Der Final war der krönende Abschluss einer WM, die seit der Vergabe an Katar viel Sand im Getriebe hatte. Im Vorfeld der WM rückte insbesondere Katars Menschenrechtsbilanz ins Rampenlicht – einschliesslich der konservativen Gesetze, die Frauen diskriminieren, die politische Meinungsäusserung einschränken oder Homosexualität gleich ganz verbieten. Und auch einschliesslich der Bedingungen für ausländische Arbeiter, welche die Stadien aus dem Boden stampften.
Doch mit Anpfiff des ersten Spiels wurden die kritischen Stimmen leiser. Und ausgerechnet Lionel Messi und Kylian Mbappé werden zu den grossen Figuren der WM – beide bei Paris Saint-Germain finanziert und bezahlt durch einen katarischen Staatsfonds.
Katars Masterplan scheint also spätestens beim WM-Final aufgegangen zu sein. Oder?
Ist es dem Wüstenstaat wirklich gelungen, mithilfe von «Sportswashing» seinen Ruf als Staat ohne Menschenrechte reinzuwaschen? Wir ziehen Bilanz – wo das überhaupt schon möglich ist.
Menschen sind beim Bau der Stadien und sonstiger WM-Infrastruktur gestorben – das ist sicher. Die erschreckende Zahl von 15'000 für die FIFA geopferten Arbeitsmigranten geisterte im Vorfeld des Grossevents durch die Medien. Doch sie ist wohl zu hoch gegriffen: Die Zahl entstammt einem Report von Amnesty International aus dem Jahr 2021 über das Versäumnis Katars, Wanderarbeiter im Land zu schützen.
Die Menschenrechtsorganisation hat die Zahl dabei von den katarischen Behörden selbst – sie bezieht sich auf alle Ausländer, die zwischen 2011 und 2020 in Katar starben. Und in Katar sind rund 90 Prozent der Einwohner Ausländer (Katar ist das Land mit den meisten Arbeitsmigranten weltweit). Arbeitsmigranten aus Asien und Afrika arbeiten im Niedriglohnsektor (Bau, Hausangestellte), solche aus Europa oder arabischen Ländern als Fachkräfte im Hochlohnsektor.
Die FIFA und die verantwortlichen Behörden bestanden lange darauf, dass nur drei Menschen als direkte Folge ihrer Arbeit auf WM-Baustellen gestorben sind – zwei Nepalesen und ein Brite. Die FIFA bestätigte vor wenigen Tagen einen weiteren Todesfall. Und sie lässt verlautbaren:
Seit Juni hat die FIFA in einer Reihe von Mitteilungen bekannt gegeben, dass sie Wege finden wolle, um Wanderarbeiter zu entschädigen. Erst am 13. Oktober 2022, bei der Anhörung des Europarats zu den Arbeitsrechten in Katar, erklärte der stellvertretende FIFA-Generalsekretär Alasdair Bell, dass man Entschädigungen für verletzte Arbeiter oder Hinterbliebene «auf jeden Fall vorantreiben» wolle.
Doch bis jetzt ist nichts passiert.
Darum haben namhafte Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International die FIFA im Dezember aufgefordert, den sogenannten «FIFA Legacy Fund» von Katar zu nutzen, um Entschädigungen für die Arbeiter und die Familien der Verstorbenen zu finanzieren.
Der «FIFA Legacy Fund» von Katar wurde 2020 eingerichtet und hat unter anderem den Zweck, die «Einhaltung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte bei der Ausrichtung von FIFA-Turnieren zu unterstützen», wie die FIFA schreibt.
Tirana Hassan, Direktorin von Human Rights Watch, sagt:
Doch auch wenn die FIFA zahlte, der Zugang zu den Geldern wird gerade für Hinterbliebene schwer sein, denn die grosse Mehrheit der Todesfälle von Wanderarbeitern in Katar wurde von den katarischen Ärzten als «natürliche Todesursache» klassifiziert. Und: Ihre Angehörigen bleiben verstorben.
