Nach dem Weiterkommen gegen Finnland ist Luana Bühler in Genf mittendrin. Sie umarmt ihre Nati-Freundinnen. Dabei trägt sie ein rotes Jäckchen, das Schweizer Kreuz prangt darauf. Kurz ist Bühler dort, wo sie während der Heim-EM hätte sein sollen: auf dem Platz. Die 29-jährige Verteidigerin von Tottenham Hotspur wäre die Abwehrchefin des Schweizer Nationalteams gewesen, doch die Luzernerin verpasste die EM angeschlagen. Im Interview spricht sie über ihre Gefühlslage.
Wie geht es Ihnen?
Luana Bühler: Eigentlich ganz gut. In den letzten paar Tagen habe ich versucht, etwas Pause zu machen und einfach mal abzuschalten. Und körperlich: Ich werde etwas Zeit und Reha brachen, um wieder richtig fit zu werden. In einem optimalen Rahmen hätte es für meinen Körper sicher mehr Ruhe gegeben als in den letzten Wochen und Monaten. Wir haben gehofft, dass es für die EM noch reichen könnte und es sah bis zuletzt auch gut aus.
Wer hat den Entscheid gefällt, dass es nicht fürs EM-Kader reicht?
Am Ende war es ein Entscheid des Trainerstaffs. Es wurde entschieden, dass ich in diesem Zustand nicht in der Lage bin, jene Rolle zu übernehmen, wie es das Nationalteam gebraucht hätte. Ich kann mir dabei aber nichts vorwerfen: Ich habe alles probiert, um rechtzeitig fit zu werden.
Wie sind Sie mit dem Entscheid umgegangen?
Es brauchte für mich schon ein, zwei Tage, um durchzuatmen und zu realisieren, dass es nicht geklappt hat mit der Heim-EM. Ein solches Turnier im eigenen Land erlebt man nur einmal im Leben, deshalb tut das schon sehr weh. Aber ich habe für mich entschieden, dass ich das bestmögliche aus der Situation machen möchte und die positiven Dinge mitnehme. Es ist ein sehr schöner Event hier in der Schweiz und ich freue mich, dass sich so viele Menschen für den Frauenfussball begeistern. Und ich denke, für mich war es wohl einfacher damit umzugehen, da meine Situation von Beginn weg eine spezielle war. Ich habe mich mental schon darauf vorbereitet, dass es eine Möglichkeit gibt, dass ich gesundheitlich nicht rechtzeitig fit werde. Mit dem Vorwissen konnte ich ein bisschen besser umgehen.
Dennoch: Die Heim-EM gibt eine noch nie dagewesene Aufmerksamkeit auf den Schweizer Frauenfussball. Sie hätten als Abwehrchefin eine entscheidende Rolle gespielt, nun sind Sie aussen vor.
Das, was mich am meisten gereizt hätte, war das Gefühl, dass ich vor dem Turnier hatte. Das Team ist nochmals näher zusammengerückt, wir haben gemerkt, dass dies etwas ganz Spezielles ist, was auf uns wartet. Die Trainings waren extrem cool. Man hat gemerkt, dass das Niveau nochmals deutlich gestiegen ist. Und es freut mich extrem, dass man das auch jetzt in den Leistungen sieht. Klar ist es schade, dass ich das nun selber nicht auf dem Platz erleben kann. Dennoch ist es extrem schön, jetzt zu sehen, welche Reaktion von aussen kommt. Ich glaube, diese Heim-EM ist ein Verdienst aller, die jemals in diese Richtung gepusht haben, den Schweizer Frauenfussball grösser zu machen. Da gehören alle dazu. Nicht nur die aktuellen Nationalspielerinnen, sondern auch alle vor uns.
Statt als Spielerin auf dem Platz zu stehen, waren Sie nun an allen drei Schweizer Gruppenspielen als Fan im Stadion. Wie haben Sie das erlebt?
