Die WM ist zu Ende – das Schlusskapitel hat Lionel Messi geschrieben, den Pokal in den Händen und gekleidet in einen arabischen Umhang, Bischt genannt. Den hatte ihm zuvor der Emir von Katar umgehängt. Das hat viel zu reden gegeben. Wie ordnen Sie die Szene ein?
Jürgen Mittag: Sie hat als Schlusspunkt stimmig gepasst zu dieser WM. Hier die Katarer, die der WM nochmals ihren Stempel aufdrücken wollen, und das auf durchaus dominante Art. Da die westliche Perspektive, aus der man die Aktion ein Stück weit als Aneignung verstanden hat.
Als Aneignung dieses grossen Moments der Pokalübergabe.
Genau, der Moment hat ja schon fast etwas Sakrales, weil alles auf diesen Höhepunkt hinausläuft. Eigentlich sollen dann ja die siegreichen Spieler und der Pokal im Vordergrund stehen. Das war diesmal anders. Ich verstehe, dass man sich darüber aufregt. Gleichzeitig spiegelt die Szene die durchgehende Politisierung dieser WM idealtypisch. Bis zum Ende hat jeder versucht, seine Interessen durchzusetzen, kulturell, wirtschaftlich, politisch. Es war eine überraschende Aktion, aber eigentlich darf sie nicht überraschen.
Dann war der Umhang für Messi auch für Sie mehr als ein Akt der Gastfreundschaft?
Ja, natürlich, das war eine gezielte Aufladung dieses Moments.
Mit welchem Ziel?
Die Rolle und Bedeutung Katars nochmals deutlich hervorzuheben – und gewissermassen die Erinnerung an diese WM und die bleibenden Bilder zu bestimmen. In die Geschichtsbücher wird dieses Bild von Messi, dem Pokal – und eben dem Umhang, der für Katar steht, sicherlich eingehen.
Was bleibt sonst noch von dieser WM, neben diesem letzten Bild?
Die WM 2022 wird als umstrittene oder ambivalente in die Geschichte eingehen – eine WM, bei der vieles neu gewesen ist, zuallererst der arabische Ausrichter, dem man mit Skepsis begegnete. Es ist den Katarern aber gelungen, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Stärke unter Beweis zu stellen, denn grundsätzlich hat das Emirat diese WM erfolgreich durchgeführt.
Wie wird man in 20 Jahren auf die WM 2022 zurückblicken?
Das hängt mutmasslich stark von der Länderperspektive ab. In Deutschland wird das Bild auch absehbar kritisch bleiben, aus politischen wie sportlichen Gründen. In Argentinien wird das Urteil sehr viel positiver ausfallen. Es kommt beides zusammen: spannende Spiele, friedliche Fans, viele Emotionen einerseits. Andererseits aber auch die harsche Kritik an den Rahmenbedingungen.
Hat Katar von dieser WM bekommen, was es wollte – hat sich das Sportswashing gelohnt, die 220 Milliarden Investitionen für ein besseres Image?
Ich möchte zuerst zwei andere Begriffe einbringen: Sportdiplomatie und, vor allem, «Nation Branding».
Diesen Begriff müssen Sie erklären.
«Nation Branding» steht für die Idee, ein Land mit der Ausrichtung eines Grossanlasses bekannt zu machen, es auf der Landkarte zu verorten. Das ist Katar hervorragend gelungen. Wenn man sieht, wie klein dieses Land ist, wie wenige Einwohner es hat, dann muss man sagen: Der Plan ist aufgegangen. Vor zwölf Jahren war Katar weitgehend unbekannt. Jetzt steht es auf der Landkarte, dank verschiedener Sportanlässe, und natürlich vor allem dank der Fussball-WM. Es steht für Modernität, für Sicherheit, einerseits. Womit wir beim Sportswashing angekommen wären. Hier geht es um eine Art Überschminken politischer und gesellschaftlicher Realitäten mithilfe des Sports.
Das hat aber höchstens teilweise geklappt.
Ja. Die harte Kritik im Vorfeld in Sachen Menschenrechte und Arbeitsmigranten bleibt am Land haften. Das gilt auch für die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem EU-Parlament. Wenn die sich bewahrheiten, dürfte sich das Bild von Katar als «Schminkmeister» noch weitaus stärker verfestigen.
War je eine WM politischer als diese?
Nein. Ich würde das einordnen in eine Tendenz, die wir seit etwa zwei Jahrzehnten erleben: Der Sport und der Fussball werden zunehmend politisiert, auch, weil sie einer der wenigen Kommunikationsorte sind, an dem fast alle Teile der Gesellschaft zusammenkommen. Gesellschaften sind zunehmend fragmentiert, Lebensformen und Freizeitaktivitäten differenzieren sich immer weiter aus. Sport und Fussball aber bleiben als gemeinsame Essenz der Kommunikation. Hier reden alle mit. Katar steht für einen neuen Höhepunkt dieser Politisierungskurve.
Nach dem Kroatienspiel wollte ich darauf achten ob der Emir der Schiedsrichterin die Habd gibt, ups geschnitten? es ist nicht zu sehen!
Alle Beteiligten auch wenn sie kritisierten, haben sich letztendlich den Regeln Katars unterworfen.
War vor 4 Jahren in Russland genauso