Ludovic Magnin führte Lausanne-Sport zurück in die Super League und zuletzt nach schwierigem Saisonstart weg vom Tabellenende. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der 44-jährige Trainer über die Wichtigkeit eines ruhigen Arbeitsumfelds, gelernte Gelassenheit, sprachliche Barrieren, als er in die Heimat zurückkehrte, sowie Geschenke für seine Spieler. Und der 62-fache Internationale erklärt die spezielle Beziehung zu seinem Herzensklub, der ihn einst wegschickte.
Ludovic Magnin, Lausanne-Sport ist in der Super League im Hoch. Zehn Punkte aus vier Spielen liessen das Team auf Platz 9 klettern. Was lief zuletzt besser?
Ludovic Magnin: Man muss es immer von zwei Seiten aus betrachten. Die eine Seite ist die Leistung, und ich denke, die war von Anfang an gut, aber leider hat sich diese Leistung nicht in den gewonnenen Punkten gespiegelt. Diese zehn Punkte geben uns das Vertrauen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mehr aber auch nicht.
Mit drei Partien innert sechs Tagen war der Spielrhythmus zuletzt sehr hoch. Das Kader ist nicht darauf ausgerichtet. Wie gingen Sie damit um?
Als ich mit dem FC Zürich in der Europa League spielte, hatte ich dasselbe Problem, aber über eine längere Zeit (lacht). Ich bin natürlich froh, dass wir nicht zu oft eine englische Woche bestreiten müssen.
Weshalb?
Weil wir im Aufbau sind. Man darf nicht vergessen, dass wir der Aufsteiger sind. Das vergessen die Leute natürlich, wenn sie Lausanne-Sport hören mit der Geschichte dieses Vereins. Aber Geschichte ist nicht der Ist-Zustand. Wir sind nicht mehr in den 50er- oder 60er-Jahren, als wir Meister waren. Wir sind nicht mehr in den 90er-Jahren mit der grossen Mannschaft von Stefan Rehn (mit dem schwedischen Mittelfeldspieler gewann Lausanne-Sport 1998 und 1999 den Cup, Anm.d.Red.). Es ist wichtig, dass wir uns kontinuierlich in der Super League etablieren.
Von den ersten neun Spielen konnte Lausanne-Sport nur eines gewinnen und rutschte ans Tabellenende. Hatten Sie in dieser Phase einmal Angst um ihren Job? In Basel und Yverdon mussten in dieser Saison schon Trainer gehen.
Was in Yverdon passiert ist, ist von aussen unverständlich. In Basel ist es eher nachvollziehbar. Aber wenn man als Trainer Angst hat, entlassen zu werden, sollte man gar keinen Vertrag unterschreiben (lacht). Als junger Coach macht man sich sicher mehr Gedanken, wenn es sportlich nicht läuft, aber mit den Erfahrungen, die ich sammeln konnte, stehe ich jeden Morgen mit der Überzeugung auf, mein Bestes zu geben. Es kommt, wie es kommt.
Woher nehmen Sie diese Gelassenheit?
Urs Fischer ist ein gutes Beispiel. Er sollte für jeden Trainer ein Vorbild sein, nachdem er mit Union Berlin drei Jahre lang viel gewonnen hat. Jetzt hat er bis zum 1:1 am Mittwoch gegen Napoli zwölf Spiele in Serie verloren. Er ist immer noch der gleiche Mensch, der gleiche Trainer, aber plötzlich läuft es nicht mehr. Es ist nicht immer der Trainer schuld, aber wir sind die, die fliegen. Das gehört dazu.
Wie haben Sie die Klubführung während des schwierigen Saisonstarts erlebt?
Ich hatte nie das Gefühl, infrage gestellt zu werden. Ich habe sehr viel Unterstützung von unserem Präsidenten Leen Heemskerk, von den Besitzern von Ineos, weil sie sehen, wie wir arbeiten. Und wenn der Verein das sieht, können sie auch drei, vier nicht so erfolgreiche Spiele akzeptieren.
Ist diese Ruhe im Umfeld auch ein Grund, warum es zuletzt aufwärts ging?
Definitiv. In der Schweiz gibt es ein paar Vereine, in denen immer wieder Unruhe herrscht. Aber auch mit ständigen Wechseln erzielen sie kein besseres Ergebnis. Wir wissen, weshalb es zu Beginn der Saison nicht lief. Wir mussten die Abgänge von wichtigen Spielern verkraften. Spieler, die neu dazu stiessen, hatten noch keine Spielpraxis und brauchten Zeit. Die Vereinsführung ist immer in alle Entscheide involviert, also kann man nicht einfach den Trainer entlassen, wenn man von Anfang an wusste, dass die Mannschaft Zeit brauchen würde. Seit ich in Lausanne bin, kann ich in einem sehr konstruktiven Klima arbeiten, in dem ich mich sehr wohl fühle. Die Mannschaft findet sich langsam, hat die Abgänge verdaut. Wir sind auf einem guten Weg.
In der letzten Saison schenkten Sie vor einem Spiel gegen Thun allen Spielern einen Spiegel mit der Botschaft, jeder soll sich selbst betrachten und reflektieren, was er machen könnte, um weiterzukommen. Haben Sie in dieser Saison auch schon Geschenke verteilt?
