Der 20. Oktober 2007 stellte sein Leben für immer auf den Kopf. An diesem Tag schoss Fussballer Bojan Krkic ein Tor. Es war das 1:2 bei einer 1:3-Niederlage des FC Barcelona bei Villarreal. Es war sein erster Treffer bei den Profis überhaupt und weil Krkic exakt 17 Jahre und 52 Tage jung war, bedeutete dies: Er wurde zum jüngsten Torschützen der Klubgeschichte. Jünger noch als Lionel Messi, dessen magistrales Zuspiel er verwertet hatte. Fortan wusste es jede Zeitung, jeder TV-Sender, erst recht jeder Fan: Dieser Bojan, das wird der nächste Messi.
Er wurde es nicht.
Im Guardian hat der mittlerweile 27-jährige Krkic erstmals verraten, was ihn über all die Jahre so beschäftigt und ihn eine vielleicht grössere Karriere gekostet hat: Panikattacken. «Alles geschah so wahnsinnig schnell», sagt er rückblickend über seine Anfangszeit im Profifussball. «Mit 17 Jahren veränderte sich mein Leben von A bis Z. Ich reiste im Juli zur U17-WM und kein Mensch kannte mich. Nach der Rückkehr konnte ich kaum mehr die Strasse entlang laufen.» Bojan hatte Spanien mit fünf Toren in den Final geführt. Im Endspiel war er jedoch gesperrt und ohne ihn verlor Spanien gegen Nigeria im Penaltyschiessen.
«Einige Tage später gab ich gegen Osasuna mein Profidebüt, drei, vier Tage darauf spielte ich erstmals in der Champions League, dann traf ich gegen Villarreal», fasst er die Geschehnisse jenes Herbsts kurz zusammen. «Schon im Februar bot mich Spaniens Verband für die A-Nati auf. Alles lief bestens, bis der Kopf voll ist und der Körper ‹Stopp!› sagt.»
Die Symptome hätten sich bei ihm nicht so geäussert wie bei anderen Opfern von Angstattacken, deren Herz plötzlich gefühlt 1000 Mal pro Minute schlägt. «Ich fühlte mich schlapp und krank, andauernd, den ganzen Tag lang. Ich verspürte einen Druck, der nie verschwand.»
Alles kulminiert am 1. Februar 2008. Krkic sollte gegen Frankreich sein erstes Länderspiel machen. «Mir ging's noch gut, als ich in die Kabine kam. Aber dann war ich wie gelähmt, voller Panik.» Die Betreuer legen ihn auf eine Massagebank, das Spiel findet ohne ihn statt. Eine Magen-Darm-Geschichte wird erfunden.
Klar gebe es Medikamente und psychologische Behandlungen gegen die Angstblockaden, so Krkic. Dennoch hätten die Zustände bis im Sommer angehalten. «Deshalb habe ich beschlossen, dass ich nicht zur EM gehen kann. Jeder im Verband wusste es, Trainer Luis Aragones genauso wie Sportdirektor Fernando Hierro. Als mich Hierro kurz vor der Bekanntgabe des EM-Kaders anrief und mich aufbot, sagte ich ihm, dass es mir weh tue, aber dass ich nicht kommen könne.» Barça-Mitspieler Carles Puyol habe ihm versprochen, sich um ihn zu kümmern, er werde immer für ihn da sein. Krkics Antwort: «Puyi, ich kann nicht.»
Tags darauf folgte ein Schlag in die Magengrube, die Schlagzeile einer Zeitung war es. «Spanien bietet Bojan auf und Bojan sagt ‹Nein›», lautete sie. Der Sohn einer Spanierin und eines Serben hätte auch für das Heimatland des Vaters spielen können. «Diese Schlagzeile brachte mich um. Als ob es mich nicht gekümmert hätte. Die Zeitung musste die Information vom Verband erhalten haben. Wie konnten sie dort nur so etwas machen? Sie kannten ja meine Gründe. Ich fühlte mich sehr alleine gelassen.»
