Wer ihn kennt, weiss: Dieser Mann trübt kein Wässerchen. Er gilt als scheu, kumpelhaft, lieb. Und auch wenn sein Körper mit den Jahren mit immer mehr Tattoos übersät wurde, sagte seine Schwester Melanie einmal: «Er ist auch als Fussball-Profi immer bodenständig geblieben.» All das dokumentiert eine bemerkenswerte Statistik: In fast 17 Jahren und über 500 Partien als Profi wurde er nie vom Platz gestellt. Nur gerade zwei Spiele hat er in seiner Karriere wegen einer Gelb-Sperre verpasst.
Er, das ist Steven Zuber. 33 Jahre alt, Zürcher aus dem Tösstal, Stürmer beim FC Zürich. Und ausgerechnet wegen ihm sagt wenige Tage vor dem Derby vom Sonntag ein GC-Fan: «Zuber ist der Grund, weshalb die Stimmung aufgeheizter sein wird als sonst. Es könnte auch eskalieren.» Der Fan, er will anonym bleiben, sagt auch dies über Zuber: «Was er machte, war eine richtige Enttäuschung. Wir fühlten uns hintergangen und verletzt.»
Was Zuber «machte», wurde am 11. Dezember 2024 publik. Er kehrte nach über elf Jahren im Ausland zurück in die Schweiz – und unterschrieb beim FC Zürich einen Vertrag. Beim FCZ! Dabei hatte man auf seinem Instagram-Account noch kurz zuvor lesen können: «Einmal Hopper, immer Hopper!»
Zuber, 2013 mit GC Cupsieger und beim Rekordmeister ein Idol, hatte die Fronten gewechselt. Oder «über die Gleise», wie man in Zürich auch heute noch sagt, obwohl die beiden Stadtrivalen längst im gleichen Stadion spielen.
Und damit hat Zuber, etwas überspitzt formuliert, gleich die ganze Stadt gegen sich aufgebracht. Denn auch im Lager des FCZ war man «mässig begeistert von diesem Transfer», wie es Markus Imbach sagt. Imbach ist seit Jahrzehnten FCZ-Fan und Präsident des «Fanklub Letzi». Dabei kam da ein Spieler mit der Erfahrung von weit über 100 Spielen in der deutschen Bundesliga, von 56 Länderspielen und mehreren Teilnahmen an WM- und EM-Endrunden. Aber Imbach sagt: «Zuber hatte null Goodwill.»
Klar, es gab in den letzten 25 Jahren auch Mihai Tararache, Micheil Kawelaschwili oder Tariq Chihab, die vom einen zum anderen Klub wechselten. Aber ziemlich geräuschlos. «Sie waren Ausländer, keine Identifikationsfiguren.
Bei Zuber, einem Zürcher, ist das ganz anders», so Imbach. Die Südkurve empfing Zuber bei seinem ersten Spiel für den FCZ deshalb mit einem grossen Transparent: «Zuber: Keis Goal wird dich je zum FCZler mache». Zürich mag keine Fussballstadt sein wie Basel oder St.Gallen. Wie Mailand oder Marseille. Oder wie Istanbul und Buenos Aires. Aber wer zum «Überläufer» wird, der bekommt Abneigung auch hier zu spüren – und zwar von beiden Seiten.
Einer der Ersten im Zeitalter des Profifussballs, der mit dem Umweg über das Ausland «ennet der Gleise» landete, war Ruedi Elsener. Der Stürmer war GC-Junior, wurde mit dem Klub Meister und wechselte 1979 nach einer Saison bei Eintracht Frankfurt zum FC Zürich.
Elsener, heute 72 Jahre alt, erinnert sich daran, wie er beim FCZ-Publikum untendurch musste in seiner ersten Saison. «Es lief uns nicht. Wir stürzten als Vize-Meister der Vorsaison auf Platz 4 ab und ich als GC-Bueb war für die Fans der Hauptschuldige.»
Elsener, der fünf Jahre beim FCZ blieb und auch hier Meister wurde, erzählt von einer Zeit, in der das Derby «viel intensiver gelebt wurde in der Stadt als heute». Die Medien hätten tagelang Artikel publiziert, während es «seit ein paar Jahren vielleicht am Matchtag noch etwas zu lesen gibt».
