Als der Berater vom Interesse eines Vereins namens AC Ajaccio erzählte, musste Kevin Spadanuda die Internetsuche behilflich sein. Ajaccio, wo lag das nochmals? Dann fiel es ihm wieder ein: Die Ortschaft war ihm im vorherigen Jahr schon einmal begegnet. Da ging es aber noch darum, die Sommerferien zu planen.
Damals entschied sich Spadanuda zusammen mit der Freundin für Urlaub in Portugal. Nun aber ist er mit einiger Verspätung doch in Ajaccio gelandet. In der Hauptstadt der bei Touristen so beliebten Mittelmeerinsel Korsika spielt der 25-Jährige neuerdings Fussball. Dass Spadanuda dort seinem Beruf nachgeht, wo andere Ferien machen, ist für ihn zweitrangig. Für ihn ist viel entscheidender: Er darf den Bällen in der französischen Ligue 1 nachjagen, einer der besten fünf Ligen Europas.
Der Wechsel vom FC Aarau zum Athletic Club Ajaccien, wie der Klub mit vollem Namen heisst, bedeutete Ende Juni die vorläufige Krönung einer beispiellosen Aufsteigergeschichte um Talent und Durchhaltewillen. Kurz: ein Märchen, im fussballerischen Sinne.
Vor fünf Jahren kickte Spadanuda noch in der 4. Liga mit Freunden in Schinznach-Bad. Jetzt steigt er bald gegen die Ausnahmekönner Kylian Mbappé, Neymar oder Lionel Messi in die Zweikämpfe. Spieler, die er bis jetzt nur aus dem Fernsehen oder von der Playstation kannte. «Ab und zu erwische ich mich noch beim Gedanken daran, wie schnell das alles gegangen ist», sagt Spadanuda dieser Tage im Videogespräch. Sein neues Leben in Ajaccio bezeichnet er als «einziges grosses Abenteuer». Zum ersten Mal wird er länger als ein paar Wochen von zu Hause weg sein.
Spadanuda hätte es auch bequemer haben und sich einen Arbeitgeber in der Nähe aussuchen können. Nach einer ausgezeichneten Vorsaison waren die Interessenten zahlreich, auch aus der Super League. Mit 18 Toren in 34 Spielen empfahl er sich jedoch auch für eine Top-Liga. Spadanuda setzte sich selbst kein Limit, war offen für alles. Und als das Dreijahresangebot aus Ajaccio kam, sagte er zu.
Dass ein Ligue-1-Verein einen Spieler aus der Challenge League überhaupt auf der Rechnung hat, kam für Spadanuda überraschend, wie er eingesteht. Doch im modernen, gläsernen und zahlen basierten Fussballgeschäft gibt es wenig bis gar keine Geheimnisse mehr. Wer auffällt, spielt sich schnell in die Notizbücher – oder eben in die automatisierten Datenbanken.
Seinen neuen Verein beschreibt Spadanuda indes ähnlich wie den FC Aarau: sehr familiär. «Das brauche ich auch, diese Nähe, diese Herzlichkeit», sagt er. Auch die hiesigen Fans scheinen sich auf ihren neuen Flügelspieler schon zu freuen. Spadanuda erzählt, wie er sich wenige Tage nach der Vertragsunterschrift auf einen Streifzug in die Stadt aufmachte und sogleich erkannt wurde. «Ich hatte da noch keinen einzigen Ball im Ajaccio-Trikot berührt und trotzdem kamen ein paar Menschen zu mir und wollten ein Selfie. Das war verrückt.»
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— AC Ajaccio (@ACAjaccio) June 24, 2022
In Ajaccio haben sie sich etwas durchaus Störrisches, Eigenwilliges bewahrt. Das hat einerseits mit dem Status des Teams als Aufsteiger in die Ligue 1 zu tun, hängt aber auch mit der besonderen geografischen Lage zusammen. Ajaccio ist die einzige Mannschaft der Liga, die für ihre Auswärtsreisen auf das Flugzeug angewiesen ist. Nahezu in jedem Spiel wird man Aussenseiter sein – eine Rolle, die man nur zu gerne annimmt. Wir, die Korsen, gegen alle anderen.
Auch Spadanuda sind diese Merkmale schon aufgefallen, wie auch eine andere Eigenheit, die sich nicht ignorieren lässt: die erbarmungslose Hitze.
Die Temperaturen steigen auf der Insel regelmässig bis zu 35 Grad und darüber. Nicht umsonst nimmt der Verein das morgendliche Training jeweils schon um acht Uhr auf. Selbst für einen wie Spadanuda, der portugiesische und italienische Wurzeln hat, sind das Grenzerfahrungen, wie er zugibt: «An die Hitze habe ich mich bis heute nicht gewöhnt.» Folglich verbringt er die freie Zeit überwiegend in Einkaufszentren oder in Cafés, weil sich draussen – abgesehen vom Bad im Meerwasser – nur wenig Abkühlung bietet. «Ich habe, seit ich hier bin, noch keine einzige Wolke gesehen», sagt er und muss selbst ein wenig lachen.
Noch bleibt genügend Zeit, sich an all die neuen Umstände zu gewöhnen. Dazu gehört auch, sich besser verständigen zu können. Die korsische Sprache ähnelt in den Grundzügen stark dem Italienischen, doch im Klub gehört Französisch zum Standard. Das muss Spadanuda erst erlernen.
Auch den Alltag im Hotel will er in Kürze hinter sich lassen. Bereits hat er eine Zusage für eine geräumige Dreizimmerwohnung mit Meerblick, die Platz für ihn und seine Familie bieten soll. In wenigen Wochen wird Freundin Cristiana mit der einjährigen Tochter Naiara zu ihm ziehen, wenn in der Schweiz die Wohnung abgemeldet und sämtliches Mobiliar heil in Korsika angekommen ist. Dass es seinen Liebsten in der neuen Heimat gut geht, ist für Spadanuda neben dem fussballerischen Erfolg laut eigener Aussage das Wichtigste. «Cristiana und meine Tochter sollen sich in einem anderen Land nicht fremd fühlen», sagt er.
Erst aber steht der Sport im Vordergrund. Heute Abend begeht Ajaccio beim Spitzenteam Olympique Lyon den Auftakt in die Saison. Und womöglich erhält das Fussballmärchen Spadanudas ja bereits ein neues Kapitel.