Es ist ein schönes Bild, das Yverdon-Trainer Marco Schällibaum mit Worten gemalt hat. «Wir fahren im TGV, und ich bin sicher nicht der, der die Handbremse zieht», sagte er vor ein paar Wochen im Gespräch mit der AZ. Was er damit meinte: Yverdon stieg nicht mit Aufstiegsambitionen in die Challenge-League-Saison, doch seit längerer Zeit liegt Schällibaums Team auf einem Aufstiegsplatz und der Trainer will den Coup nun realisieren.
Doch im Hintergrund gibt es durchaus Kräfte, die darauf aus sind, die Handbremse des Yverdoner TGV zu betätigen. Es geht um die Lizenz für die Super League, welche die Swiss Football League (SFL) in erster Instanz am kommenden Montag vergibt. Und niemand rechnet damit, dass Yverdon eine solche erhält – zumindest nicht in erster Instanz. Natürlich, weil das Stadion Municipal klein ist und das Flutlicht zu schwach für die TV-Produktion. Doch da würde die Liga womöglich Hand bieten und die Gemeinde auch.
Vielmehr wird in Yverdon gemunkelt, dass der Verein sich das Abenteuer Super League gar nicht antun möchte. Beziehungsweise der Präsident Mario Di Pietrantonio ein Super-League-taugliches Budget nicht stemmen kann und möchte. Er ist ohnehin seit Monaten auf der Suche nach einem Käufer für den Verein. Im letzten Sommer reduzierte er das Budget für die Challenge League von fünf auf vier Millionen Franken. Wo sollen jetzt also plötzlich zusätzliche sechs bis sieben Millionen herkommen für eine Super-League-Saison?
Ortswechsel. Nicht mehr der TGV von Yverdon-Sport, sondern die Gänge der Büroräumlichkeiten an der Maulbeerstrasse gleich beim Berner Hauptbahnhof. Hier hat die SFL ihren Sitz. Hinter geschlossenen Bürotüren wird über die Lizenz-Anträge der Klubs beraten. Streng vertraulich natürlich. Doch man hört, dass im einen oder anderen Fall von einer «Black Box» die Rede ist. Oder dass es «zwei bis drei Sorgenkinder» gebe.
Als Sorgenkind gilt neben Yverdon auch der Challenge-League-Klub Bellinzona, der schon für die aktuelle Saison keine Lizenz hätte erhalten sollen. Zu undurchsichtig sind die Finanzströme im Klub, der einem Spielerberater gehört. Oder es gibt Fragezeichen um den FC Wil, der zwar finanziell solide aufgestellt ist, dessen Sportplatz Bergholz, neuerdings «Lidl Arena» genannt, aber längst nicht in allen Punkten den Super-League-Anforderungen entspricht. Immerhin: Weil die Liga im letzten Herbst beschlossen hat, dass die Hürden für die Stadion-Infrastruktur kleiner werden sollen und deshalb Stadien mit nur 5000 Plätzen und 20 Prozent Sitzplätzen genügen, wird Wil irgendwie und irgendwann, also spätestens in zweiter Instanz, die Lizenz wohlerhalten.
Und was ist mit der «Black Box»? Also solche wird an der Maulbeerstrasse der Grasshopper-Club bezeichnet. Rote Zahlen in Höhe von knapp 15 Millionen Franken in der letzten Saison, dazu chinesische Besitzer, deren Verbleib mehr als unsicher ist. Da gibt es einige Fragen, und zu viele finanzielle Fragezeichen mögen sie bei der Lizenz-Kommission nicht.
Aber was bedeutet dies alles nun für die laufende Saison, für die Aufstiegsplätze und die Teilnahme an der Barrage? Hier kommen die sportlichen Interessen des FC Aarau ins Spiel. Er selbst hat bei der Lizenzvergabe nichts zu befürchten – trotz veraltetem Brügglifeld. Er hat die Lizenz in den letzten Jahren stets erhalten, weil er auf ein Stadionprojekt verweisen kann, das die politischen Hürden genommen hat und lediglich in der sogenannten «Bewilligungsphase» (fest-)steckt. Das reicht, damit die SFL ein Auge zudrückt.
Und so könnte Aarau profitieren, wenn der eine oder andere Klub keine Lizenz erhält. Sollten etwa die auf den Rängen eins und zwei klassierten Yverdon und Wil keine Lizenz für die Super League erhalten (und bis zum Saisonende in den Top drei platziert bleiben), würde in der Challenge League schon Platz vier für den direkten Aufstieg reichen. Ein solches Szenario ist aber eher undenkbar. Noch unwahrscheinlicher ist, dass zusätzlich auch ein Super-League-Klub die Lizenz nicht erhält. Dies würde nämlich zur grotesken Situation führen, dass der Fünfte der Challenge League, im Moment der FC Aarau, in die Super League aufsteigen könnte.
Durchaus realistisch ist aber, dass es wegen Yverdon gleichwohl zumindest einen Platz in der Super League zu erben gibt. Heisst: Bleibt Yverdon in den Top zwei klassiert, würde auch der Dritte direkt aufsteigen. Und der Vierte? Dieser ginge trotzdem leer aus. Denn die Barrage findet nur dann statt, wenn sie zwischen dem Letzten der Super League und dem Dritten der Challenge League ausgetragen werden kann. So sieht es das Reglement vor.
Für den FC Aarau bleibt also Platz drei so oder so der Sehnsuchtsort. Aber am Ende führt diese Rangierung vielleicht nicht in die Barrage, sondern direkt auf einen Platz an der Sonne, sprich in die Super League. Welche Rangierung letztlich nötig ist für den Aufstieg in die Super League, ist spätestens in den Tagen vor der letzten Meisterschaftsrunde vom 27. Mai bekannt. Dann entscheidet die Lizenzkommission in zweiter Instanz. Und spätestens dann weiss auch Schällibaum, ob Yverdons TGV ins Ziel rollen kann oder ob jemand die Notbremse gezogen hat. (aargauerzeitung.ch)