Serbien. Nun kommt es tatsächlich zu einer Finalissima um das Weiterkommen. Selbst Nati-Captain Granit Xhaka sagte gestern Abend: «Wenn wir ehrlich sind, wussten wir schon vor dem Turnier, dass das Serbien-Spiel das entscheidende wird.»
Aber die Ausgangslage ist nicht ganz so, wie sie vielleicht erwartet worden war. Die Schweiz hat die Bilanz, die angesichts der Stärkeverhältnisse in der Gruppe G am realistischsten schien. Sie hat Kamerun 1:0 besiegt und gegen Brasilien 0:1 verloren.
Anders die Serben. Sie haben beim 0:2 gegen Brasilien schlechter ausgesehen als die Schweiz. Vor allem aber haben sie gegen Kamerun eine 3:1-Führung nicht ins Ziel gerettet, sondern beim 3:3 Punkte liegen gelassen.
Deshalb kann die Schweiz mit einem Bonus ins Direktduell am Freitagabend (20 Uhr) steigen. Ihr reicht ein Unentschieden – vorausgesetzt, Kamerun schlägt nicht völlig überraschend Brasilien. Den Serben hilft nur ein Sieg, sonst ist die WM für sie vorbei.
Es dürfte eine völlig andere Partie werden als die zwei bisherigen der Schweiz an diesem Turnier. Gegen Kamerun machte sie das Spiel als Favorit weitgehend und hatte es nach einer nervösen ersten Halbzeit dank eines Treffers gleich nach Wiederanpfiff im Griff. Gegen Brasilien versuchte Murat Yakins Mannschaft primär, den Gegner in Schach zu halten. Das gelang über weite Strecken, erst in der 83. Minute nutzte der Rekord-Weltmeister eine seiner raren Gelegenheiten.
Im Duell mit Serbien gibt es keinen klaren Favoriten. Die Südosteuropäer sind defensiv schwächer einzustufen, fünf Gegentore in zwei Spielen sind eine Menge. Dafür hat Serbien im Angriff mit Spielern wie Dusan Vlahovic, Aleksandar Mitrovic, Luka Jovic oder Filip Kostic mehrere Hochkaräter.
Die Schweizer müssen versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Es muss ihnen gelingen, die Emotionen aus dem Spiel zu halten. Ruhig spielen, sicher stehen, wie gegen Brasilien. Aber nach vorne mehr wagen. Wie ein Buchhalter, der am Casual Friday mal etwas riskiert. Der Speed von Breel Embolo und Ruben Vargas kann eine Waffe sein – zumal Serbien tendenziell angriffiger spielen wird, da es unbedingt gewinnen muss. So kann es Platz für Schweizer Konter geben.
Gegen Brasilien fehlten mit Noah Okafor und Xherdan Shaqiri zwei Spieler, die der Offensive viel bringen können. Shaqiri wird von Beginn an auflaufen, sofern er wieder fit ist. Gesperrt ist keiner, Yakin kann vermutlich aus dem Vollen schöpfen.
Der Schweizer Trainer gilt als gewiefter Taktiker. Murat Yakin hat dazu das Zeug, auch bei laufendem Motor an den Schrauben zu drehen. Sowohl gegen Kamerun wie gegen Brasilien justierte er sein Team in der Halbzeitpause taktisch neu. Gegen die Afrikaner führte dies kurz nach Wiederbeginn zum Siegtor, gegen Brasilien zeigte sich die Schweiz plötzlich offensiv etwas mutiger als zuvor, kam im Ansatz zu Möglichkeiten. Das lässt hoffen, dass die Schweiz auch gegen Serbien in der Lage ist, Probleme zu lösen, wenn sie denn auftreten.
Das alles ist die sportliche Sicht der Dinge. Besonders macht dieses Spiel gegen Serbien zudem seine Vorgeschichte. Denn das Duell gab es schon vor vier Jahren an der letzten WM. Die Schweiz gewann es 2:1, Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri schossen die Tore und bejubelten sie mit der Doppeladler-Geste, nachdem sie zuvor von serbischen Fans übel beleidigt wurden.
Damals wirkten sämtliche Mitglieder der Schweizer Delegation überrumpelt von den Ereignissen vor, während und nach der Partie. Als die Auslosung für die WM in Katar erneut eine Begegnung mit Serbien ergab, wurde beidseits beteuert, dass die Geschehnisse von der WM 2018 Vergangenheit seien. Schon in den ersten Tagen in Katar versuchten jedoch serbische Medien, den Schweizer Spielern mit Wurzeln im Balkan möglicherweise heikle Äusserungen zum Thema zu entlocken. Diese reagierten souverän. Er sei ruhiger geworden, betonte Xhaka, mittlerweile 30 Jahre alt.
Das lässt hoffen, dass sie tatsächlich so in die Partie steigen, wie es nötig ist: mit ruhigem, klarem Kopf. Wenn es der Schweiz gelingt, ihr Spiel durchzuziehen, das Spiel an sich zu reissen, dann darf sie der Finalissima zuversichtlich entgegenblicken. Die Nati hat sehr gute Chancen aufs Weiterkommen.