Sport
Fussball

Neue Offside-Regel: Zwei unterschiedliche Meinungen zur Regeländerung

Fußball 1. Bundesliga 31. Spieltag Bayer 04 Leverkusen - 1. FC Köln am 05.05.2023 in der BayArena in Leverkusen Symbolfoto: Fahne Linienrichter DFL regulations prohibit any use of photographs as image ...
Dieses Bild soll es in Zukunft nicht mehr so häufig geben – denn die IFAB will die Abseitsregelung revolutionieren.Bild: www.imago-images.de

Die Lösung in der Offside-Frage? Eine Regeländerung, zwei Meinungen

Das International Football Association Board (IFAB), in dem neben den Verbänden aus England, Schottland, Nordirland und Wales auch die FIFA vier Sitze hat, testet eine neue Abseitsregelung. Diese sorgt für erhitzte Gemüter – dabei gibt es nicht nur Argumente gegen eine solche Regelanpassung.
04.07.2023, 13:5004.07.2023, 16:56
Mehr «Sport»

Eine Idee vom ehemaligen Star-Coach Arsène Wenger könnte für eine Revolution im Fussball sorgen. Denn nun soll sein Vorschlag zur Änderung der Abseitsregelung getestet werden. So sollen Spieler in Zukunft nicht mehr im Abseits stehen, wenn sie sich mit einem Körperteil noch auf der Höhe des letzten Verteidigers befinden. Die mögliche Regeländerung stösst bei vielen Fussballfans auf taube Ohren. Was dennoch für diese spricht – und weshalb sie völlig sinnlos wäre.

Niklas Helbling: Seit Einführung des Video-Assistenten hat sich der Fussball grundlegend verändert. Immer wieder werden Spiele teils minutenlang unterbrochen und am Ende kommt oftmals ein Entscheid heraus, der immer noch nicht alle überzeugt – seien es die Spieler, die Trainerinnen oder die Fans. Selbst bei vermeintlichen Tatsachenentscheiden wie einer Abseitsstellung. Mal scheint die Linie krumm gezogen, mal ist ein Körperteil eines Spielers nicht eindeutig zu sehen oder geht dieses ganz vergessen.

Dies dürfte bei der neuen Regelung nicht mehr der Fall sein. Denn einerseits ist klarer zu erkennen, ob ein Spieler die Abseitslinie mit vollständigem Körperumfang überquert hat oder nicht. Ist die Fussspitze des Stürmers verdeckt oder der Arm des Verteidigers nicht zu sehen, ist es kein Abseits. So dürften die Entscheide auch schneller gefällt werden.

Andererseits wird ein gewisser Graubereich, wie beispielsweise beim aberkannten Tor von Lautaro Martinez gegen Saudi-Arabien, beseitigt. Bei jenem Tor stellen sich nämlich folgende Fragen: Wo hört die Schulter, also der Bereich, mit dem der Ball gespielt werden darf, auf? Und wo fängt der Arm, also der unzulässige Bereich, um den Ball zu berühren, an? Unter der neuen Regelung wird der Abseitsentscheid also tatsächlich zum Tatsachenentscheid.

Ob diese Lösung perfekt ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu sagen und mag für viele zweifelhaft erscheinen. Aber es schadet nicht, es zu testen, und falls es sich als Verschlechterung statt Verbesserung erweist, lässt man es dann halt sein. Doch jetzt schon darüber zu spekulieren, welche Auswirkungen das aufs Defensivverhalten haben wird, ergibt wenig Sinn.

Und auch wenn die Studie der FIFA, nach welcher 50 Prozent der aberkannten Tore im untersuchten Zeitraum unter der neuen Regelung gezählt hätten, nicht eins zu eins auf eine Zukunft nach der Änderung der Abseitsregelung übertragen werden können, erscheint es nur logisch, dass es tatsächlich mehr Tore geben wird. Und das will ein Grossteil der Zuschauerinnen und Zuschauer nun mal sehen.
Moritz Meister: Die neue Abseitsregelung würde nicht den gewünschten Effekt von attraktiverem und offensiverem Fussball haben. Defensivspieler werden sich einfach an die neuen Regeln anpassen und in Zukunft viel tiefer stehen, um dem Stürmer gar nicht erst die Möglichkeit zu geben, sich einen Vorteil zu verschaffen. Eine taktische Rückentwicklung, zurück zu einem Spielstil mit Libero, wäre nicht unwahrscheinlich. Das Spiel würde eher defensiver und unattraktiver als offensiver. Die Statik des Spiels würde sich verändern. Mittelfeldspieler würden im Niemandsland stehen, während die Abwehr hinten steht und die Stürmer vorne lauern.

