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Fussball: Wie künstliche Intelligenz (KI) das Transfergeschäft verändert

Detailliertes Aussehen des weißen AI Robot und Fußball Ball mit Sonnenlicht. Konzept Bild von sportlichen Aktivitäten, Strategie und Wissenschaft. 3D-Skizze-Design und Illustration. 3D-Rendering von h ...
Bild: Shutterstock

Maschine statt Mensch: Wie künstliche Intelligenz das Transfergeschäft verändert

Digitale Technologien drängen in den Profifussball. Schon jetzt verzichten Klubs im Scouting auf Mitarbeiter und setzen stattdessen auf KI. Diese kommt auf erstaunliche Resultate. Beispielsweise: Bayern-Star Jamal Musiala, 20, stagniert.
16.07.2023, 06:09
François Schmid-Bechtel / ch media
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Jamal Musiala stagniert. Er wird sich nicht mehr steigern. Eine steile These, die nicht nur Bayern-Fans als ungeheuerlich taxieren. Selbst neutrale Fussball-Liebhaber wundern sich, wie man im Zusammenhang mit diesem Zauberfussballer diese Behauptung aufstellen kann. Schliesslich ist Musiala ein Spieler wie von einem anderen Stern, Hoffnungsträger Deutschlands und erst 20-jährig. Doch die These stammt nicht von irgendeinem Stammtisch. Zu diesem Schluss kommt, wer die Daten einer künstlichen Intelligenz auswertet.

Sensor im Ball, Sensor am Trikot. Spieler- und Ballbewegungen werden in Echtzeit getrackt, Daten zu Schussgenauigkeit, Laufverhalten und Fitness gesammelt. Jedes Kopfballduell, jeder Pass, alles, was auf dem Rasen geschieht, findet den Weg in irgendeine Datenbank. Und nun wollen Start-ups mit Hilfe von künstlicher Intelligenz das Transfergeschäft revolutionieren. Big Data, Deep Learning und KI: Was nach Fortschritt klingt, lässt sich auch verkaufen. Deshalb herrscht gerade so etwas wie Goldgräberstimmung. Denn Lizenzen gibt es oft schon für einen fünfstelligen Betrag. Gemessen an der Aussicht auf Millionengewinne auf dem Transfermarkt ein Klacks.

«Die KI wird den Menschen im Fussball nicht ersetzen.»
Stefan Köck, Sportchef WSG Tirol

Der Mann, der die gewagte Prognose zu Musiala artikuliert, heisst Jan Wendt. Der Mann kommt nicht aus dem Profifussball, sondern aus dem Sportmarketing mit Fokus auf Motorsport. Zusammen mit einem Partner ist Wendt Mitgründer von «Plaier», einer Onlineplattform für Fussballklubs. Die Eigenwerbung tönt so: «Wer mit ‹Plaier› arbeitet, muss bei Transfers nie wieder allein auf die Fähigkeiten der eigenen Scouts bauen.»

Bayern's Jamal Musiala, left, challenges for the ball with Leipzig's Konrad Laimer during the German Bundesliga soccer match between FC Bayern Munich and RB Leipzig at the Allianz Arena stad ...
Mit Leichtigkeit am Gegenspieler vorbei: Jamal Musiala (links) schüttelt Leipzigs Konrad Laimer ab.Bild: keystone

Bevor Wendt dem «Spiegel» erzählt, dass Musiala stagnieren werde, betont er: Musiala spiele schon auf einem extrem hohen Niveau. Trotzdem: Solche Aussagen wirken sich nicht gerade förderlich auf den Marktwert eines Spielers aus. Erst recht nicht, wenn der subjektive Eindruck deckungsgleich ist mit dem Resultat der KI. Noch sind es Menschen, die entscheiden. Aber ins Grübeln kommt man wahrscheinlich schon, wenn die KI befindet, dass Musiala sein Potenzial bereits ausgeschöpft hat, aber gleichzeitig ein Preisschild von 100 oder mehr Millionen um den Hals trägt.