(lacht) Nein, ich habe noch nicht in die Trickkiste gegriffen. Solche Sachen sind nicht geplant, es sind Bauchentscheide, bei denen ich mich frage, was die Spieler im Moment gerade brauchen. In dieser Saison habe ich noch nichts in diese Richtung gemacht, weil ich nie das Gefühl hatte, dass wir auf einem falschen Weg sind. Wenn es einen besonderen Impuls braucht, werde ich mir etwas überlegen.
Obwohl Sie Romand sind, haben Sie als Trainer bis zu Ihrer Ankunft in Lausanne im Sommer 2022 immer im deutschsprachigen Raum Mannschaften trainiert. Haben Sie Unterschiede bemerkt?
Das sind Welten. Ich war 21 Jahre im Welschland, und dann als Spieler und Trainer 21 Jahre im deutschsprachigen Raum in der Deutschschweiz, Deutschland und Österreich. Als ich nach Lausanne kam, war das schon eine Umstellung für mich, weil ich – obwohl es meine Muttersprache ist – noch nie auf Französisch gecoacht hatte. Mein Fussballwortschatz war stark vom Deutschen geprägt. In den ersten zwei Wochen merkte ich schon, dass ich das eine oder andere Wort auf Französisch suche.
Was haben Sie sonst noch festgestellt?
Es tönt zwar nach einem Klischee, aber es stimmt irgendwie schon: Von der Kultur und der Mentalität her gelten in Lausanne andere Tugenden als in der Deutschschweiz. In der Deutschschweiz gilt: Was du morgen erledigen kannst, erledigst du heute. Im Welschland ist es eher: Was du morgen erledigen kannst, erledigst du übermorgen. Und in der italienischen Schweiz dann eher überübermorgen. Im Welschland ist der unbedingte Wille als Spieler und Team zu gewinnen, weniger ausgeprägt, dafür herrscht eine grosse Risikobereitschaft, mutig mit dem Ball nach vorne zu spielen. In der Deutschschweiz ist es gerade umgekehrt. Da musste ich mich schon anpassen. Es ist aber sehr spannend, in diesen unterschiedlichen Kulturen zu arbeiten und zu versuchen, überall erfolgreich zu sein.
In Lausanne, beim Klub Ihrer Jugend, dürfte es von der Emotionalität her aber schon etwas anderes sein als beispielsweise in Altach.
Wenn ich in Altach in einem Restaurant ass, hatte ich meine Ruhe. In Lausanne kenne ich natürlich sehr viele Leute, deshalb kommt Kritik auf mich zurück, und die nimmst du anders wahr, wenn sie von Freunden kommt. Ich höre alles, was erzählt wird. Ich habe in meiner Karriere einige Vereine in mein Herz geschlossen, aber wenn es dein Jugendverein ist, mit dem du als 12- oder 13-Jähriger auf der Tribüne mit Trikot und Kappe mitgefiebert und Lieder mitgesungen hast, ist das schon etwas ganz anderes. Und man will unbedingt Erfolg haben.
Spüren Sie Druck?
Der Druck, letztes Jahr aufzusteigen, war der grösste Druck, den ich in meiner Karriere erlebt habe. Bis dahin war ich eigentlich immer locker, aber auch aufgrund meiner persönlichen Vergangenheit mit dem Verein wollte ich einfach unbedingt etwas erreichen.
Wie meinen Sie das?
Als Spieler war es zwischen mir und Lausanne-Sport nie eine Liebesgeschichte. Als ich 16 war, wurde ich weggeschickt, weil ich nicht gut genug sei. Deshalb war es für mich sehr wichtig, mit meinem Herzensverein etwas Positives zu erreichen. Seit dem Aufstieg bin ich viel lockerer geworden, weil uns diesen niemand nehmen kann.
Sie haben die erfolgreichen Zeiten von früher angesprochen. Kann Lausanne-Sport einst wieder Titel gewinnen?
Das ist natürlich ein Traum. Aber wir sind uns bewusst, dass noch einige Jahre vergehen werden. In der Vergangenheit hat der Verein manchmal zu hohe Ziele kommuniziert und zu hohe Ansprüche gestellt, aber wenn man etwas aufbaut, ist man gut beraten, eine Treppenstufe nach der anderen zu nehmen und nicht zu sehr daran zu denken, wo Lausanne-Sport in der Vergangenheit einmal war. In dieser Saison wollen wir in der Super League bleiben, in der nächsten dann einen Schritt nach vorne machen.
Und welche Schritte hat Ludovic Magnin als Trainer noch im Kopf?
Ich habe schon als Spieler nie einen Karriereplan gemacht. Ich fand das immer ein Unding. Heute ist das gerade mit jungen Spielern etwas, das man immer wieder hört. Man müsse einen guten Karriereplan machen. Aber ich verstehe nicht, wie das möglich sein soll. Ich funktioniere anders. Ich bin dankbar für alles, was ich in meinem Privatleben und meinem Sportlerleben erleben durfte. Das ist nicht selbstverständlich. Ich gebe jeden Tag Gas, und erst wenn ein Angebot reinkommt, mache ich mir Gedanken dazu.
Wie im März, als Sie bei Ihrem Ex-Klub Stuttgart im Gespräch waren.
Ja, es gab damals Gespräche. Daraus will ich kein Geheimnis machen. Aber ich bin froh, dass Stuttgart sich für Sebastian Hoeness entschieden hat und ich nicht eine Entscheidung treffen musste. Ich bin sehr glücklich in Lausanne, und es müsste extrem viel passieren, dass ich mein Glück anderswo finden würde. Ich bin wieder zu Hause, und momentan kann ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu arbeiten.» (ram/sda)