Da gilt auch das Argument aus der internen Untersuchung der FIFA aus dem Jahr 2020 nicht. Diese ergab, dass 50 Prozent der Tore, die wegen einer Abseitsstellung aberkannt wurden, unter der neuen Regelung gezählt hätten. Doch aus Spielen, in denen andere Regeln galten, Schlüsse für eine neue Regelung zu ziehen, ist völlig sinnlos. Logisch hätte es mehr Tore bei einer anderen Regelung gegeben, genauso wie es weniger Handspenaltys gäbe, wenn man den Ball in die Hand nehmen dürfte. Dass dies so keinen Sinn ergibt, sollte jedem, der etwas von Fussball versteht, bewusst sein.

Der Änderungsvorschlag ergibt ebenso wenig Sinn wie Marco van Bastens Aufforderung im Jahr 2017, das Abseits komplett abzuschaffen. «So könnten die Stürmer hinter den Verteidigern stehen, wodurch es diese viel schwieriger hätten», sagte der Europameister von 1988 damals. Dabei beachtete er aber – so wie die Befürworter der aktuell diskutierten Regeländerung – nicht, dass anders gespielt werden würde und sich das komplette Spiel verändern würde.

Und für alle, die denken, dass sich die Wartezeit bei einem VAR-Eingriff verkürzen würde, sei so viel gesagt: Auch die Überprüfung, ob nun die Hacke eines Angreifers noch auf der Höhe des Verteidigers war, kann durchaus einige Minuten dauern. Möglicherweise würde es nicht mehr ganz so enge Entscheide geben wie vorher, doch auch hier wird der VAR weiterhin eine Linie ziehen, um möglichst genau zu markieren, ob jetzt die Schuhspitze des Verteidigers und die linke Schulter des schräg einlaufenden Stürmers noch irgendwo auf gleicher Höhe waren.
Bist du für die vorgeschlagene Änderung der Abseitsregel?
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die wichtigsten Transfers des Sommers 2023
1 / 82
Die wichtigsten Transfers des Sommers 2023
Andi Zeqiri, 24: Der Nati-Stürmer wechselt von Brighton zu Genk nach Belgien.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Lehmann und Wälti über die Kaderbekanntgabe
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
21 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
James R
04.07.2023 15:35registriert Februar 2014
Es gibt für mich zwei grosse Ärgernisse beim Fussball, die man mit einer anderen Auslegung der Regeln ändern könnte (die Abseitsregel gehört nicht dazu).

1. Die unsägliche Handspiel-Regel.
2. Die ständigen Diskussionen der Spieler mit dem Schiri.
371
Melden
Zum Kommentar
avatar
Yozef
04.07.2023 14:36registriert Oktober 2016
„Unter der neuen Regelung wird der Abseitsentscheid also tatsächlich zum Tatsachenentscheid.“
Denke nicht. Die milimeter entscheide verschieben sich doch nur nach „vorne“.
350
Melden
Zum Kommentar
avatar
jamaica420
04.07.2023 14:25registriert Juli 2021
Ich kann nur als IV in der 2.Liga sprechen...
Ist ja schön und gut dies bei den Profis mit VAR und allem drum und dran zu machen.
Wie sieht es aber im regional Fussball aus?
Aus meiner Sicht bei den Profis diskutabel. Bei den Amateuren blanker Horror. Ich hab ja noch das Glück gibt es auf meinem Niveau Linienrichter. Stellt euch das Szenario vor in der 3. Liga ohne Linienrichter, der Schiri 34 Meter abseits vom Geschehen und dann soll er noch Entscheiden ob der Stürmer einen Teil seines Körpers auf der Höhe des IV's hat oder nicht... Viel Spass..
223
Melden
Zum Kommentar
21
    Hockey-Nati schiesst sich für die WM warm – Hofmann-Hattrick gegen Finnland
    Das Schweizer Nationalteam kommt im zweitletzten Test vor den Weltmeisterschaften zu einem überraschenden Kantersieg. Im Rahmen der Euro Hockey Tour besiegt die Schweiz Finnland 8:2.

    Es ist wieder einmal diese Zeit des Jahres. Die Zeit, in der wohl die meisten Menschen Patrick Fischer nicht um seine Rolle beneiden. Der Trainer des Eishockey-Nationalteams muss vor der WM in Dänemark sein Kader immer wieder verändern und Spieler, die sich zuvor Hoffnungen auf einen Platz im WM-Aufgebot gemacht hatten, nach Hause schicken. Insofern wollen sich die Spieler von ihrer besten Seite zeigen, wenn ihnen der Coach eine Bewährungschance bietet.

    Zur Story