>>> Das lange Videointerview mit Erich Hänzi gibt's am Ende des Artikels.
Da sitzt er nun, der Berner Fussballgott schlechthin: Erich Hänzi, der «blonde Engel», hat mit seinen 52 Jahren seine legendäre Mähne etwas zurückgestutzt. Wir treffen den früheren Verteidiger und heutigen Talent-Manager von YB im Stade de Suisse. Der Lengnauer Uhrmacher-Sohn gehört zum Verein wie die YB-Wurst. Kein Wunder, trat Kuno Launener mit Züri West einst gar unter dem Namen «Friends of Hänzi» in der Bundesstadt auf.
Erich Hänzi, du gehörst zu den letzten Spielern, die bei YB einen Pokal stemmen durften. 1987 hast du mit den Young Boys in der Verlängerung den Cupsieg gegen Servette geholt. Welcher Moment ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Erich Hänzi: Bei mir hat sich ein Bild besonders eingebrannt: Als mir Adolf Ogi auf der Tribüne den Cup-Kübel überreichte. Kaum in der Hand, gab ich ihm den mit Schampus gefüllten Pokal wieder zurück. Dölf sollte sich auch noch einen Schluck genehmigen können. In diesem Moment realisierte ich: Wir haben es geschafft. Das war ein unglaubliches Gefühl.
Die meisten YB-Fans wissen gar nicht, wie man einen Titel feiert. Was ging damals ab?
Im Stadion jubelten wir zuerst mal so richtig mit den Fans, das war ein Riesenfest. Die Leute strömten auf den Rasen. Unglaubliche Emotionen kamen hoch. Danach gingen wir mit dem Team ganz dick essen und den Cupsieg zelebrieren. Nähere Details dazu weiss ich nicht mehr – und will ich auch nicht preisgeben (schmunzelt).
Wer war die grösste Rampensau im Team?
Es ist wirklich zu lange her (grinst). Wir waren aber eine gute Truppe. Ich hörte, dass einige Spieler erst am nächsten Morgen nach Hause kamen. Aber an die Details kann ich mich nicht erinnern. Für mich war es ein ganz spezielles Gefühl, nach der berauschenden Nacht aufzuwachen. «Wir haben etwas ganz Grosses erreicht», ging mir damals durch den Kopf.
Was löste der Titel in dir als Spieler aus?
Man sieht plötzlich seinen Namen in den Vereinsbüchern und weiss: Damals war ich mit dabei und habe Geschichte geschrieben. Das zeigt sich jetzt. Wir sind auch 32 Jahre später noch ein Thema.
Den YB-Meistertitel 1986 hast du hingegen als Spieler um ein Jahr verpasst. Das wurmt dich bis heute, oder?
Überhaupt nicht, ich spielte damals beim FC Lengnau und wollte meine Ausbildung und das Militär abschliessen. 1986 wäre ich für die erste Mannschaft noch nicht reif gewesen.
YB kämpfte im Jahr 2000 gegen den Abstieg in die erste Liga. Trotzdem bist du nach einem Abstecher nach Lausanne zu den Young Boys zurückgekehrt. Dann ging es steil aufwärts mit dem Verein. Seither bist du für viele YB-Fans der «Fussballgott». Was bedeutet dir das?
Natürlich ist der Begriff eine Ehre, aber ich habe mir deswegen nie etwas eingebildet. Die Fans haben den Erfolg wohl mit mir als Rückkehrer in Verbindung gebracht. Es war einfach eine unglaublich tolle Zeit. Die Euphorie kannte keine Grenzen, als wir uns im Neufeldstadion unter Marco Schällibaum als Aufsteiger für die Finalrunde qualifizierten. Bei YB hat man in den letzten 31 Jahren zwar nie einen Titel geholt, aber trotzdem viele grossartige Momente erlebt. Das darf man nie vergessen. Die Zeit im Ausweichstadion Neufeld war die schönste Phase meiner Karriere als Fussballer.
Züri West nannte sich zeitweise zu deinen Ehren als «Friends of Hänzi». Was ging dir da durch den Kopf?
Meine Schwester hat mich darauf hingewiesen, ich wusste nichts davon! Ich wusste nicht genau, was da abging. Mein persönlicher Fussballgott war übrigens Robert Prytz, ein unglaublicher Fussballer. Selbst im Training hat sein Team jedesmal gewonnen. Er war ein absoluter Leader.
Viele Clubs standen damals vor dem Ruin. Profis warteten vergeblich auf ihren Lohn. Wie bist du über die Runden gekommen?
Die meisten Fussballer arbeiteten damals, ich war in einem Ingenieurbüro in der Administration tätig. Das war auch bitter nötig. YB kämpfte mit finanziellen Problemen, wir warteten manchmal monatelang auf die Löhne. Es kam uns aber nie in den Sinn, zu streiken oder einen Aufstand zu machen. Wir wussten, dass der Verein alles versucht, damit wir unseren Lohn erhalten. Damals gab es für die Spieler übrigens eine Zuschauer- und keine Siegprämie. Wir kassierten fünf bis zehn Rappen pro Fan, heute ist das undenkbar.
