Oscar De La Hoya packt die ganz grossen Kaliber aus, wenn es um den Boxkampf zwischen Gervonta Davis und Ryan Garcia geht. De La Hoya ist der Promoter von Garcia und so darf man hinter seinen Worten durchaus auch eigennützige Motive vermuten. Dennoch ist seine Aussage nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ebenso wenig wie wenn er sagt: «Das ist der Kampf des Jahres.»
Denn Davis und Garcia sind zwei der spannendsten Boxer zurzeit. Beide gehen ungeschlagen in das heiss erwartete Duell, das von langer Hand geplant ist, aber mehrmals aus unterschiedlichen Gründen scheiterte. Wie so oft im Boxen gab es Streitigkeiten zwischen den Promotern und den Übertragungsstationen, doch Garcia wollte den Kampf unbedingt und auch für Davis war klar, dass er gegen den Mexikaner kämpfen wollen würde. Und so werden aus wiederholten Spitzen über die sozialen Medien am Sonntagmorgen (7.30 Uhr Schweizer Zeit) Jabs und Aufwärtshaken.
Es ist keine Selbstverständlichkeit im Boxsport, dass solche Fehden tatsächlich im Ring enden. Auch deshalb besteht die Chance, dass ein Boxkampf erstmals seit 2018 die Marke von einer Million Pay-Per-View-Käufen durchbricht. Der Kostenpunkt liegt in den USA bei 85 Dollar. Es dürften nicht nur eingefleischte Box-Fans einschalten: Das ungleiche Duell fasziniert über das gewöhnliche Publikum hinaus.
Ryan Garcia gilt als Schönling und Teilzeit-Influencer, auf Instagram hat er 9,6 Millionen Follower, so viele wie kaum ein anderer Boxer. Die Stärke des 24-Jährigen liegt in seiner Schnelligkeit, die Gegner wissen bei seinen schnellen Schlagabfolgen oft nicht, wie ihnen geschieht. Gleichzeitig ist Garcia ein «empathischer Mensch», wie er selbst zu «The Athletic» sagt. Dies liege an der schwierigen Zeit, die der gläubige Christ hinter sich hat.
Im Jahr 2021 nahm er sich eine lange Auszeit vom Boxen, weil er mit seiner mentalen Gesundheit zu kämpfen hatte. «An einem Punkt wollte ich mich umbringen», erzählte er «USA Today». Erst durch Therapie fand der zweifache Vater den Weg zurück in die Spur – und in den Ring. Nach den beiden Siegen im letzten Jahr steht er nun bei einer Bilanz von 23-0-0, 19 Erfolge kamen durch K.o.
Sein Gegner ist da das komplette Gegenteil. Für Gervonta Davis sind Probleme mit der mentalen Gesundheit lediglich Ausreden. Fast alle hätten mit psychischen Problemen zu kämpfen, er verstehe nicht, wieso Garcia das öffentlich preisgebe. «Ich glaube, er braucht die Aufmerksamkeit. Er will, dass die Leute Mitleid mit ihm haben», so der 28-Jährige.
Davis, der in sehr armen Verhältnissen in Baltimore aufwuchs und lange Zeit in Pflegefamilien oder Heimen lebte, hat selbst mit einigen Problemen zu kämpfen. Im November 2020 beging er nach einem Autounfall, bei dem vier Menschen ins Krankenhaus eingeliefert wurden, Fahrerflucht. Am 5. Mai – rund zwei Wochen nach dem Kampf gegen Garcia – erwartet Davis das Urteil, möglicherweise muss er ins Gefängnis. Im Januar wurde er zudem wegen häuslicher Gewalt gegen die Mutter eines seiner Kinder angeklagt. Dennoch wird er an diesem Wochenende in Las Vegas in den Ring steigen.
