Es war der einzige grosse Titel, den er noch brauchte. Es war der Titel, den er vor der Saison als Ziel ausgegeben hatte. Der Triumph bei den Olympischen Spielen war die einzige Lücke in seinem auch sonst schon unfassbaren Palmarès. Nun hat Novak Djokovic in Paris diese Goldmedaille gewonnen.
Wie viel ihm der 7:6-7:6-Sieg im olympischen Final gegen Carlos Alcaraz bedeutete, wurde direkt nach dem Matchball klar. Der 37-jährige Serbe brach sofort in Tränen aus, sank zu Boden und zitterte, überwältigt von den Emotionen, am ganzen Körper. «Das ist der grösste Erfolg meiner Karriere», sagte Djokovic danach. Und diesen errang er bei letzter Gelegenheit. In vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Los Angeles wird Djokovic bereits 41 Jahre alt sein.
Man kann sich deshalb ausrechnen, wie gross der Druck auf Novak Djokovic war. Nicht nur aufgrund der Erwartungshaltung seiner Fans, sondern auch – oder vor allem – von sich selbst. Umso beeindruckender war der Auftritt im Final gegen den 16 Jahre jüngeren Alcaraz, gegen den er noch vor wenigen Wochen im Wimbledon-Final (2:6, 2:6, 6:7) chancenlos war.
Der Djoker zeigte einmal mehr, was ihn seit seinem ersten Grand-Slam-Triumph im Jahr 2008 in Australien so stark macht: Seine Nervenstärke und sein unbändiger Wille. Als es so richtig darauf ankam – in den beiden Tie-Breaks im wichtigsten Spiel des Jahres –, legte Djokovic in einem von beiden Kontrahenten auf unfassbar hohem Niveau geführten Match noch einmal eine Schippe drauf. 7:3 und 7:2 gewann er die beiden Kurzentscheidungen.
So errang er nach mehrmaligem Scheitern doch noch eine Goldmedaille an Olympischen Spielen. 2008 in Peking hatte er Bronze gewonnen, 2012 verlor er im kleinen Final wie vier Jahre später in der 1. Runde gegen Juan Martin Del Potro. Vor drei Jahren in Tokio erwies sich Sascha Zverev im Halbfinal als zu stark, das Spiel um Bronze verlor Djokovic dann gegen Pablo Carreño Busta.
Der Serbe und Olympia schienen keine Freunde mehr zu werden – bis zum gestrigen Sonntag. Deshalb ist der Triumph gegen Alcaraz so wichtig, er hat für Djokovic eine ähnliche Bedeutung wie der WM-Sieg für Lionel Messi: Es ist die Vollendung einer ohnehin einmaligen Karriere.
Damit ist der 24-fache Grand-Slam-Sieger erst der fünfte Tennis-Star, dem der Karriere-Golden-Slam gelingt. Zuvor hatten im Einzel erst Steffi Graf, Andre Agassi, Rafael Nadal und Serena Williams mindestens einen Titel am Australian Open, am French Open, in Wimbledon, am US Open und bei den Olympischen Spielen errungen. Zu diesem elitären Kreis gehört nun auch Djokovic.
Aus diesem Grund dürften die Herzen vieler Schweizer Tennis-Fans geblutet haben. Der verhasste – ja, man muss hierzulande wohl von Hass sprechen – Novak Djokovic hat damit nämlich das geschafft, was Roger Federer nie vergönnt war. Und somit dürfte die Debatte um den GOAT, den Greatest Of All Time, im Tennis eigentlich auch ein Ende finden. Es ist immer schwieriger – wenn nicht gar unmöglich – Argumente zu finden, die gegen Novak Djokovic als grössten Tennisspieler der Geschichte sprechen.
Djokovic hat nicht nur die meisten Grand-Slam-Titel bei den Männern, es gibt nun auch keinen wichtigen Titel mehr, den der 37-Jährige nicht gewonnen hat. Ausserdem gibt es kaum einen Rekord, den der Mann aus Belgrad nicht hält. Gegen beide seine grössten Konkurrenten Federer (27:23) und Rafael Nadal (32:29) hat er eine positive Bilanz. Mehr GOAT geht nicht.
Natürlich ist Djokovic mit seinem Verhalten auf und neben dem Platz nicht nur Sympathie-Träger. Dass er sich mit seinem Verhalten während der Corona-Pandemie auch von Verschwörungstheoretikern vor den Wagen spannen und instrumentalisieren liess, ist zu kritisieren. Ebenso wie einige seiner sonstigen Macken. Aber im Endeffekt ist er ein Sportler, der vor allem aufgrund seiner Leistungen auf dem Platz und nicht anhand von Sympathien bewertet werden muss. Und da ist er unerreicht.
Zumal durchaus infrage gestellt werden darf, ob Djokovic in der Schweiz ebenso kritisch gesehen würde, wäre er nicht einer der grössten Rivalen von Roger Federer. Einer, der beide als Freund bezeichnet, ist Stan Wawrinka. Er gratulierte Djokovic am Sonntag mit dem Ziegen-Emoji, das aufgrund der englischen Übersetzung für GOAT steht.
Für den GOAT braucht es Klasse. Die fehlt ihm leider...