Was hat sich seither im Fussball-Business aus Spielersicht am meisten verändert?
Heute muss ein Spieler 24 Stunden pro Tag für den Fussball leben. Sich richtig ernähren, genug schlafen. Sein Verhalten in der Öffentlichkeit ist wegen den sozialen Medien viel wichtiger geworden. Früher konnte man auch mal in den Ausgang gehen, ohne dass es am nächsten Tag gleich alle wussten.
Schauen wir in die Gegenwart. YB dominiert die Liga, hat schon eine Hand am Meisterkübel und kann gar das Double gewinnen. Warum haben die Berner nach über 30 Jahren plötzlich Erfolg?
Es herrscht Ruhe bei YB! Zudem sind Sportchef Spycher und seinem Team gute Transfers gelungen. YB hat die beste Mannschaft seit 32 Jahren und der Teamgeist ist toll. Die Equipe und der Staff harmonieren bestens. Es ziehen einfach alle am selben Strick. Das war nicht immer so. Wir erinnern uns noch an die ‹Phase 3›: YB kündigte in der Vergangenheit viel zu viel an und wollte den schnellen Erfolg erzwingen. Um Titel zu holen, braucht es aber eine gewisse Kontinuität. Erfolg kann man nicht erkaufen. Das ist das Schöne am Fussball, sonst würde nur noch das Geld regieren.
Mit über 20'000 Zuschauern hat YB einen doppelt so hohen Zuschauerschnitt wie in der letzten Meistersaison vor 32 Jahren. Warum ist Fussball wieder in?
Das Stadion ist sicher ein entscheidender Faktor. Ein Match ist heutzutage ein Event mit grossem Drumherum. Früher ging es nur um den Fussball, heute trifft man sich im Stadion und ist schon lange vor dem Match da. Die YB-Fangemeinde wird derzeit fast stündlich grösser. Man hört von allen Seiten wieder den Spruch «YB macht glücklich». Der Verein hat in der Region eine enorme Euphorie ausgelöst, die unserer Stadt gut tut.
Die Young Boys sind bereits auf die Zielgeraden im Meisterrennen eingebogen. Gegen Aussen sprechen die Spieler aber trotz 13 Punkten Vorsprung noch immer nicht vom Titel. Wie sieht es im Team wirklich aus?
Natürlich ist die Vorfreude riesig. Aber überheblich auf den Platz zu gehen wäre der erste Schritt zur Niederlage. Die Spieler sind sich bewusst, dass die Ausgangslage sehr vielversprechend ist. Wir bleiben aber bescheiden, bis das Team die nötigen Punkte eingefahren hat. Es ist sicher kein Nachteil, dass die meisten Spieler die letzten 30 Jahre gar nicht mitbekommen haben. Sie haben nur ein Ziel vor Augen: das Double zu gewinnen.
Veryoungboysen war gestern – gewinnt YB heuer einen Titel, geht der ganze Verlierer-Kult verloren, der die Berner so lange begleitet und sie in der ganzen Schweiz sympathisch gemacht hat.
Da muss ich den Verein verteidigen: YB ist seit 31 Jahren ohne Titel, aber ganz bestimmt kein Loser-Klub! Viele Vereine in der Schweiz wären froh um die Erfolge, die wir in der letzten Zeit gehabt haben. Wir sind aber sicher glücklich, wenn die Worte, die ich jetzt nicht ausspreche, endlich verschwinden (er meint veryoungboysen, die Red.).
Als Talent-Manager betreust du die besten Talente bei YB auf und neben dem Platz. Wie wirkt sich der Erfolg auf den Nachwuchs aus?
Die erste Mannschaft ist das Zugpferd des Vereins. Es ist während einer erfolgreichen Phase sofort einfacher, die besten Talente an den Verein zu binden, damit sie ihre Auslandabenteuer nicht zu früh starten. Manchmal muss man die Junioren noch zusätzlich antreiben, damit sie noch eine Ausbildung abschliessen. Darauf bestehen wir. Bei uns bricht niemand die Lehre ab. Es gab aber schon Fälle, wo wir uns von Spielern trennen mussten. Etwa weil sie hinter unserem Rücken mit anderen Vereinen verhandelt hatten.
Welche Rolle spielen die Berater?
Es kommt tatsächlich vor, dass bei 14-jährigen Buben plötzlich externe Berater auftauchen und der Familie den Kopf verdrehen. Da müssen wir Gegensteuer geben und die Jungs wieder erden.
Kommen wir zum Schluss: Kann YB den Titel überhaupt noch verspielen?
Die Mannschaft ist dermassen gefestigt, sie wird sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen lassen. Davon bin ich voll und ganz überzeugt.
Warum ist heuer eigentlich der Fussballgott YB-Fan?
Wir haben es einfach verdient. Wir haben uns den Erfolg erarbeitet, erkämpft, verdient, nichts anders. Da braucht es keinen Gott. Bei mir steigt mit jedem Match die Nervosität. Manchmal habe ich ein wenig das Gefühl, dass ich träume. Wir können ja sogar das Double holen.