rolle beim Scheich-Klub, gegen den das Urteil in 115 Fällen wegen finanzieller Verstösse weiterhin ausstehend ist. Aus Deutschland wird etwa Joshua Kimmich ins Spiel gebracht, Guardiola war schon bei Bayern München sein Trainer. Kimmich könnte für Europameister Rodri übernehmen, der nach seinem Kreuzbandriss an allen Ecken und Enden fehlt. Sein Vertrag in München läuft im Sommer aus. Verlängert Kimmich nicht, ist das Winter-Transferfenster die letzte Möglichkeit für die Bayern, eine Ablöse für den 29-Jährigen zu erhalten.
Ein anderer Kandidat für die Zentrale ist Martin Zubimendi, wie Rodri ein spanischer Europameister. Im Sommer zog er einem Wechsel zum FC Liverpool vor, bei Real Sociedad zu bleiben. Verlässt er San Sebastian nun im Winter? In Zubimendis Vertrag soll eine festgeschriebene Ablösesumme von 60 Millionen Euro verankert sein.
Und dann gibt es auch das spannende Gerücht um Aurélien Tchouaméni. Der 24-jährige Franzose könnte von Real Madrid kommen, eine Ablösesumme im Bereich von 100 Millionen Euro steht im Raum. Wobei sich diese reduzieren liesse, wenn im Gegenzug Rodri, der Gewinner des Ballon d'Or 2024, zu den «Königlichen» wechselt und damit in seine Heimatstadt zurückkehrt.
Mit dem Brasilianer Bruno Guimarães (Newcastle) und Leverkusens Jeremie Frimpong sollen zwei weitere Spieler auf Guardiolas Einkaufszettel stehen. Gerade der 24-jährige Niederländer Frimpong wäre mehr als ein Winter-Notkauf, schliesslich wird Rechtsverteidiger Kyle Walker (34) nicht jünger.
Noch aber hat Pep Guardiola die Spieler zur Verfügung, die er hat. Und die muss er aufbauen, denn sie sind offensichtlich verunsichert nach einer Phase, die die zumeist erfolgsverwöhnten Akteure so womöglich noch nie durchlebt haben. Nur ein Sieg aus den letzten 13 Spielen – angesichts der wirtschaftlichen und sportlichen Macht von Manchester City in den letzten Jahren kaum vorstellbar.
«Das Leben ist nicht einfach. Sport ist nicht einfach», philosophierte Guardiola über Haalands verschossenen Penalty gegen Everton. «Danach war noch einige Zeit zu spielen und wir kamen zu Chancen. Es war unglaublich, wie meine Spieler rannten und kämpften. In einigen Spielen waren wir nicht gut, aber heute schon.»
Welchen Einfluss selbst bei einem Weltklasse-Team wie Manchester City die Faktoren Tagesform und Wettkampfglück eine Rolle spielen, lässt sich gut an Haaland aufzeigen. Über die Saison gesehen kommt der Norweger auf 13 Tore bei einem Expected-Goals-Wert von 14 Toren. Während er zu Saisonbeginn brillierte (in fünf Spielen zehn Tore bei einem xG-Wert von 5,8), so schwächelt der Knipser nun (in 13 Spielen drei Tore bei einem xG-Wert von 8,2). Liegt Citys Krise an Haalands schwacher Form oder lässt er sich anstecken, ist mental blockiert und trifft deshalb nicht mehr?
Weil Englands Spitzenfussball nie ruht, erhält Manchester City schon bald die Gelegenheit zur Kurskorrektur. Am Sonntag spielt es auswärts in Leicester und hat die Gelegenheit, ein Jahr, in dem bis Ende Oktober alles wie am Schnürchen lief und seither fast nichts mehr zusammenpasste, mit einem Sieg abzuschliessen.