In Tirol setzt man auf KI statt auf Scouts

Einer, der mit einer KI arbeitet, ist Stefan Köck. Seit 19 Jahren arbeitet der 47-Jährige für WSG Tirol, ein österreichischer Erstdivisionär. Köck war Spieler, Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle und ist seit 2014 Sportdirektor. Er sagt: «Die KI ist allgemein im Kommen. Ich als technikaffiner Mensch will mich dieser Entwicklung nicht verwehren.»

Stefan Köck, Sportdirektor der WSG Tirol, setzt auch auf künstliche Intelligenz.
Stefan Köck, Sportdirektor der WSG Tirol, setzt auch auf künstliche Intelligenz.Bild: zvg

Die WSG Tirol ist ein kleiner Klub. Es waren auch finanzielle Aspekte, die in den Entscheid eingeflossen sind, auf das Tool von SCISports zu setzen. «Mit unserem 5-Millionen-Euro-Budget für den gesamten Verein können wir uns Scouts nicht leisten», sagt Köck. «Die KI wird den Menschen im Fussball nicht ersetzen. Die KI wird nie die Hauptrolle spielen. Zumindest nicht bei uns. Denn neben den fussballerischen Aspekten muss man auch die weichen Faktoren wie Fleiss, Arbeitseinstellung, Mentalität, Teamspirit und Integrationsfähigkeit berücksichtigen. Das kann die KI nicht. Aber sie hilft uns bei der Selektion und der fussballerischen Einschätzung von Spielern», so Köck.

Doch wie funktioniert das? «Wir, also der Trainer und ich, haben eine Meinung zu einem Spieler, der auf unserer Liste von möglichen Neuzugängen steht», sagt Köck. Danach lassen sie den Spieler durch die KI checken. Wenn die KI dem Spieler ein grosses Entwicklungspotenzial attestiert, wird aus einem interessanten Spieler ein Objekt der Begierde. Zuletzt eben erst passiert, als die WSG Tirol den Torhüter Adam Stejskal von Red Bull Salzburg verpflichtete.

Was, wenn die KI den eigenen Eindruck nicht bestätigt?

Sicher, man muss kein grosser Fussballfachmann sein, um Spieler aus dem Red-Bull-Reservoir als interessant zu taxieren. Dafür braucht man keine KI. Trotzdem ist Köck froh, dass die KI zum gleichen Schluss gekommen ist wie er und der Trainer. Falls nicht, «wären wir ins Grübeln gekommen», sagt Köck. «Das wäre sehr knifflig geworden. Ich weiss nicht, wie wir entschieden hätten. Aber bis jetzt hat mich die KI noch nie enttäuscht.»

«Entscheidend bleibt weiterhin die individuelle und persönliche Beobachtung interessanter Spieler vor Ort.»
Statement des FC Luzern

So auch, als im vergangenen Sommer mit Giacomo Vrioni der Topskorer – in der Saison 2021/22 hinter Karim Adeyemi zweitbester Torschütze in Österreich – den Verein verliess. Man beauftragte die KI, einen Stürmer mit dem Profil Vrionis zu suchen. Etliche Namen wurden ausgespuckt. Unter anderem auch jener von Nik Prelec, einem 21-jährigen Slowenen, der sich bei Sampdoria Genua nicht durchsetzen konnte. Die KI kam indes zum Resultat: Das ist der Spielertyp, den die Mannschaft sehr gut gebrauchen kann. Die Tiroler verpflichteten Prelec ablösefrei, der Spieler reüssierte (6 Tore in 13 Spielen) und konnte bereits ein halbes Jahr später für 1,3 Millionen Euro nach Cagliari verkauft werden.