Ich spiele lieber, als dass ich zuschaue. Als Spielerin konzentriert man sich auf seine Aufgabe und ist weniger nervös. Als Zuschauerin leide ich extrem mit, man hat keinen Einfluss auf das Spiel. Gegen Finnland war es schon eine zittrige Angelegenheit, auch wenn ich immer daran geglaubt habe, dass wir es noch drehen können. Auch wenn ich jetzt zuschaue, sehe ich mich immer noch als Teil des Teams. Beim Nationalteam handelt es sich um eine Einheit, die grösser als die 23 Spielerinnen ist. Und positiv ist: Als Fan erlebe ich jetzt auch, was rund um die Spiele passiert. Ich war zum Beispiel beim Fanmarsch in Bern dabei. Es war wunderbar zu sehen, wie friedlich und freudig alles ist. Diese Stimmung während der Spiele ist einmalig.
Nach dem Viertelfinal-Einzug waren Sie auf dem Platz und haben mit den Spielerinnen gefeiert. Ist die Feier danach in der Kabine weitergegangen?
Ja, ich war wirklich kurz in der Kabine. Es gab ein kurzes Tänzchen. Natürlich habe ich dabei mitgemacht, auch wenn ich überhaupt nicht tanzen kann. (Lacht.) Doch allzu lange war die Feier nicht, für die Spielerinnen ging es danach ja wieder zurück ins Nati-Camp in Thun.
Wie kann man es sich vorstellen, wenn die eigentliche Abwehrchefin beim Fanmarsch mittendrin ist? Können Sie sich da noch vor Autogrammwünschen retten?
Schwierig. (Lacht.) Spass beiseite: Wenn ich mit der Familie unterwegs bin eher weniger, aber ausserhalb des Stadions gab es schon den einen oder anderen Wunsch nach einem Foto oder einer Unterschrift. Aber ich finde das schön. Es zeigt, dass die Leute explizit wegen uns an diesen Spielen sind und sich wirklich für den Frauenfussball interessieren. Sie kennen nicht nur jene Nationalspielerinnen, die nun während der EM glänzen. Ich kann auch einen Vergleich ziehen: Vor einem Jahr waren Viola Calligaris und ich bei der Männer-EM. Wir waren beim Achtelfinal gegen Italien. Dort wurden wir im Vergleich deutlich seltener angesprochen. Das zeigt mir schon, dass wir an der Heim-EM wirklich Fans des Frauenfussballs ansprechen. Dazu kommt natürlich die tolle Leistung der Nati, die mit ihren Leistungen die Begeisterung erst richtig ausgelöst hat.
Waren Sie überrascht von den Auftritten?
Nein, überhaupt nicht. Man hat das vor dem Turnier gespürt. Wir wussten, dass wir unter unseren Möglichkeiten geblieben sind in den letzten Monaten. Ich habe im Training gesehen, dass so viel mehr Potenzial in diesem Team steckt und im Hinblick auf das Turnier begannen Details plötzlich zu greifen. Mich hat es enorm gefreut, dass wir mutig gespielt haben und dabei oft sehr gute Entscheidungen getroffen haben. Wir haben uns nicht versteckt, haben probiert, offensiven Fussball zu spielen. Jede hat versucht, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben gezeigt, dass das unsere Heim-EM ist und wir eine Begeisterung für den Frauenfussball in der Schweiz auslösen möchten.
Am Freitag geht es gegen Spanien, die Weltmeisterinnen. Gibt es eine kleine Schweizer Chance?
Klar, ich traue uns sicher eine Überraschung zu. Wir wissen alle, dass es ein sehr starker Gegner ist. Vielleicht das überzeugendste Team an dieser EM bisher. Wenn Spanien ihre Qualitäten auf den Platz bringt, wird es sehr schwer. Aber wenn wir selber das Maximale herausholen und Spanien nicht den besten Tag erwischt, ist gerade mit dem Stadion im Rücken einiges möglich. Wir müssen unangenehm verteidigen und die Chancen zum Umschalten gut nutzen. Wir haben in diesem Turnier gesehen, dass die Spanierinnen bei Konter durchaus anfällig sind.
Sind Sie dann wieder im Stadion als Fan dabei?
Leider nicht, ich bin in London. Heute Freitag haben wir Trainingsstart mit Tottenham, mein Klub erwartet mich zurück, da man mich dort schon seit Mai nicht mehr gesehen hat. Natürlich wäre ich gerne dabei gewesen im Stadion, vielleicht finde ich ja aber ein Public Viewing in London und kann so mitfiebern. Mein voller Fokus ist natürlich jetzt aber wieder gesund zu werden, um dann selber wieder auf dem Platz zu stehen.