Sport
Fussball

Verletzungen im Schweizer Breitensport: Jetzt greift der Staat ein

Verletzungen bei Spielsportarten sollen deutlich reduziert werden. Das fordert auch der Bund mit der Verschärfung der Sportförderverordnung.
Verletzungen bei Spielsportarten sollen deutlich reduziert werden. Das fordert auch der Bund mit der Verschärfung der Sportförderverordnung.Bild: alexander wagner

Zu viele Verletzungen im Breitensport – jetzt greift der Staat ein

Die nationalen Verbände im Fussball, Eishockey, Handball und Co. müssen Wege finden, die Verletzungshäufigkeit deutlich zu senken. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung zeigt auf, wie das konkret passieren soll. Es drohen Sanktionen.
02.05.2024, 13:07
Rainer Sommerhalder / ch media
Mehr «Sport»

Rund 110'000 Personen verletzen sich in der Schweiz jährlich bei Spielsportarten mit Körperkontakt. Das ist mehr als ein Viertel aller Sportverletzungen. 10 Prozent dieser Verletzungen sind schwerwiegender Natur.

Insbesondere während des Wettkampfs und bei Zweikämpfen ist das Risiko deutlich höher ist als bei anderen Sportarten. Im Breitensport beispielsweise passieren rund die Hälfte aller Verletzungen als direkte Folge eines Gegnerkontakts. Bei den Profis und im Seniorensport sind es anteilsmässig noch mehr solche Verletzungen.

Es gibt Schlüsselaktionen, die für eine Vielzahl von schweren Verletzungen verantwortlich sind. Im Fussball sind es Kopfball-Duelle und Tacklings, im Eishockey der Bodycheck und auch im Handball und Basketball werden die meisten Verletzungen durch unmittelbare Kollisionen verursacht.

Amateur Fussball-Spieler in Action-Outdoor-Match
Kollisionen sind der grösste Verursacher von Verletzungen im Amateursport. Bild: Shutterstock

Mit der Verschärfung der Sportförderungsverordnung im März 2023 verpflichtet der Staat die Verbände, unfallpräventive Massnahmen zu ergreifen. Machen sie das nicht, drohen in letzter Konsequenz Kürzungen der Finanzhilfen des Bundes. Die Regulierung und Organisation des Sports hat bei dieser Revision eine massiv stärkere Verankerung in der staatlichen Rechtsstruktur erfahren.

Swiss Olympic arbeitet an Massnahmen zu 17 Themen

Rund um die Ethikdiskussion im Schweizer Sport wurde definiert, dass die Themen Fairplay und Sicherheit nachhaltig gestärkt und in den Regelwerken verankert werden sollen. Der Dachverband Swiss Olympic erarbeitet aktuell zu 17 verschiedenen Themen Massnahmen, wie die im Zusammenhang mit der Ethik verschärften Vorgaben in Form einer Branchenlösung sinnvoll umgesetzt werden können.

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) hat jetzt in der Broschüre «Prävention von körperkontaktbedingten Verletzungen im Spielsport» Handlungsgrundsätze und Empfehlungen erarbeitet. «Es besteht Handlungsbedarf und auch Handlungszwang im Bereich der Verletzungsprävention», sagt Christof Kaufmann, Leiter Sport und Bewegung bei der BFU. «Wir möchten die Verbände dabei unterstützen, die richtigen Stellschrauben für Anpassungen zu finden.»

Die umfassende Analyse hat gezeigt, dass ein Fokus auf das Regelwerk sinnvoll ist. Dazu gehören neben der Anpassung und Durchsetzung der Spielregeln im Nachwuchs-, Senioren- und Breitensport auch Themen wie neue Spielformate, Sanktionierungen, fehlerverzeihende Infrastruktur, Obligatorien für Schutzausrüstung und Aktivitäten zur Förderung des Fairplay-Gedankens. Zu Letzterem stellt die BFU fest: «Gewinnen hat im Sport einen hohen Stellenwert. Manchmal sogar höher als die Unversehrtheit des Gegenspielers.»

Härtere Strafen für Fouls und mehr Geld für Schiedsrichter

Neben einer Ausbildungsinitiative zur Verbesserung der Qualität von Schiedsrichtern werden abschreckend strenge Sanktionierungen für schwerwiegende Körperangriffe, die auch noch im Nachhinein möglich sein sollen, vorgeschlagen. «Die BFU möchte eine Diskussion lancieren und auf die Agenda der Spielsportverbände setzen, ob eine strengere Sanktionierung von Fouls zu einer Reduktion von Verletzungen führen kann», sagt Christof Kaufmann.

