Lange galt Thomas Müller in München als unantastbar. Wer sich mit dem Ur-Bayer anlegte, verbrannte sich schnell einmal die Finger.
So zum Beispiel der damalige Trainer Niko Kovac, der im Herbst 2019 sagte: «Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen.» Eine Aussage, die bei einem Spieler von Müllers Standing einer Demütigung gleichkommt. In der Folge liebäugelte der Offensivspieler mit einem Wechsel, die vom Verein gewünschte Aussprache wurde dann aber nicht nötig: Kovac wurde vorher entlassen.
Auch Thomas Tuchel setzte Müller während der letzten Saison zeitweise häufig nur als Ersatzspieler ein. Am Ende setzte sich Müller aber erneut durch und spielte dann fast wieder in jedem Spiel von Beginn an. Irgendwie liess sich der 131-fache deutsche Nationalspieler schlicht nicht verdrängen. In dieser Saison scheint das Ende von Thomas Müller bei Bayern München aber so nahe wie nie.
In den letzten acht Bundesligaspielen blieb Müller dreimal ohne Einsatz und kam zweimal nur für wenige Minuten aufs Feld. Er ist auf dem Weg zu der wenigsten Spielzeit seit seiner Debütsaison 2008/09. Auch in der Champions League ist Müllers Stammplatz mittlerweile auf der Ersatzbank. Gegen Celtic Glasgow liess Trainer Vincent Kompany ihn in den beiden Playoff-Spielen insgesamt lediglich vier Minuten spielen, gegen Leverkusen kam er im Hinspiel nicht zum Einsatz. Dies kann nicht zufriedenstellend sein für Müller, dessen Vertrag Ende Saison ausläuft.
Bezüglich Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung herrscht aktuell keine Dringlichkeit. Zumindest können die Aussagen von Spieler und Klub so interpretiert werden. So sagte Müller vor rund einem Monat: «Das Wohl und Wehe des FC Bayern wird nicht davon abhängen, ob ich meinen Vertrag verlängere oder nicht.» Es gebe wichtigere Personalien als ihn, meinte er. Mittlerweile wurden die Jungstars Jamal Musiala (22) und Alphonso Davies (24) aber bereits langfristig gebunden, auch der bald 39-jährige Manuel Neuer hat einen neuen Vertrag unterschrieben. In Kürze dürfte der 30-jährige Joshua Kimmich folgen. Nur bei Thomas Müller gibt es keine Neuigkeiten.
Zuletzt liess Bayern-Patron Uli Hoeness aufhorchen. «Ich glaube schon, dass der FC Bayern und Thomas Müller gemeinsam eine Entscheidung treffen müssen, denn wir sind ja nicht auf dem Basar, wo jeder machen kann, was er will», sagte er auf der Premiere zum Dokumentationsfilm «Thomas Müller – Einer wie keiner» gegenüber Sport1.
Damit widersprach er indirekt auch Sportvorstand Max Eberl, dessen Credo bisher war: Thomas Müller entscheidet selbst über seine Zukunft. «Er braucht nicht gross zu verhandeln. Wenn er sagt, er hat Lust weiterzumachen, dann wird es weitergehen», sagte Eberl im Januar. Nun ruderte aber auch er etwas zurück: «Das Wichtige ist, dass wir zusammen eine Entscheidung treffen, die für alle das Beste ist.» Dabei gehe es sowohl um Müllers Rolle im Team, die den Vorstellungen beider Seiten entsprechen müsse, als auch um das Finanzielle.
Bedingungslos wollen die Bayern Müller also kein neues Angebot machen. Am wichtigsten dürfte wohl die Frage sein, ob sich Müller mit der Joker-Rolle zufriedengibt. Uli Hoeness rät ihm dies aber ab: «Wenn er nur noch Einwechselspieler ist, würde ich ihm raten, aufzuhören. Das ist seiner grossen Karriere nicht würdig.» Dafür würde der Ehrenpräsident den Bayern-Star gern in anderer Rolle beim deutschen Rekordmeister sehen. Hoeness traue Müller jeden Job zu.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre es das Ende eines Fussballers, der in den Augen von Pep Guardiola zu den Grössten der Geschichte zählt. Der Katalane, der Müller während seiner Zeit beim FC Bayern von 2013 bis 2016 betreute, lobt Müller als «schlauen, unberechenbaren Spieler, der immer weiss, wohin er sich bewegen muss».
