Unabhängig vom Ausgang des Wimbledon-Finals wird die Diskussion wieder losgehen, wer nun der Beste der Geschichte ist. Wen sehen Sie vorne: Roger Federer, Rafael Nadal oder Novak Djokovic?
Heinz Günthardt: Es kommt immer darauf an, welche Parameter man nimmt. Die Sandsaison ist zum Beispiel viel kürzer. Heisst das, Sand ist weniger wichtig als Hartbelag? Ist es nicht unfair, dass es nur ein Grand-Slam-Turnier auf Sand gibt? Früher waren es zwei auf Sand und zwei auf Rasen. Aber wo wäre Rafa, wenn alle auf Rasen wären? Das ist eine Frage der Gewichtung. Die Diskussion ist gut fürs Geschäft.
Wie gewichten Sie?
Für mich ist es die grösste Leistung, dass einer wie Nadal in Paris zwölf Mal das gleiche Grand-Slam-Turnier gewonnen hat. Das ist absolut unvorstellbar. Djokovic hat vier Grand-Slam-Turniere in Folge gewonnen – und das fast noch ein zweites Mal geschafft. Das ist der Wahnsinn. Und Federer? Der könnte mit 38 vielleicht den 21. Grand-Slam-Titel holen. Auch das ist unvorstellbar. Man findet für alle drei viele gute Argumente. Es wird auf diese Diskussion nie eine Antwort geben.
Federers erste Finalgegner in Grand-Slam-Turnieren hiessen Mark Philippoussis, Fernando Gonzalez oder Marcos Baghdatis, die nie ein grosses Turnier gewannen.
Federer profitierte von einem gewissen Vakuum, die Konkurrenz fehlte. Denen, die richtig gut Tennis spielen konnten wie Marat Safin, David Nalbandian oder Guillermo Coria, fehlte etwas. Es gab in dieser Generation einige, die richtig viel Talent hatten, aber keiner hatte den Biss. Safin zum Beispiel konnte zwei Wochen gut spielen, aber er hat sich so aufgerieben, dass er danach drei Monate keinen Ball mehr traf. Gewinnen muss normal sein, sonst wird es zu anstrengend.
Wie sehr hat Federer in der dominantesten Phase seiner Karriere davon profitiert, dass Rafael Nadal, Novak Djokovic und auch Andy Murray noch nicht so weit waren?
Das soll nicht despektierlich sein, aber wenn dein grösster Gegenspieler Andy Roddick ist, dann ist das sicher nicht das Gleiche, wie wenn es Novak Djokovic oder Rafael Nadal gewesen wäre, keine Diskussion.
Bei Grand-Slam-Turnieren hat Federer gegen Nadal und Djokovic eine desaströse Bilanz…
Ja, schon, aber er hat trotzdem 20 gewonnen, Nadal 18. Die drei haben alle etwas gemeinsam: Gewinnen ist eine Gewohnheit, die du dir früh aneignest, Federer hat das geschafft. Du gewinnst bei den Junioren, dann bei den Erwachsenen. Es gehört dann einfach zu dir: Du bist ein Gewinner. Boris Becker ist ein gutes Beispiel dafür. Er gewann blutjung in Wimbledon. Er hatte dadurch immer das Gefühl: Ich bin besser. Diese gewisse Arroganz braucht es. Ich meine das durchaus positiv.
Federer wird bald 38 Jahre alt. Wie hat er es geschafft, so lange an der Spitze zu bleiben?
Federer bedeutet es alles, draussen auf dem Platz zu stehen und den Match zu gewinnen. Und wenn er vom Platz geht, ist er total locker drauf. Diese Kombination ist eigentlich unmöglich: So locker und gleichzeitig so ehrgeizig. Das ist absolut faszinierend und einmalig. Federer hat einen unfassbaren Ehrgeiz, sonst würde er in diesem Alter nicht mehr auf diesem Niveau spielen. Und er hat die Fähigkeit, abschalten zu können. Persönlich beeindruckt mich das am meisten.
Wie ausgeprägt ist diese Eigenschaft bei Nadal und Djokovic?
Sie kämpfen viel mehr mit sich. Djokovic macht sich so viele Gedanken zu allen möglichen Themen. Er stellt sich Fragen wie: Wer bin ich? Was will ich? Er macht Yoga, beschäftigt sich mit Spiritualität. Nadal kämpft dauernd mit seinem Selbstvertrauen. Er muss viele gute Matches gespielt haben, damit er selber glaubt, gut drauf zu sein. Roger hingegen kann das Selbstvertrauen einfacher konservieren, weil er einfach grundsätzlich sehr viel entspannter ist und sich weniger Gedanken macht. Das ist Teil seines Talents: Roger kann einfach viel besser abschalten als seine Kollegen: Vollgas auf dem Platz, völlig entspannt daneben. Björn Borg konnte das zum Beispiel überhaupt nicht. Darum hat er auch schon so früh aufgehört. Das hat viel mit Selbstvertrauen zu tun. Es ist eine Eigenschaft.
Novak Djokovic ist aber ziemlich selbstbewusst…
Richtig. Ich erinnere mich noch, wie er vor seinem ersten Grand-Slam-Final gegen Federer in einer Selbstverständlichkeit sagte: Ich habe eine Chance, zu gewinnen. Viele fanden das überheblich. Andere sagten: Ich hoffe, Roger bricht sich ein Bein, alle haben gelacht. Djokovic aber machte eine Ansage: Er sagte es, und meinte es auch so. Er verlor zwar in drei Sätzen, aber wenig später gewann er die Australian Open.
Und nun trifft Federer im Wimbledon-Final auf Novak Djokovic, nachdem er im Halbfinal Rafael Nadal bezwungen hat. Welche Erwartungen haben Sie vor diesem Final?
Beide innerhalb von drei Tagen zu besiegen, ist die grösste Aufgabe, die es gibt. Gegen Djokovic ist es schwieriger, anzugreifen, weil seine Bälle weniger abspringen. Dazu spielt er gut Longline und dort ist es per Definition nicht möglich, den Winkel zu verkürzen. Novak ist schwieriger auszurechnen. Und weil er besser retourniert als Nadal, muss Federer bei eigenem Aufschlag mehr Tennis spielen.
Welche Rolle spielt es, dass Federer 2014 und 2015 in Wimbledon jeweils den Final gegen Djokovic verloren hat?
Wenn er auf den Platz läuft, spielt das sicher keine Rolle. Aber die Erinnerungen sind abgespeichert und wenn etwas passiert, werden diese geweckt. Es ist zum Beispiel oft passiert, dass Federer gut servierte, Djokovic aber noch besser retournierte. Das führte dazu, dass Roger noch mehr riskierte – und dadurch mehr Fehler machte. So geriet er in einen Teufelskreis. Denn diese Muster sind im Kopf abgespeichert.
Was ist der Schlüssel für einen Sieg gegen Djokovic?
Die Grundvoraussetzung ist, dass Federer gut serviert. Dann stehen die Chancen gut. Auf Dauer ist Djokovic in längeren Ballwechseln besser. Deshalb sollte die Devise lauten: Früh in die Offensive –entweder über den Return, oder über den Service. Er muss sicher eine Quote von über 30 Prozent nicht retournierter Aufschläge erreichen, dann stehen die Chancen gut. Auf Dauer sollte er keine langen Ballwechsel spielen. Gegen Nadal kannst du weniger Slice spielen, aber gegen Djokovic ist das äusserst effektiv. Er wird mit Sicherheit umstellen, auch kurze Returns spielen. Also im Prinzip alles, was er gegen Nadal nicht macht.