Fussballer haben das Image, Weicheier zu sein. Zugegeben, das ist oft gar nicht so falsch. Manch ein Zuschauer hinterfragt, weshalb er sich diesen Sport trotz den unzähligen Bodenrollen nach Zweikämpfen und dem Laientheater beim Versuch, einen Elfmeter zu schinden, überhaupt noch antut.
Die meisten Fussballer können viel einstecken. Sehr viel. Und selbst wenn sie sich mal am Boden winden, beissen sie bei Verletzungen durch. Auch dann, wenn sie es nicht sollten, nämlich wenn der Kopf betroffen ist. In diesen Fällen müssen sie von den Teamärzten, Trainern, Schiedsrichtern und vor allem den Verbänden zur Vernunft gezwungen werden.
Nach Zusammenstössen mit den Köpfen spielen Fussballer regelmässig weiter – obwohl die kurze Behandlungspause nicht ausreicht, um zu beurteilen, ob es sich um ernste Kopfverletzungen mit der Gefahr von Folgeschäden handelt.
Gestern hat es den Schweizer Torhüter Gregor Kobel erwischt. In der Partie zwischen Frankfurt und Augsburg erhält Kobel nach einer halben Stunde das Knie von Filip Kostic an den Kopf. Der Augsburger Goalie bleibt liegen, spielt dann trotz Schwindelgefühlen weiter, bis er nach zwei weiteren Behandlungspausen in der 40. Minute endlich ausgewechselt wird.
Es braucht keinen Doktortitel, um einschätzen zu können, dass man einen Torhüter, der einen Schlag auf den Kopf erhalten hat und danach verschwommen sieht, sofort auswechseln sollte.
Kobel wollte natürlich weiterspielen – aber sollte man eine solch wichtige Entscheidung wirklich jemanden überlassen, dessen Hirn gerade so hart durchgeschüttelt wurde? Eben. In solchen Fällen müssen Fussballer zwingend bevormundet werden.
27' #Kostic kommt gegen #Kobel zu spät und trifft den #FCA-Keeper am Kopf. Geht weiter bei ihm! #SGEFCA pic.twitter.com/HHVg9z6AO6
— FC Augsburg (@FCAugsburg) 14. April 2019
Gregor Kobel ist kein Einzelfall. Weil Trainer nicht ausserplanmässig wechseln wollen, wird geflickt, gekühlt und gesprayt, bis es irgendwie weitergeht. Wenn das Klubärtze bei leichten Verletzungen wie Prellungen an Beinen oder Füssen verantworten wollen, sollen sie das.
Bei Kopfverletzungen bräuchte es jedoch ein striktes, von den Verbänden verhängtes, Verbot weiterzuspielen. Zumindest solange, bis das «SCAT5» vernünftig durchgeführt wurde. Das «Sport Concussion Assessment Tool, 5. Auflage» ist ein standardisiertes Verfahren, um Gehirnerschütterungen bei der Soforthilfe zu beurteilen. Das SCAT5 wird vom Fussballweltverband FIFA unterstützt.
Im Gegensatz zum Eishockey, American Football oder Rugby wird das Protokoll im Fussball aus Zeitmangel aber kaum seriös angewandt. Die korrekte Durchführung des SCAT5, bei dem der verletzte Sportler zum Beispiel Rechenaufgaben lösen, die Monate rückwärts aufsagen oder sich erinnern muss, wo er sich gerade befindet, dauert zehn Minuten. Zeit, die im Fussball nicht vorhanden ist.
In der Schweiz sorgte zuletzt der Fall Fabian Schär für Aufsehen. In der EM-Qualifikation gegen Georgien (2:0) Ende März prallt sein Kopf mit dem von Gegenspieler Jimmy Tabidze zusammen. Schär sackt bewusstlos zu Boden, verschluckt seine Zunge, die ihm ein Georgier anschliessend aus dem Rachen zieht. Fünf Minuten lang werden Schär und der blutüberströmte Tabidze auf dem Feld behandelt – beide spielen anschliessend weiter, Schär sogar über die volle Spieldauer. Als Vorbereiter beider Tore wird er zum Matchwinner.
Nach der Partie erklärt der Schweizer, dass er sich an den Vorfall nicht mehr erinnern könne. «Ich war einige Sekunden K.o., mein Schädel brummt noch. Zudem habe ich Nackenschmerzen. Und eine Beule an der Stirn. Aber es hat sich gelohnt.»
Der Schweizer Teamarzt Damian Meli begründete, dass man nach einer SCAT-Untersuchung entschieden habe, Schär auf dem Feld zu lassen, da keine neuropsychologischen Defizite festgestellt wurden. Es ist jedoch kaum möglich, das SCAT in den wenigen Minuten, die Schär behandelt wurde, korrekt durchzuführen. Dabei waren der schwere Schlag auf den Kopf, das verlorene Bewusstsein und die Probleme beim Aufstehen genügend Warnsignale.
Meli änderte seine Meinung für das Spiel drei Tage später gegen Dänemark, er belegte Schär mit einem Sport-Verbot. Dem «Tages-Anzeiger» erklärte er, dass die Rückkehr in den Sport eine gewisse Zeit benötige.
Englands Fussball-Legende Alan Shearer enervierte sich in der «Sun», dass Schär nicht ausgewechselt wurde: «Auf keinen Fall hätte Fabian Schär erlaubt werden dürfen, weiterzuspielen. Es ist lächerlich. Gibt es irgendwelche Zweifel, muss der Spieler vom Feld.» Shearer forderte, dass unabhängige Ärzte entscheiden sollten, ob Spieler nach Kopfverletzungen weiterspielen dürfen.
Dass Kopfverletzungen schwerwiegende Folgen haben können, zeigen zwei aktuelle Fälle aus der Bundesliga. Am 9. März prallte Freiburgs Innenverteidiger Philipp Lienhart in der 24. Minute mit Herthas Salomon Kalou zusammen und verletzte sich dabei am Kopf. Der Österreicher wurde gepflegt und spielte bis zur Halbzeit weiter, erst dann wurde er ausgewechselt. Lienhart erlitt eine Gehirnerschütterung und ist nun seit sechs Wochen nicht mehr in der Lage, Sport zu treiben.
Hoffenheims Benjamin Hübner bekam Anfang August im Trainingslager einen Ball an den Kopf und fiel danach vier Monate aus. Der Hoffenheimer erlitt eine Gehirnerschütterung und zusätzlich eine Funktionsstörung im Gleichgewichtsorgan im Innenohr. Der 29-Jährige durfte wochenlang nicht lesen, fernsehen und Auto fahren. Er selbst sprach damals von einem «Systemabsturz».
Fussballer haben einen riesigen Leistungsdruck, genau wie auch der medizinische Staff und die Trainer. Deshalb wird im Zweifelsfall durchgebissen, es geht schliesslich um Punkte, Geld und Titel. Dafür wird die Gesundheit der Spieler fahrlässig in Kauf genommen.
Deshalb darf die Entscheidung, ob nach Kopfverletzungen weitergespielt wird, nicht von den Vereinen selbst getroffen werden. Die Verbände sind gefordert, ihre Reglemente anzupassen. Wer sich am Kopf verletzt, muss raus, bis zweifelsfrei geklärt ist, dass es ohne Gefahr für Folgeschäden weitergeht.
Oder wollen die Verbände lieber warten, bis ein Spieler mit Kopfverletzungen so lange weiterspielt, dass er nach einem weiteren Zusammenprall gar nicht mehr aufsteht?
Natütlich müsste die Untersuchung ein neutraler Arzt durchführen.