Odermatt ist nicht das Problem – er hat keine andere Wahl, als ein Klimasünder zu sein
Plötzlich hagelt es Kritik. An Marco Odermatt, dem neuen Superstar der Ski-Welt. Dem Schweizer Seriensieger, der nach seinem Triumph in der WM-Abfahrt in einer Après-Ski-Hütte Party machte, angesäuselt im SRF-Studio erschien und dafür gefeiert wurde. Der Doppelweltmeister und Liebling der Massen, der in der «SonntagsZeitung» als «Federer zum Anfassen» bezeichnet wurde, sieht sich erstmals öffentlichen Vorwürfen ausgesetzt.
Es sei unausweichlich, dass er manchmal mit dem Privatjet oder einem Helikopter zu Rennen oder Trainings reise, sagte der 25-Jährige in einem Interview mit CH Media. Aus diesem Grund wollte er seinen Namen nicht unter den offenen Brief an die FIS mit Forderungen nach mehr Klimaschutz setzen, den rund 140 Athletinnen und Athleten unterschrieben haben. «Ich kann den Forderungen nicht zu 100 Prozent gerecht werden», begründete Odermatt seinen Entscheid. Dann fügte er an, dass der Kalender so gut wie möglich geplant werden solle, aber dass nun ein zweites Mal in dieser Saison Rennen in den USA stattfänden, «sehe ich nicht als überaus tragisch».
Lange liess die Kritik nicht auf sich warten. Einige zeigten sich enttäuscht vom WM-Helden und fanden, dass Odermatt damit einiges an Sympathie eingebüsst hat. Nathan Solothurnmann von Greenpeace sagt: «Marco Odermatt scheint den Ernst der Lage noch nicht ganz begriffen zu haben.»
Aber ist Odermatt nun tatsächlich der Übeltäter? Ist es so falsch, was er sagt? Ohne Zweifel wirken seine Kommentare zur Klimadebatte unglücklich und unüberlegt. Besonders für seine Kritik an Mikaela Shiffrin, welcher er indirekt Heuchelei vorwarf, hätte er lieber vorsichtigere Worte gewählt. «Ich verstehe nur bedingt, dass Shiffrin den offenen Brief unterschrieben hat», sagte Odermatt. Die 27-Jährige sei durch ihre Heimat in den USA schliesslich dazu gezwungen, etwas mehr zu fliegen. Aber wie so häufig lohnt es sich, vor dem Losschimpfen kurz durchzuatmen und den ganzen Kontext zu betrachten.
Odermatt hat nämlich recht, wenn er sagt: «Wenn ich am Sonntag in Kranjska Gora einen Riesenslalom fahre und dann am Montag in Andorra ein Abfahrtstraining ansteht, muss man mit einem Privatjet reisen, das geht einfach nicht anders.» Dies wird im März der Fall sein, wenn Odermatt am Wochenende in seiner Paradedisziplin in Slowenien zweimal im Einsatz steht, bevor es nach Soldeu zum Weltcup-Finale geht. Die Abfahrtstrainings sind obligatorisch, um am Rennen teilnehmen zu können. Eine Fahrt mit dem Auto würde fast 16 Stunden dauern. Natürlich könnte er auch einfach im 2. Training vom Dienstag eine Probefahrt absolvieren, aber was, wenn das Wetter nicht mitspielt und das Dienstagstraining abgesagt wird? Dann dürfte er in einem womöglich entscheidenden Rennen nicht starten.
Athleten wie Odermatt oder auch Shiffrin, welche in mehreren Disziplinen am Start sind, haben deshalb keine andere Wahl, als zu Klimasünderinnen zu werden. So muss festgehalten werden, dass das Problem nicht bei Odermatt und Co. liegt. Es macht also keinen Sinn, die Ski-Stars zu verteufeln. Vielmehr muss eine Ebene über ihnen angesetzt werden.
Der Weltcup-Kalender wird immer dichter. FIS-Präsident Johan Eliasch kündigte an, künftig mehr Rennen in den USA, Asien und Südamerika fahren zu wollen. Wie das damit zusammengeht, dass der Ski-Weltverband den CO₂-Fussabdruck reduzieren will, wurde der britisch-schwedische Unternehmer gefragt. Eliasch sieht den Gegensatz, wie er sagte, jedoch ist die Lösung für ihn, dass der Mensch durch Sport trainierter und gesünder werde und sich dadurch auch gesünder ernähre. «Gerade die gesunde Ernährung hat eine immense Auswirkung auf unseren globalen CO₂-Fussabdruck.»
So klingt ein Mann, der den Ernst der Lage nicht verstanden hat, was Greenpeace-Vertreter Solothurnmann eben Odermatt vorwirft. Eliaschs Vorbild scheint dabei die Formel 1 zu sein. Die Königsdisziplin des Motorsports hat in diesem Jahr so viele Rennen im Kalender wie noch nie, der Reiseplan ist an Absurdität kaum zu überbieten. Mehrmals wird während der Saison von Kontinent zu Kontinent gereist, nur um wenig später wieder auf den vorherigen Kontinent zurückzufliegen. Effizienz in der Reiseplanung? Fehlanzeige.
Es geht nicht mehr (nur) um höher, schneller, weiter, sondern vor allem darum, den Sport grösser zu machen, mehr Events durchzuführen und letzten Endes mehr Geld einzunehmen.
Im Ski-Zirkus wird nun aber gefordert, dass die Emissionen deutlich reduziert werden und bis 2035 alle FIS-Anlässe klimaneutral sein sollen. Der entsprechende Brief vom österreichischen Skifahrer Julian Schütter wurde unter anderem von eben Shiffrin, Aleksander Kilde oder auch Daniel Yule unterzeichnet.
Odermatt hätte sich diesem Schreiben einfach anschliessen und die aktuelle Debatte damit verhindern können. Er entschied sich dagegen, weil er weiss, dass er in dieser Hinsicht kein Vorbild ist. Es ist eigentlich nur ehrlich, wenn er sich in dieser Debatte deshalb zurücknimmt. Selbstverständlich ist es wünschenswert, dass sich Sportlerinnen und Sportler für gesellschaftsrelevante Themen einsetzen, aber niemand soll dazu gezwungen werden, wenn er oder sie nicht mit gutem Gewissen dahinterstehen kann.