Wie es der Junge aus Oberbayern so weit bringen konnte, dass der prägendste Trainer dieses Jahrtausends in höchsten Tönen von ihm spricht, bleibt vielen noch immer ein Geheimnis. Mit seinem Bewegungsablauf wirkt er auf der grossen Fussballbühne irgendwie fehl am Platz. Und doch sagt zum Beispiel Robert Lewandowski, dass er kaum einen Fussballer getroffen hätte, der den Fussball so verstehe wie Müller. Bayern-Funktionär Karl-Heinz Rummenigge befindet: «Thomas ist nicht sehr schnell, seine Technik ist Durchschnitt, sein Dribbling ist Durchschnitt, aber er ist Thomas Müller.»
Und dieser Thomas Müller, der mit zehn Jahren zum FC Bayern kam und diesen bis heute nie verliess, ist der sechstbeste Torschütze sowie Vorlagengeber in der Geschichte der Champions League. In der Bundesliga bereitete kein Spieler auch nur ansatzweise so viele Tore vor wie der «Raumdeuter», der in 495 Spielen auf 212 Assists und 150 Tore kommt. Müller ist Weltmeister, zweifacher Champions-League-Sieger sowie zwölffacher deutscher Meister.
Selbst nach seinem Erfolgsrezept gefragt, sagte Müller kürzlich dem Spiegel, dass es kein Geheimnis gebe. Dass er nicht der Schnellste oder der Stärkste sei, habe ihm neben seinen Qualitäten bei der Ballannahme in engen Räumen sowie dem Passspiel geholfen: «Weil andere athletischer waren, musste ich in meiner ganzen Jugend kreativ sein, sonst hätte ich es nie zum Profi geschafft.» Als unorthodox empfinde er seine Spielweise nicht. Vielmehr habe alles, was er mache, einen Sinn.
Diesen zu erkennen, ist wohl seine grösste Stärke, die ihn von vielen Fussballern unterscheidet. «Ich habe Gott sei Dank die Übersicht und die Kapazität, mich nicht nur mit mir selbst, sondern auch mit dem Spielgeschehen um mich herum beschäftigen zu können», so Müller. Guardiola beschreibt das so: «Man muss in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen. Die, die besser entscheiden können, wie sie sich im Chaos bewegen, das sind die besten Spieler.»
Doch Bayern-Coach Vincent Kompany scheint diese Qualitäten, diesen Müller-Instinkt, in der laufenden Saison immer weniger zu brauchen. Deshalb wolle der vielseitig einsetzbare Offensivspieler ein Karriereende nicht ausschliessen. Müller ergänzt aber: «Ich habe weiterhin sehr viel Spass am Fussball und würde gern weiterspielen.»
Sollte er sich mit den Münchnern also nicht auf eine sportliche Perspektive und ein Finanzpaket einigen, scheint gar ein Wechsel infrage zu kommen. Wie schon in der Zeit unter Kovac oder im Sommer 2023 unter Tuchel. Weil er dort einen schweren Stand hatte, beschäftigte er sich gar mit Saudi-Arabien, wie er in seiner Dokumentation preisgab.
Thomas Müller in der Wüste wäre für viele Fussballfans fast unvorstellbar. Auf dem Platz dürfte er zwar kaum Probleme haben, doch ist fraglich, ob die urchige Art des bayrischen Unikats dort ebenso gut ankommen würde wie in der Allianz-Arena, wo er noch immer ein Fanliebling ist – auch wenn er nicht mehr unantastbar ist.
Eigentlich der einzige Bayernspieler welchen ich immer mochte und wenn er aufhört geht einer der grossen!
Ist doch wunderbar wenn er noch Freude am Fussball (Trainings, Spieltage etc.) hat, noch mithalten kann, gesund ist und das alles zu Hause.
Er hat kein Problem auf der Bank zu sitzen. Er hat sich damit abgefunden dass früher oder später ein jünger Spieler kommt und mit der Zeit halt besser ist/wird als er. Es ist der normale Zyklus im Profifussball.
Er ist auch gerne da für junge Spieler um sich in dieser Fussballwelt zurecht zu finden und gibt mit freude seine Erfahrung und sein Wissen weiter.