Endlich Geschichte schreiben und den Viertelfinal bei einem grossen Turnier erreichen. Das war im Vorfeld der EM 2020 das grosse Ziel der Schweizer Nati. Nach einer schwierigen Vorrunde mit enttäuschenden Darbietungen gegen Wales und Italien bietet sich Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri und Co. im Achtelfinal gegen Frankreich genau diese Möglichkeit – dem Modus des 24er-Turniers sei Dank.
Aber wir wollen nicht mehr auf die letzten Wochen zurückschauen, sondern nach vorne. Heute um 21.00 Uhr wartet auf die Nati im Achtelfinal die schwerstmögliche Aufgabe – Gegner ist schliesslich kein geringerer als der aktuelle Weltmeister und haushohe Turnierfavorit. Auf dem Papier hat die Schweiz keine Chance, doch genau das könnte ihr entgegenkommen.
An der EM 2016 gegen Polen und an der WM 2018 gegen Schweden ist die Nati zweimal als leichter Favorit (zumindest in den Augen der Schweizer Öffentlichkeit) im Achtelfinal gescheitert. Dabei sind die Jungs von Trainer Vladimir Petkovic nicht nur an den öffentlichen, sondern auch an den eigenen Erwartungen gescheitert. Der Druck war zu gross und die Schweiz konnte ihr Potenzial in dem Moment, als es wirklich darauf ankam, nicht wie gewünscht abrufen.
Dass es in einem Alles-oder-Nichts-Spiel gegen einen Grossen fast einfacher sein kann, bewies die Nati an der WM 2014 in Brasilien. Damals brachte man im Achtelfinal den grossen Favoriten Argentinien dank eines mutigen und leidenschaftlichen Auftritts an den Rand einer Niederlage. Erst in der 118. Minute zerstörte Angel Di Maria mit seinem Treffer zum 1:0 die Schweizer Viertelfinal-Träume.
Zugutekommen könnte der Schweiz gegen Frankreich, dass sich «Les Bleus» aktuell alles andere als in Topform befinden. Zwar qualifizierte sich das Team von Trainer Didier Deschamps souverän als Gruppenerster für die K.o.-Runde, doch die Auftritte gegen Ungarn (1:1) und Portugal (2:2) waren wenig berauschend. Und auch beim 1:0 gegen Deutschland baute die «Equipe Tricolore» nach gutem Start stark ab.
In der Verteidigung plagen die Franzosen Verletzungssorgen und in der Offensive hat das hochgelobte Sturmtrio um Kylian Mbappé, Antoine Griezmann und Rückkehrer Karim Benzema bislang nicht wie erhofft harmoniert. Nur dank ihrer individuellen Klasse haben sie die Franzosen vor grösseren Problemen bewahrt, nachdem bereits im Vorfeld des Turniers Gerüchte über Unstimmigkeiten in der Mannschaft die Runde gemacht haben.
Wie die Franzosen erlebten auch die Schweizer keine ruhige Gruppenphase. Doch nach dem überzeugenden 3:1-Sieg gegen die Türkei ist die Kritik an Xhaka und Co. mehrheitlich verstummt und die Mannschaft ist voller Tatendrang. Wer den Nati-Spielern zuhört, spürt die Vorfreude auf das Duell mit dem Weltmeister und die Bereitschaft, etwas Grosses zu leisten.
Anschauungsunterricht, wie man einen Grossen ins Wanken bringt, kriegten die Nati-Cracks am Samstagabend bei Österreichs knapper 1:2-Niederlage nach Verlängerung gegen Italien. Die ÖFB-Elf brachte den Geheimfavoriten dank viel Kampfgeist, Leidenschaft und Einsatzbereitschaft ins Wanken. Nur Zentimeter fehlten bei Arnautovics Abseitstreffer und der grosse Coup hätte gelingen können.
Genau so wie die Österreicher müssen heute Abend auch die Schweizer gegen Frankreich auftreten. Leidenschaftlich, solidarisch, mutig und entschlossen. Die Devise muss lauten: Sehr defensiv und kompakt stehen, die Franzosen anrennen lassen und mit Kontern immer wieder Nadelstiche setzen. Gelingt das, dann kann es gegen den Weltmeister vielleicht zum grossen Coup reichen.
Ich wünsche mir einfach, dass heute Abend jeder rennt, als wenn es kein morgen gibt, jeder jeden unterstützt, sie sich mutig Chancen erarbeiten und konsequent nutzen und hinten komplett dicht machen werden. Dann wird es klappen mit dem Geschichte schreiben!
Ich erwarte aber Leidenschaft, dass jeder rennt und sich zerreisst. Mehr nicht. Wenn es dann nicht reicht oder man 5:0 verliert ist es egal. Aber die Einstellung muss stimmen, das genügt mir.