In der Schweiz setzt man auf konventionelles Scouting

Obwohl die KI im Vergleich zu einem Scout günstiger, objektiver, effizienter und weltumspannend agiert, setzt man im Schweizer Fussball kaum auf künstliche Intelligenz. Beim FC Luzern heisst es: «Wir setzen zwar verschiedene technische Tools ein, um Spieler zu beobachten. Entscheidend bleibt aber weiterhin die individuelle und persönliche Beobachtung interessanter Spieler vor Ort.» Ähnlich tönt es auch in St.Gallen, Lugano, Aarau, beim FC Zürich oder bei YB. Vom FC Basel indes hört man, dass moderne Hilfsmittel wie KI, Algorithmen und Datenbanken im Scouting-Bereich sehr präsent seien. Aber genauso wichtig seien auch die nicht direkt messbaren Faktoren. Die KI könne nicht beurteilen, welches Gefühl, welches Näschen ein Spieler für gewisse Situationen habe, sagt Chefscout Patrick Dippel im «Blick».

Nur, die KI ist nicht von Emotionen geleitet. Ihr spielt es keine Rolle, ob man jenem Spielerberater einen Gefallen schuldig ist, den anderen Spielerberater nicht leiden kann, der Vater des Spielers sich unflätig benimmt, die Mutter des Spielers eine Glucke ist, der Spieler polygam lebt, Wettschulden hat, seine Familie finanziell unterstützt, mit einer Stiftung bedürftigen Menschen hilft oder das Leben eines Mönchs führt. «Deshalb», so Köck, «ist der Mittelweg zwischen menschlicher Intuition und der rein datenbasierten Einschätzung einer KI für uns erstrebenswert. Nur mein Auge und mein Gefühl reichen nicht für einen Transfer.»

«Die KI kann einen Trainer unterstützen, aber nie ersetzen»

Wie weit geht das noch mit der KI im Fussball? Wird sie eines Tages gar den Trainer ersetzen oder zumindest dem Trainer die Trainingsinhalte, die Aufstellung, die Taktik und das Coaching diktieren? «Das glaube ich nicht», sagt Köck. «Fussball ist ein Fehlersport. Wir brauchen Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen, sonst könnten wir mit Robotern spielen. Die KI kann einen Trainer unterstützen, aber nie ersetzen. Denn die KI sieht nicht, was im Kopf des Spielers passiert. Hat er private Probleme? Oder den nächsten Transfer im Kopf? Ein Trainer hingegen weiss, wie es um seine Spieler und die Mannschaft steht und kann das Training und den Matchplan dementsprechend anpassen.»

Randal KOLO MUANI (F) Aktion, Fussball 1. Bundesliga, 33.Spieltag, FC Schalke 04 (GE) - Eintracht Frankfurt (F) 2:2, am 20.05.2023 in Gelsenkirchen/ Deutschland. DFL regulations prohibit any use of ph ...
Überflieger der vergangenen Saison: Frankfurt Stürmer Randal Kolo Muani.Bild: imago

Übrigens: Auch die KI arbeitet nicht fehlerfrei. Jan Wendt von «Plaier» gibt im «Spiegel» zu, dass Randal Kolo Muani, derzeit einer der begehrtesten Stürmer Europas, bei ihnen durchgerutscht sei und liefert gleich eine Erklärung nach. Es liege womöglich daran, dass der Angreifer nach Jahren als Flügelspieler plötzlich ins Sturmzentrum gerückt sei. Solche Positionswechsel könne «Plaier» noch nicht erkennen.

Frankfurts Glück heisst in diesem Fall Ben Manga, der Kolo Muani in Nantes entdeckt hat. Im Sommer 2022 kam der Franzose ablösefrei nach Frankfurt, heute wird sein Marktwert auf mindestens 80 Millionen Euro geschätzt. Die Hessen dürfen sich auf eine Wahnsinnsmarge freuen, weil ihr früherer Scout Ben Manga die Maschine für einmal ausgetrickst hat. (aargauerzeitung.ch)

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