Das hat auch damit zu tun, dass die Identifikation mit den Teams früher grösser war. Der anonyme GC-Fan sagt: «Heute gibt es kaum noch Identifikationsfiguren. Wenn ich ein Trikot von einem Spieler kaufe, muss ich damit rechnen, dass er in einem halben Jahr bereits nicht mehr bei GC spielt.»
Elsener dagegen erzählt: «Als ich beim FCZ war, spielten Zürcher wie Grob, Landolt und ich. Oder andere Schweizer wie Lüdi, Scheiwiler, Seiler, Zwicker und Zappa, die jahrelang beim FCZ waren. Bei GC hiessen sie Berbig, Wehrli, Egli, Hermann, Koller, Sulser oder Schällibaum. Da war die Identifikation beim Fan total.» Deshalb die Frage an Elsener: Weshalb ausgerechnet der Wechsel zum Stadtrivalen? GC habe ein Rückkaufsrecht nicht beansprucht. «Der FCZ hat sich mehr um mich bemüht», erklärt er.
Ähnlich erlebte es Marc Hodel 20 Jahre später. Der Verteidiger ging den umgekehrten Weg, sogar direkt vom FCZ zu GC. Noch heute kann es vorkommen, dass er in der Stadt von FCZ-Fans auf den Wechsel angesprochen wird. Immerhin wird er nicht mehr als «Judas» beschimpft, so wie früher, weil er 1999 beim Stadtrivalen einen gut dotierten Vertrag unterschrieb.
Seine Erklärung: «Mein Vertrag beim FCZ war ausgelaufen und ich hatte kein neues Angebot erhalten, als sich GC meldete.» Hodel sagt deshalb: «Ich habe Verständnis für die Fans. Aber früher wie heute ist es im Fussball so, dass man in erster Linie auf sich selbst schauen muss, weil es unser Beruf ist.»
Diesen Ansatz teilt Amir Abrashi nicht. Am Sonntag wird er die Grasshoppers als Captain aufs Feld führen. «Ich habe den Wechsel von Steven zum FCZ nicht erwartet und ehrlich gesagt kann ich ihn auch nicht verstehen. Für mich käme das nie infrage.» Abrashi ist ein Jahr älter als Zuber. Sie spielten gemeinsam bei den Winterthur-Junioren, trafen sich später bei GC wieder, spielten zwischen 2010 und 2013 für die Zürcher in der Super League und absolvierten zusammen die Sportler-RS.
Auch für Abrashi ist klar, dass Zuber «Feuer in das Derby bringt». Die Rivalität der Fan-Lager wurde in den letzten Jahren zwar grösser und Gewalteskalationen wurden häufiger. Auch er, Abrashi, erlebt dies und erzählt, wie er in der Stadt von FCZ-Fans schon angepöbelt wurde. Oder wie die Kinder seiner Schwester, die in der Agglomeration wohnen, von Mitschülern beleidigt und beschimpft werden, «nur weil ihr Onkel GC-Captain ist».
Aber bei den Teams sei die Rivalität eher kleiner geworden, erkannte Abrashi. Auch er verweist auf das Fehlen von Identifikationsfiguren. Als er 2010 sein erstes Derby bestritt, standen im GC-Aufgebot neben ihm und Zuber sieben weitere Spieler aus dem GC-Nachwuchs. Beim FCZ waren es zehn Zürcher. «Die Spieler kannten sich und hatten schon bei den Junioren viele Derby-Duelle erlebt», so Abrashi.
Und heute? Nimmt man die letzten GC-Spiele zum Massstab, wird am Sonntag kein Zürcher in der GC-Startformation stehen und mit dem Thurgauer Abrashi womöglich nur ein einziger Schweizer. «Da muss man die Bedeutung des Derbys schon mehr aufzeigen als früher», schmunzelt Abrashi.
Deshalb ist er insgeheim wohl sogar doch auch etwas froh, dass sein früherer Kumpel nun auf der Gegenseite zum Derby einläuft. Denn ausgerechnet dieser Zuber, der ruhige Mann aus dem beschaulichen Tösstal, sorgt dafür, dass es dieser Tage in Fussball-Zürich wieder einmal knistert.
Die Südkurve sollte lieber froh sein darüber, dass ein Spieler dieses Formats überhaupt beim FCZ unterschrieb und seitdem viel zum sportlichen Überleben beitrug anstatt billige Polemik auf unterstem Niveau zu machen.
Oh ja, St. Gallen. Eine Fussballstadt, vergleichbar mit Buenos Aires, Mailand oder Istanbul. Haha.