Für die neu errichteten WM Stadien haben Arbeitsmigranten ihr Leben gegeben. Noch vor dem WM-Ende hat der Wüstenstaat mit den ersten Abbauarbeiten begonnen. Drei der acht Arenen – viel zu viele für so ein kleines Land, in dem der Fussball nicht sonderlich populär ist – sollen komplett verschwinden, der Rest soll zurückgebaut werden.
Der ganze Glitzer der WM wird bald unter einem Sandhaufen verschwinden – und mit ihm auch die Arbeitsrechte?
Als Resultat der im Vorfeld geführten Berichterstattung sind für Arbeitsmigrantinnen und -migranten neue Rahmenbedingungen geschaffen worden, darunter die Einführung eines Mindestlohns sowie die Möglichkeit eines Jobwechsels.
Doch das ins Rollen gekommene Steinchen mag nun stehen geblieben sein. Wie Amnesty International berichtet, sind die angekündigten Reformen bislang nicht wirksam umgesetzt worden. Die Ausbeutung gehe weiter.
Malcolm Bidali, ein ehemaliger Sicherheitsbeamter in Katar und Aktivist, sagte gegenüber CNN:
Dass sich hieran etwas ändert, ist nicht absehbar – auch, weil sich der Blick der Welt nun wieder von Katar abwendet.
Kritisiert wurde im Vorfeld der WM auch, dass Katar homosexuelle Handlungen als Straftat ansieht und inhaftierte Homosexuelle in Haft misshandelt, oder dass Transgender-Personen in Konversionstherapien gefoltert würden.
Daran wird sich wohl nichts ändern aufgrund der WM. Denn in Katar bleiben Frauen weiterhin per Gesetz benachteiligt und Homosexualität bleibt illegal.
An der WM selber haben sich die Scheichs geweigert, den weiblichen Unparteiischen die Hand zu schütteln. Zudem wurde die One-Love-Binde von der FIFA kategorisch verboten. Die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen hat es in Katar also sogar auf den Fussballplatz geschafft. Ganz nach den Gepflogenheiten des Landes.
Katar ist und bleibt weiterhin ein autoritär regierter Staat.
Gianni Infantino feiert währenddessen seine Erfolgs-WM. «Es war eine faire WM, alle haben die Ruhe bewahrt», sagt der gebürtige Walliser an einer Medienkonferenz. «Das, was hier im Nahen Osten erreicht wurde, ist etwas Einzigartiges. Das ist etwas, das nur eine WM erreichen kann.» Man müsse die WM deshalb auch weiterhin in neuen Ländern organisieren.
Klimatisierte Stadien, die statt mit Sonnenenergie mit Gas beheizt wurden – und nun zurückgebaut oder abgetragen werden. Das Versprechen der klimafreundlichsten WM hat sich als Fata Morgana herausgestellt.
Katars Nachbar Saudi-Arabien bemüht sich darum, den bedeutendsten Sportanlass der Welt für das Jahr 2030 zu sich zu holen. Gemeinsam mit Ägypten und Griechenland will sich Saudi-Arabien um die Austragung der Weltmeisterschaft bewerben. Die Werbung für den möglichen Austragungsort flackerte bereits über die TV-Bildschirme.
Menschenrechtsverletzungen, neue aus dem Boden gestampfte Stadien mit integrierten Klimaanlagen, Alkoholverbot – droht ein Katar 2.0?
Noch steht die Entscheidung in den Sternen. Sie wird 2024 gefällt. Dabei hat der kleinere Wüstenstaat dem grossen Bruder schon vorgemacht, dass sich eine Fussball-WM mit Geld kaufen lässt.
Tatsache ist bereits jetzt, dass Saudi-Arabien die Menschenrechte gemäss Menschenrechtsindex noch mehr missachtet als Katar. Und dass auch eine mögliche WM in Saudi-Arabien im Winter stattfinden würde. Grün würde somit nur die Flagge Saudi-Arabiens sein.