Den Mut, die Öffentlichkeit darüber ins Bild zu setzen, wie es ihm geht, brachte der Teenager damals nicht auf. «Ich hatte Angst davor, war krank vor Sorge. Ich wusste nicht, was ich tue. Ich erinnere mich, wie ich in Barcelonas Klub-TV sagte, dass ich Ferien nötig hätte, obwohl ich wusste, dass es falsch war, das zu behaupten. Aber da war die Bombe auch schon explodiert. Wir konnten nur noch versuchen, die Flammen zu löschen.»
Nun, mit dem Abstand von zehn Jahren, überrasche ihn die damalige Reaktion auf seine EM-Absage nicht. «Die Leute haben Mühe damit, wenn nicht alles genau so läuft, wie es sollte. Was im Fussball zählt, ist, dass alles okay ist.» Hauptsache, der Schein einer heilen Welt werde gewahrt.
Bojan Krkics Ausführungen erinnern stark an solche von Sebastian Deisler. Auch der Deutsche war, nur wenige Jahre vorher, als Wunderkind gehypet worden. Wegen Depressionen fiel der gefeierte Nationalspieler monatelang aus, ehe er schliesslich mit erst 27 Jahren das Handtuch warf und seinen Rücktritt erklärte. Und auch Per Mertesacker kommt einem in den Sinn. Der Weltmeister von 2014, der unlängst seine Karriere beendet hat, sorgte im Frühling für Aufsehen. Vor jedem Spiel habe er vor lauter Anspannung Durchfall und Brechreiz, gestand der hünenhafte Innenverteidiger.
Der nächste Lionel Messi wurde Bojan Krkic nicht. Aber weil er überall, wo er hinkommt, dieses Etikett um den Hals trägt, gilt er als gescheitert. Dabei war er bei Roma und Milan, spielte für Ajax Amsterdam, in der Bundesliga und in der Premier League. Okay, es waren «nur» Mainz und «nur» Stoke City. Aber immerhin. «Es wäre einfach gewesen, auch als Ersatzspieler in Barcelona zu bleiben, aber ich hatte das Gefühl, gehen zu müssen. Mir war immer wichtig, dass ich spielen kann.» Seit Anfang Jahr brachte er es bei Alaves aber bloss auf vier Teileinsätze. Wo es nach dem Sommer weiter geht, ist noch offen. Krkic war ausgeliehen, er hat bei Stoke noch einen Vertrag bis 2020, dürfte nach dem Abstieg der «Potters» aber kaum zurückkehren.
Egal, wo der Offensivspieler künftig seine Schuhe schnüren wird: Er wird immer als das einstige Supertalent des ruhmreichen FC Barcelona vorgestellt werden. «Die Leute schätzen nicht, was ich tue. Stets heisst es: ‹Schauen wir mal, ob er wieder sein bestes Niveau erreicht.› Aber was ist das? Ich habe es in jeder Saison erreicht, mal öfter, mal weniger.»
Vielleicht sei er für noch mehr Erfolg auch eine Spur zu nett, gibt sich Krkic ein wenig selbstkritisch. «Man sagte mir häufig, dass ich ein egoistisches Arschloch sein müsse. Und je höher du kommst, umso mehr. Aber so bin ich nicht und so kann ich nicht sein. Und wenn ich mal auf dem Feld versucht habe, böser zu sein, ging das komplett schief.»
Mit 27 Jahren ist Bojan Krkic grundsätzlich im besten Alter für einen Profifussballer, er hat noch einige schöne Saisons vor sich. Schon jetzt aber zieht er ein erstes Fazit. «Ich bin stolz auf meine Karriere, stolz darauf, was ich geschafft habe. Ich liebe den Fussball und werde ihn immer lieben.» An den Abschied, soviel ist klar, denkt er nicht. «Ich bin immer noch jung, habe Spass am Spiel und keinerlei Absicht, schon aufzuhören.»
Seine Panikattacken lassen ihn mittlerweile in Ruhe. «Sie sind noch da, wie eine Narbe. Die Wunden reissen nicht auf, aber ich spüre sie manchmal. Es ist eine Erinnerung an früher.» An eine Zeit, in der Bojan Krkic der aufregendste Stern am Fussball-Firmament war. Der nächste Lionel Messi.