Da steht er nun, gleich nach der Pokalübergabe, mitten auf dem Platz im Lusail Iconic Stadium. Umgeben von feiernden argentinischen Neo-Weltmeistern wirkt er ein bisschen wie eine Schmeissfliege auf einem Bife de Lomo. Doch ihm scheint das egal zu sein. Denn er ist auf Mission.
Er, das ist Nusret Gökçe, gelernter Metzger und Koch. In seiner Luxus-Restaurantkette Nusr-Et lassen sich Stars und Sternchen mit Gold drapierte Fleischschollen servieren. Verspricht der Gast zahlreiche Likes auf Instagram, schaut der Chef selbst für ein Selfie vorbei. Theatralisch lässt er dann Salz über seinen Unterarm auf das tote Tier rieseln – ein Markenzeichen, das ihm 2017 den Übernamen Salt Bae einbrachte: Salzbabe.
Auch wenn Salt Bae filetiert, tut er das mit einer Ernsthaftigkeit, als stünde er kurz vor der Lösung des Nahostkonflikts. Höchste Konzentration bei jedem noch so banalen Schnitt. Wird Bae es schaffen, die Tranchen gleichmässig dick abzuschneiden? Schwadronierende Bildsprache.
Der aufgeplusterte Zirkus hat dem Türken 50 Millionen Follower auf Instagram eingebracht – fünfmal so viel wie Roger Federer. Neben tierischen Muskeln zeigt er dort auch gerne seine eigenen – eine Timeline wie eine Testosteronkanüle. Mit den Östrogenen hat es Salt Bae weniger. Frauen finden in seinem Feed nicht statt.
Deshalb fühlt er sich jetzt inmitten der feiernden argentinischen Fussballer wohl auch so wohl. Das Gefühl scheint aber nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Als Salt Bae versucht, den feiernden Messi für ein Selfie abzugreifen, muss sich dieser gewaltsam von ihm losreissen. Die verärgerten Blicke des Superstars prallen an Baes Trademark-Sonnenbrille ab wie die französischen Penaltys an Emiliano Martinez. Energisch bleibt er dran und irgendwann hat er Messi weich gekocht. Der Superstar lässt irritiert das Selfie zu.
Wenig später ein zweiter Teilerfolg. Salt Bae zwängt sich zwischen Lisandro Martinez und Cristian Romero, die sich vor dem Tor mit der Trophäe ablichten lassen. Endlich Schlagdistanz zum goldenen Cornet. Romero hält neben dem Pokal auch sein strampelndes Kleinkind. Bae erkennt die Schwachstelle sofort, hievt den Pokal in die Höhe und damit aus der Hand des Argentiniers. Jetzt hat er es geschafft. Der Pokal ist endlich, wo er hingehört: in den Händen eines Instagrammetzgers. Klick, klick, klick. Baes Kameramann schiesst sich die Finger wund. Routiniert wischt Bae derweil die kleine Hand von Romeros Junior weg, als dieser schamlos nach dem Baekal greifen will. Nein, gibt der Gewürzexperte gestenreich zu verstehen, dieses Ding gehört nur in Hände, die auch etwas dafür geleistet haben. Selbstinszenierung ist auch ein Kampfsport.
Wie Gökçe es so kurz nach der Siegerehrung aufs Feld schaffte, bleibt ein Rätsel. Vielleicht weiss es FIFA-Boss Infantino. Der geht im Nusr-Et ein und aus.
Vielleicht hat es der Instagram-Star aber auch etwas übertrieben. Messis abschätzige Blicke gingen um die Welt und der Shitstorm in Baes Timeline geht auf keine Kuhhaut. Ganz PR-Profi hat dieser nun aber ein altes Video ausgegraben. Es zeigt, wie ihn der argentinische Superstar umarmt. Damit ist natürlich alles wieder in Butter.
Nicht ganz. Auch die FIFA steht in der Kritik: Der Ausverkauf des Fussballs mache nun sogar vor der Siegerehrung nicht mehr halt. Bleibt nur zu hoffen, dass das Modell nicht Schule macht. Obwohl es ein durchaus reizvoller Gedanke ist, dass Carlos Alcaraz beim nächsten Titelgewinn zuerst mit Ronald McDonald Purzelbäume schlagen muss, bevor er die Trophäe in die Höhe stemmen darf.