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Zwilchhosen-Ronaldo: Der Aargauer Schwinger Tiago Vieira

18.07.2015; Weissenstein; Schwingen - Weissenstein Schwinget; Tiago Vieira (Biberstein) (Christian Boss/freshfocus)
Nimmt noch einen Schluck Wasser, bevor's ins Sägemehl geht: Tiago Vieira.
Bild: Christian Boss/freshfocus

Er ist der Zwilchhosen-Ronaldo: Tiago Vieira möchte Eidgenosse werden – und dann Schweizer

Im Schwingsport tragen die Athleten noch urschweizerische Namen – zumindest die meisten. Tiago Vieira tanzt deshalb aus der Reihe. Der Portugiese aus Biberstein AG hofft, dass er am Eidgenössischen in Estavayer einen Kranz gewinnt.
28.07.2016, 13:4328.07.2016, 13:43
Rainer Sommerhalder / Nordwestschweiz
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Frauen fragt man aus Anstand nicht nach dem Gewicht. Und Schwinger? Die Sägemehlring-Athleten verweisen in der Regel mit Stolz auf ihre dreistellige Zahl in der Gewichtstabelle. Ausgerechnet jener, der damit prahlen könnte, er führe die Nordwestschweizer Kilo-Rangliste an, zögert nach der Frage spürbar.

«Tiago Vieira, stimmen die 140 kg, die angegeben werden?» Der Frage folgt der einzige Moment im Gespräch, wo die ansteckende Fröhlichkeit und der bärenstarke Optimismus des 25-Jährigen kurz in den Hintergrund rücken. «Letztes Jahr stimmte das», lautet die zögerliche Antwort. «Und heute?» Noch einmal folgen lange Sekunden der Stille. «Eigentlich war es mein Ziel, das Gewicht auf 130 kg zu reduzieren. Doch inzwischen wiege ich 160 kg.» Dies sei sogar für einen Schwinger zu schwer, sagt er selbstkritisch.

Zwar fällt man einen 193-cm-Koloss wie Vieira nicht so einfach, «aber selber gelingen einige Schwünge wegen der zusätzlichen Masse eben auch nicht mehr wie gewünscht». Man spürt es, es ist derjenige Faktor auf Vieiras Weg zum zukünftigen Schwingerkönig, der ihn selber stört. «Das Gewicht muss definitiv runter», sagt er.

Eines Tages Schwingerkönig

So bleibt dem gebürtigen Portugiesen, dessen Eltern seit 35 Jahren in der Schweiz leben, nichts anderes übrig, als das Erreichen seines ambitionierten Ziels noch einmal zu verschieben. Vieira glaubt fest daran, dass er eines Tages dazu in der Lage sein wird, das Eidgenössische Schwingfest zu gewinnen: «Ich traue mir das zu.» Jedoch kaum bereits in Estavayer.

Trotzdem ist seine optimistische Grundhaltung nicht angekratzt und bleiben die Vorgaben für den Megaanlass von Ende August den eigenen Massstäben entsprechend hoch. Den Kranz strebt er an. Damit wäre Tiago Vieira «Eidgenosse», bevor er überhaupt den Schweizer Pass besitzt. Diesen will er auf jeden Fall beantragen, nur hat es aus verschiedenen Gründen bisher einfach nicht geklappt.

Basel, 14. Mai 2015, Baselstaedtischer Schwingertag 2015. Janic Voggensperger (U, Schoenenbuch) gegen Tiago Vieira (O, Biberstein) (Rolf Eicher/EQ Images)
Sennenschwinger Tiago Vieira drückt Turnerschwinger Janic Voggensperger ins Sägemehl.
Bild: EQ Images

Er sieht aus wie ein typischer Schwinger, kämpft wie einer und spricht auch so

Tiago Vieira lebt noch immer zu Hause bei den Eltern, will aber nächstes Jahr mit seiner Verlobten zusammenziehen. Mit ihr teilt er die Leidenschaft des Reisens. Er hat im Leben mehr Länder besucht als Kränze gewonnen.

