Wie die FIFA den VAR weiterentwickeln will – und welches Problem noch bleibt
Im FIFA-Museum gibt es derzeit eine Sonderausstellung zum Thema «Innovation in Action» zu besichtigen, wo verschiedene Bereiche der digitalen Entwicklung im Fussball beleuchtet werden. Zum Beispiel bei den TV-Übertragungen oder der Datenanalyse von Spiel und Spielern, aber natürlich auch im Schiedsrichterwesen. Dabei können die Besucherin und der Besucher sich selbst als Fernsehproduktionsleiterin, Datenanalyst oder Video Assistant Referee (VAR) probieren.
Im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung hat watson mit Johannes Holzmüller, dem Director of Innovation der FIFA, über die technischen Fortschritte im Fussball gesprochen – sowohl die bisherigen als auch jene, die in Zukunft noch geplant sind.
Besonders stolz ist Holzmüller auf die halbautomatische Abseitserkennung, die zur WM 2022 eingeführt und in der jüngeren Vergangenheit weiterentwickelt wurde. Dabei gibt ein Chip im Ball den Zeitpunkt der entscheidenden Ballberührung weiter und anhand der bis zu 30 Kameras im Stadion wird ein digitales Bild des Felds erstellt, anhand welches automatisch erkannt werden kann, ob der Angreifer nun im Abseits steht oder nicht. Wichtig ist hierbei, dass der Moment des «First Impact» zählt. Also der Zeitpunkt, in welchem der Passgeber die Energie in den Ball gibt, nicht jener, in welchem der Ball den Fuss verlässt, wie es früher jeweils hiess.
Bisher ging die Information an den Video-Assistenten, der im Anschluss allenfalls eingreifen musste. An der Klub-WM wurde jedoch erfolgreich getestet, dass das Signal «Offside» direkt an den Linienrichter gesandt wird. «Wir mussten die Entscheidung bei der Klub-WM nur einmal revidieren, weil die Signale ‹Tor› und ‹Offside› gleichzeitig kamen und der Linienrichter nicht nachvollziehen konnte, was zuerst war», erklärt Holzmüller.
In Zukunft soll dann also Schluss sein mit der «Wait and See»-Regel, bei welcher die Linienrichter mit dem Anzeigen eines Abseits abwarten, bis die Szene vorbei ist. Der Innovationsdirektor des Fussball-Weltverbands sagt dazu: «Um zu vermeiden, dass daraus unnötige Verletzungen resultieren, wenn ein Spieler noch in ein Tackling involviert wird, wollen wir das so gut wie möglich automatisieren.» Abseitssituationen, in denen es beispielsweise darum geht, ob ein anderer Spieler durch das Verdecken des Sichtfelds des Goalies ins Spielgeschehen eingreift, müssen aber weiterhin der Schiedsrichter auf dem Feld und der VAR bestimmen.
Ein Problem bleibt beim halbautomatischen Offside aber noch: Da die Kameras nur 50 Frames pro Sekunde aufnehmen, bleiben Lücken von jeweils zwei Hundertstelsekunden, in denen vieles passieren kann. «Meistens gibt es genau einen Frame, in dem der Fuss am Ball ist», berichtet Holzmüller und fügt an: «Es gibt aber Situationen, in denen es mehrere Frames gibt, und wenn du Pech hast, gibt es nur eine Momentaufnahme vor der Ballberührung und eine danach.» Gerade bei Millimeterentscheiden kann man so nicht immer zu 100 Prozent bestimmen, ob nun tatsächlich eine Abseitsstellung vorgelegen hat oder nicht.
Holzmüller schliesst nicht aus, dass das System noch verbessert werden könnte, stellt aber klar: «Wir haben jetzt das bestmögliche System und das ist definitiv besser als zu vor, als alles mit dem menschlichen Auge bestimmt werden musste. Und das ist der Punkt.» Die FIFA sei sich da sehr sicher, zumal es ja jeweils viele Kameras seien, welche die Informationen schicken und die Abseitsstellung bestätigen oder eben nicht. «Nur wenn das System zu 100 Prozent sicher ist, wird die Entscheidung automatisch getroffen», so Holzmüller, «da gibt es auch keine Fehlertoleranz. Ansonsten muss sich der VAR die Situation anschauen.»
Bisher seien es erst wenige Verbände, welche auf diese «Semi-automated Offside»-Technologie setzen, doch Holzmüller zeigt sich sicher, dass sich dies rapide ändern werde. So wie es beim VAR ist, den mittlerweile bereits 80 Verbände in ihren Ligen einsetzen. Dies sieht er auch als einen Hauptfokus für die nächsten Jahre: «Wir wollen die Technologien, die wir an Weltmeisterschaften verwenden, herunterbrechen können für Ligen mit weniger Budget. Das ist teilweise eine grössere Herausforderung, weil dort deutlich weniger Kameras und damit ein deutlich kleineres Datenset zur Verfügung steht.»
Die Abseitstechnologie sei aber nicht nur aus Gründen der Fairness interessant. Die Kamerabilder können nämlich ebenso für die Datenanalyse eingesetzt werden können. Auch die TV-Sender würden viel damit experimentieren, das Erlebnis für Zuschauerinnen und Zuschauer durch «Augmented Reality» zu verbessern. So könnten beispielsweise zusätzliche Informationen über das Fernsehbild gelegt werden.
Der Vormarsch der Technik dürfte im Fussball also nicht mehr aufzuhalten sein – und zwar in allen Bereichen.