Zur Stärkung der Ausbildung von Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern gehören für die BFU auch eine bessere Anerkennung ihrer Aufgabe durch die Verbände und eine höhere Entlöhnung.

Bei den konkreten Präventionsansätzen setzt sie den Bereich der Spielregeln in den Mittelpunkt und fordert Anpassungen. Ziel ist, dass es gar nicht erst zu harten Körperkontakten oder Fouls kommt. Neben der konsequenten Erkennung und Ahndung von schweren Fouls fordert die BFU die Entwicklung von Spielformen mit reduziertem Körperkontakt und Regelanpassungen zur Verhinderung von Körperangriffen auf Kopf und Rücken sowie wirkungsvolle Anreize für eine Fairplay-Kultur.

Verbände setzen Ideen um, aber es hat noch viel Potenzial

«Es gibt bereits verschiedene gelungene Beispiele, wie man mit Anpassungen im Regelwerk einen positiven Effekt erzielen kann». Kaufmann erwähnt die Fairplay-Punkte, die im Schweizer Breitenfussball wichtiger für die Platzierung in der Tabelle sind als das Torverhältnis, oder den Verzicht auf Bodychecks im kanadischen Junioren-Eishockey. Dort wurde die Häufigkeit von Verletzungen um 50 Prozent gesenkt. Auch die Verbände im Unihockey und Volleyball setzen bereits Massnahmen um.

Gerade im Fussball laufe aktuell viel. In einigen Regionen wird durch alternative Formen für Eckbälle das Risiko von Kopfballduellen bei Kindern gesenkt. Christof Kaufmann sagt aber mit Blick auf die Spielsportarten auch klar: «Es ist noch viel Potenzial da.»

Die BFU fordert die Verbände auch auf, eine eigene Risikoanalyse vorzunehmen sowie eine sportartenübergreifende Koordinationsgruppe zu bilden. So können Erfahrungen ausgetauscht und im Vergleich der Disziplinen gemeinsame Standards geschaffen werden. Gemäss Christof Kaufmann plant sie, am 29. Mai eine Online-Live-Sendung und im November ein Forum zu dieser Thematik durchzuführen. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
31 Gründe, weshalb wir den Amateurfussball so sehr lieben
1 / 31
31 Gründe, weshalb wir den Amateurfussball so sehr lieben
Wegen Platzwarten, die es mit der Geometrie nicht so genau nehmen.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Penalty-Duell gegen Pascal Zuberbühler
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
38 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Auster N
02.05.2024 12:18registriert Januar 2022
Fangt mal damit an, dass an Grümpelturnieren keine Besoffenen mehr spielen dürfen. 80% gesenkt ohne was zu denken.
8718
Melden
Zum Kommentar
avatar
Prinz Ipiell
02.05.2024 11:48registriert April 2022
Ich kenns aus dem Fussball. In den unteren Ligen spielen inzwischen derart viele Möchtegern-Profis mit Zündschnüren, kürzer als bei jeder Tischbombe. Oft nur eine Frage der Zeit.
Im Juniorenfussball hat es genau dieselben verhinderten Spitzensportler, die über ihre Juniorenmannschaften versuchen etwas zu erreichen, dass sie selber nie geschafft haben. Dadurch wird schon bei den F Junioren ein Druck aufgebaut und eine Aggressivität gefordert und gefördert, die einfach zwangsläufig zu übermotivierten und unnötigen Aktionen führen (und dann noch beklatscht werden).
641
Melden
Zum Kommentar
avatar
Mama Jo
02.05.2024 14:18registriert November 2022
Skifahren. Fast jedes Jahr verunfallte bei uns im Betrieb jemand beim Skifahren und fiel dann Wochen- oder Monatelang aus.
251
Melden
Zum Kommentar
38
Viele Ausrufe- und einige Fragezeichen – jetzt geht die WM für die Nati so richtig los
Der Start in die Eishockey-WM ist der Schweizer Nati geglückt. Einige Fragezeichen bleiben trotzdem – und jetzt folgen die richtigen Tests.

Vier Spiele, vier Siege. Der Start in die WM in Prag ist der Hockey-Nati geglückt. Natürlich war da der eher fahrige Auftritt gegen Österreich beim 6:5-Sieg. Darauf folgte aber die Reaktion mit einer starken Leistung und dem Sieg im Penaltyschiessen gegen Tschechien. Das gestrige 3:0 gegen Grossbritannien war eines der langweiligsten Nati-Spiele der Neuzeit, weil der Sieg zu keiner Sekunde in Gefahr war.

Zur Story