In der Wüstenstadt in Nevada strebt er seinen 29. Sieg im 29. Kampf an – am liebsten zum 27. Mal vorzeitig. Wegen seiner Power wird Davis auch «The Tank» genannt. So wird das Duell zwischen Davis und Garcia auch eines zwischen Kraft und Schnelligkeit sein. Zwar ist weder Davis langsam noch Garcia schwach, doch können sie in diesen Aspekten mit der Stärke des jeweils anderen nicht ganz mithalten.
Um einen Titel wird es nicht gehen, obwohl Davis den Weltmeistertitel im Leichtgewicht (bis 61,2 kg) vom Verband WBA hält. Doch für den Kampf gegen Garcia, der normalerweise im Superleichtgewicht (bis 63,5 kg) kämpft, haben sich die beiden auf ein Kampfgewicht von 61,7 Kilogramm geeinigt. Normalerweise magern sich die Kontrahenten vor dem Wiegen durch Dehydration und Verzicht auf Nahrung auf das benötigte Gewicht herunter, um danach wieder aufs Normalgewicht zu kommen. Das wird dieses Mal aber vor allem für den 14 Zentimeter grösseren Garcia nicht unbeschränkt möglich sein. Denn am Morgen des Kampfs wird noch einmal gewogen, dann liegt die Grenze bei 66,2 Kilogramm.
Garcia interpretiert das als Mangel an Integrität und Kampfgeist: «Er mag es, gegen Leute zu kämpfen, die keine Kraft haben. Er hat nicht das Herz eines Champions.» Der 1,66-Meter-grosse Davis antwortete darauf: «Er ist grösser und kommt von fast 80 Kilogramm. Soll ich zulassen, dass er beim Kampf über 70 Kilogramm wiegt? Ich bin doch nicht dumm.» Garcia ist seinem Gegner bei den Klauseln entgegengekommen, ebenso bei der Verteilung des Preisgelds, von dem er etwas weniger erhält als Davis. Er habe genug davon, gegen zweitklassige Boxer anzutreten, «es ist keine Herausforderung». Deshalb wollte er diesen Kampf unbedingt: «Es ist das Einzige, was ich seit langer Zeit wollte: Gervonta Davis zu besiegen und ihn zu zerstören. Alles zu beenden, für das er je gearbeitet hat.»
Der Grössen- und Gewichtsvorteil liegt bei Garcia, insgesamt wird der vielseitigere Davis aber deutlich favorisiert. Nichtsdestotrotz zweifelt Garcia keine Sekunde daran, dass er gewinnen wird: «Ich sehe, wie ich ihn mit einem linken Haken erwische und dann gute Nacht.» Davis versprach seinem Gegner, ihm «den Kiefer zu brechen. Bring deine Mutter und deine Tochter besser nicht mit.»
😲 @RyanGarcia and @Gervontaa make a vow to break each other's jaw and end the in violent fashion 😤
— DAZN Boxing (@DAZNBoxing) April 20, 2023
Watch #DavisGarcia LIVE on PPV in the USA & Canada this Saturday, April 22. Watch on DAZN as part of your regular subscription in selected international markets. pic.twitter.com/qdmez21Be4
Bald werden «King» Ryan Garcia und Gervonta «Tank» Davis versuchen, ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Beiden ist schon jetzt eine Gage in Höhe einer zweistelligen Millionensumme sicher. Dabei sah es kurzzeitig noch so aus, als würde der Sieger mit allem und der Verlierer mit nichts nach Hause gehen. Davon sprachen der Mexikaner und der US-Amerikaner in einem Livestream, doch gemäss Garcia ist es schlussendlich aber nicht zu einer Wette gekommen. Er sei zwar bereit dazu, so siegessicher sei er. Dann fügte er versöhnlich hinzu: «Ich hätte sein Geld ohnehin nicht genommen. Ich will nicht, dass er pleitegeht. Du hast zu hart dafür gearbeitet und viel durchgemacht, das würde ich dir nicht antun.»
Möge der Bessere gewinnen. Unmöglich zu sagen, wer es wird.
Beide haben gute Chancen. Und genau dies macht den Kampf so spannend.