Der exotische Touch, den der Portugiese in die urschweizerische Sportart trägt, beschränkt sich letztlich auf seinen Namen. Vieira sieht aus wie ein typischer Schwinger, kämpft wie einer und spricht auch so. Tage nach dem Ende der Fussball-EM spürt man den Portugiesen höchstens aufgrund seiner leichten Überdrehtheit. «Natürlich habe ich mich mega über Portugals Titel gefreut», sagt er, «obwohl ich nicht der grosse Fussballfan bin.» Für diese Rolle sei sein jüngerer Bruder zuständig.

Seit einigen Jahren arbeitet der neunfache Kranzgewinner intensiv im mentalen Bereich. Eine Folge davon, dass er bei seinem ersten Auftritt an einem Eidgenössischen 2010 in Frauenfeld zwar «körperlich sehr bereit war, mental aber überhaupt nicht». Er trifft sich regelmässig mit einem befreundeten Sportpsychologen und lässt sich zudem hypnotisieren. Die Mittel erfüllen den Zweck; Vieira hält fest: «Ich habe gelernt, das Beste aus dem Ist-Zustand zu machen und negative Gedanken auszublenden.»

10.05.2015; Boltigen; Schwingen - Oberlaendisches Schwingfest 2015; Tiago Vieira (Bibrist) gegen Simon Anderegg (R, Unterbach) (Christian Boss/freshfocus)
Der starke Simon Anderegg (rechts) spendiert Vieira eine Portion Sägemehl.
Bild: Christian Boss/freshfocus

Ein Mensch, der das Positive sieht und sucht

Diese Fähigkeit zeichnet den 25-Jährigen offensichtlich auch beruflich aus. Zwar hat der gelernte Bäcker-Konditor bereits mehrmals den Beruf gewechselt, trotzdem schwärmt er weiterhin von allen ausgeübten Tätigkeiten. Man spürt, Tiago Vieira ist ein Mensch, der das Positive sieht und sucht. Den gelernten Job gab er auf, weil die Arbeitszeiten und das Training eines Leistungssportlers nur schwer unter einen Hut zu bringen waren. Bei der Arbeit danach als Gerüstbauer liebte er zwar die Tätigkeit im Freien, verletzte sich aber heftig an der Schulter. Später als Versicherungsberater konnte er seine kommunikativen Stärken gewinnbringend einsetzen, musste aber wegen der Abendeinsätze zu oft aufs Klubtraining in Aarau verzichten.

Nun scheint er als Aussendienstmitarbeiter einer Firma für Artikel im Büro-, Gastro- und Hygienebereich den idealen Mix gefunden zu haben. Er überzeugt KMU-Firmen von den Vorteilen der eigenen Produkte. Und bald auch die Zuschauer in Estavayer von den Vorzügen der eigenen Schwingkunst? Eines ist sicher: Tiago Vieira wird alles in die Waagschale werfen.

Blick in die Zukunft: So feiert Lissabon, wenn Tiago Vieira Schwingerkönig wird ;-)

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Der Pokal ist in Portugal: Ronaldo und Co. feiern in der Heimat den EM-Titel
Auf der Praça Marquês de Pombal im Herzen Lissabons feiern Zehntausende euphorisch ihre Europameister.
quelle: x01620 / rafael marchante
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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bowell
28.07.2016 14:51registriert Mai 2014
Scheint ein sehr cooler Typ zu sein! Viel Erfolg in Estvayer :) !
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Schreiberling
28.07.2016 14:15registriert Februar 2014
Coole Geschichte und offenbar ein toller Mensch!
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knight
28.07.2016 15:24registriert Februar 2015
ich will mir die kommentarspalte zu diesem artikel bei 20min garnicht vorstellen...
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