Herr Uhrich, Juventus bezahlt 112 Millionen Euro für Cristiano Ronaldo. In den nächsten vier Jahren zahlt ihm der Verein ein Jahresgehalt von 30 Millionen Euro. Kann sich dieser Transfer für Juventus wirtschaftlich überhaupt auszahlen?
Sebastian Uhrich: Prinzipiell schon. Man müsste dafür allerdings messen können, welchen Anteil Ronaldo nach seinem Wechsel zu den allfälligen sportlichen Erfolgen von Juventus beiträgt. Diesen Beitrag genau zu beziffern ist allerdings kaum möglich. Es ist aber auf jeden Fall so: Erzielt Juventus dank Ronaldo mehr sportliche Erfolge, generiert der Verein damit automatisch finanzielle Mehreinnahmen. Mehr sportliche Erfolge bedeuten z.B. mehr Einnahmen aus TV-Geldern, mehr Champions-League-Prämien. Noch viel wichtiger sind aber die indirekten Einnahmen.
Was meinen Sie damit?
Ronaldos Transfer verschafft Juventus eine kaum bezifferbare mediale Aufmerksamkeit. Cristiano Ronaldo ist möglicherweise der bekannteste Fussballspieler des Planeten. Er hat Fans in aller Welt. Von der Aufmerksamkeit, die Juventus dank Ronaldo zuteil wird, profitiert der Verein mannigfaltig: Sie steigert die Trikotverkäufe, erhöht die Anzahl Follower in den Sozialen Medien und macht Juventus generell attraktiver für Sponsoren. Dadurch kann der Verein bei Werbe- und Sponsoringverträgen mehr verlangen.
Ganz konkret: Kann Juventus Turin die rund 230 Millionen Euro, die es für Ronaldo insgesamt ausgibt, refinanzieren?
Das kann man nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Im Gegensatz beispielsweise zum Neymar-Transfer von Barcelona zu Paris St-Germain im vergangenen Jahr gab es bei Juventus aber durchaus auch rationale, ökonomische Abwägungen, die schliesslich zum Entscheid für diesen Transfer geführt haben. Die 112 Millionen Euro Ablöse sind bloss die fünfthöchste je bezahlte Summe. Für Ronaldo, der weiterhin einer der absolut besten Fussballspieler der Welt ist, lässt sich dieser Preis durchaus rechtfertigen.
Das war beim Neymar-Deal anders?
Der Neymar-Transfer fand nicht aus irgendwelchen ökonomisch begründbaren Motiven heraus statt. Den katarischen Eigentümern des PSG dient der Verein als Eintrittsticket in die Pariser Gesellschaft, der Klub ist ein Spielzeug unter anderen. Sie wägen lediglich ab, ob sie nun 222 Millionen Euro für Neymar ausgeben oder eine neue Luxusjacht kaufen wollen. Bei ihrem Ziel, dank Neymar endlich die Champions League zu gewinnen, sind sie in der vergangenen Saison kläglich gescheitert.
Die Sponsoring-Analysefirma Hookit berechnete den Wert, den Ronaldo zwischen Mai 2016 und Mai 2017 für seine und Real Madrids Sponsoren auf Social Media erzielte, auf knapp 1 Milliarde US-Dollar. Gemäss Hookit ist er damit der wertvollste Sportler der Welt. Wie sehr kann Juventus davon profitieren?
Im Sponsoring geht es immer weniger um traditionelle Formen wie Trikot- oder Bandenwerbung. Firmen stellen sich die Frage, wie sie ihr Sponsoring «aktivieren» können, wie man im Fachjargon sagt. Eine Möglichkeit dazu besteht darin, die Stars mit ihren Fans interagieren zu lassen und dabei die Produkte des Sponsors subtil zu bewerben. Juventus kann nun darauf verweisen, dass Cristiano Ronaldo bei Twitter 74 Millionen, bei Facebook 122 Millionen und auf Instagram 134 Millionen Follower hat. Diese Follower sind ein Segen für Juventus: Sie bringen Aufmerksamkeit, die härteste Währung im Sponsoring – was die Verhandlungsposition bei Gesprächen mit Sponsoren eindeutig stärkt.
Entscheiden sich Vereine aus sportlichen Gründen für einen Spieler wie Ronaldo oder geht es um die Vorteile im Sponsoring?
Sportliche Kriterien stehen nach wie vor im Vordergrund. Sonst hätten die grossen Klubs schon längst spielerisch limitierte Spieler aus China verpflichtet – dem interessantesten neuen Absatz- und Werbemarkt. Aber es ist zweifellos so, dass man sich nebst den sportlichen Überlegungen natürlich auch Gedanken dazu macht, welche Vorteile ein Spieler dem Klub im Sponsoring oder allgemein medial bringen kann. Das geschieht bei vielen Transfers im Profifussball, nicht nur bei Superstars wie Ronaldo.
Und was bringen Cristiano Ronaldo seine Millionen Follower bei Vertragsverhandlungen?
Über die Details solcher Transfergespräche wird ja meistens Stillschweigen vereinbart. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Ronaldo und sein Berater die Aufmerksamkeitssteigerung, welcher er Juventus bringt, aufs Parkett gebracht und entsprechende finanzielle Gegenleistungen eingefordert haben.
Sie haben vorhin China erwähnt. Asien gilt als Eldorado für europäische Spitzenklubs, wo sich mit Trikotverkäufen, TV-Geldern und Werbepartnerschaften Milliarden verdienen lassen. Was bedeutet der Ronaldo-Wechsel für Juventus und für Real in Bezug auf Asien?
Die Fussballfans in Asien sind tatsächlich häufig sehr viel mehr auf einzelne Stars fokussiert als auf Vereine. Insofern ist Ronaldo für Juventus ein Glücksfall: Viele seiner asiatischen Fans werden ihre Real- nun gegen Juventus-Trikots austauschen und auf den sozialen Medien nun den Turinern folgen. Das war etwa beim Transfer von David Beckham von Manchester United zu Real Madrid der Fall: Millionen Beckham-Fans in Asien wurden über Nacht von ManUnited- zu Real-Anhängern.