Die WM-Tage waren intensiv und hinten im Saal warten bereits die Eltern und seine Freundin, um gemeinsam nach Hause zu fahren. Und doch nimmt sich Marco Odermatt am Tag nach seinem Sieg im Riesenslalom eine halbe Stunde Zeit, um über die WM, die er mit zweimal Gold verlässt, zu sprechen.
Wir leben in einer Zeit, in der fast alles den Weg in die sozialen Medien findet. So sah man Sie tanzend und mit einem Bier in der Hand in einer Après-Ski-Hütte. Ist das ein Image, das Ihnen gefällt oder würden Sie darauf lieber verzichten?
Marco Odermatt: Weder noch. Es ist ein wenig der Nachteil der Zeit, in der wir leben. Da hatten es die Athleten vor 20 Jahren sicher einfacher. (Lacht.) Aber es ist jetzt so. Und es stört mich überhaupt nicht, dass ich, solange ich liefere, danach auch feiern gehe. Das bin ich als Typ und wenn es jemanden stört, ist mir das egal. Ich habe da schon meine Grenzen.
Fühlen Sie sich nie beobachtet?
Es ist sehr situativ. Im September in einem Pub in Luzern würde ich nicht so auftreten. Und es wäre mir auch nicht egal, wenn jeder sein Handy zückt. Aber hier, nach einer Goldmedaille – das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Gehen Ihnen das Händeschütteln, die Schulterklopfer und Umarmungen nicht irgendwann auf die Nerven?
Eigentlich meinen es ja alle gut. Aber irgendwann ist man müde. Die Tage sind lang. Man hat immer das Gefühl, es sehe so einfach aus und ich gewinne einfach immer. Aber so einfach ist es nicht. Es braucht viel, dass ich die Leistungen in jedem Rennen abrufen kann. Das ist etwas, was sehr wenige verstehen.
Nehmen Sie uns noch einmal mit auf diesen Gefühlsrausch nach der Abfahrt.
Es waren Emotionen, die ich so noch nie zuvor gespürt habe. Aber warum kann ich nicht erklären. Es entstand ja nicht aus einer Drucksituation. Vielleicht hat der vierte Rang im WM-Super-G die Emotionen etwas verstärkt, weil es dort nicht geklappt hatte. Vielleicht hat es mit meinem ersten Abfahrtssieg zu tun, und damit, dass ich Aleksander Kilde endlich mal in einer Abfahrt schlagen konnte.
Gab es einen Moment, in dem Sie die Emotionen wegschieben und den Blick nach vorne richten mussten?
Ich sagte mir nach dem Sieg in der Abfahrt bewusst, dass ich zwei Tage nicht trainieren werde. Andere sind nach einem Tag Pause schon wieder im Training. Ich war noch nicht parat. Bis man nur schon wieder seine sieben Sachen sortiert hat, a) im Kopf und b) die 100 Nachrichten beantwortet hat. Ich muss diese Dinge erledigt haben, damit ich ein Kapitel abhaken und zum nächsten gehen kann. Darum brauchte ich diese 48 Stunden.
Sie beantworten alle Nachrichten?
Ich schreibe nicht allen persönlich zurück, vielleicht mache ich eine Copy-Paste-Nachricht. Diesmal habe ich vielen ein Foto der Medaille mit ein paar Smileys verschickt. Um zu zeigen, dass ich die Nachricht zur Kenntnis genommen habe und als Dankeschön.
Sie sagten am Freitag nach Gold im Riesenslalom, dass Sie sich jetzt auf die Reise in die USA, wo am nächsten Wochenende ein Rennen stattfinden wird, freuen würden. Warum? Weil dort der Rummel klein sein wird?
Genau. Es waren jetzt einfach strenge Tage. Ich war nur schon für die Startnummernauslosung zweieinhalb Stunden unterwegs und das am Tag vor dem Rennen. Da würde jeder andere sagen, das ist doch idiotisch.
Können Sie das beeinflussen?
In der Regel ist es ja etwas Schönes, wenn alle Athleten in einem Dorf sind und es eine Startnummernauslosung gibt. Es ist ein kleiner Aufwand. Aber das gibt man den Fans gerne zurück. Hier an der WM war die Konstellation einfach etwas kompliziert (Red., die Auslosung und Medaillenfeiern fanden in Méribel statt, die Männerrennen aber in Courchevel). Nach dem Riesenslalom wäre ich gerne ins eigene Hotel gegangen für eine Dusche vor der Rangverkündigung. Weil es zeitlich aber nicht reichte, musste ich dann ins Hotel der Frauen in Méribel.
Während der WM haben rund 140 Athletinnen und Athleten einen offenen Brief an den Internationalen Skiverband FIS geschrieben, in dem sie fordern, dass sich der Skisport stärker für den Klimaschutz einsetzen müsse. Darunter Stars wie Mikaela Shiffrin. Sind die Initianten auch auf Sie zugekommen?
Ja, das war ein Thema. Aber ich wollte meinen Namen nicht an die vorderste Stelle setzen, weil ich den Forderungen nicht zu 100 Prozent gerecht werden kann. Darum verstehe ich es nur bedingt, dass Mikaela Shiffrin unterschrieben hat. Sie ist durch ihren Geburtsort in den USA ja gezwungen, etwas mehr zu fliegen. Dazu kommt, dass wir Topathleten, die so viele Rennen fahren, noch zusätzlich gezwungen sind, ein oder zweimal im Jahr mit einem Helikopter oder sogar einem Jet zu reisen.
Es gibt keine Alternativen?
Wenn ich am Sonntag in Kranjska Gora einen Riesenslalom fahre und dann am Montag in Andorra ein Abfahrtstraining ansteht, muss man mit einem Privatjet reisen, das geht einfach nicht anders. Darum bin ich jemand, der sich in dieser Debatte etwas ruhiger verhält.
Man sollte also nichts ändern?
Man sollte so gut wie möglich planen, das ist wichtig. Aber dass wir jetzt ein zweites Mal in dieser Saison in die USA fliegen, sehe ich nicht als überaus tragisch. Natürlich: Man muss irgendwo anfangen. Aber es gibt Hunderte Wege, wie man seinen Beitrag leisten kann. Wir fahren im Weltcup. Wenn man nicht mehr so weit reisen will, kann man im Europacup starten.
Sie sind 25 und haben schon fast alles erreicht. Wie bleibt man da hungrig?
Für diese Saison ist das nicht so schwierig. Es ist ja auch absehbar. Es sind jetzt noch vier Rennwochen. Und der Sieg im Gesamtweltcup bedeutet mir sehr viel, darum möchte ich die grosse Kristallkugel auch wieder gewinnen. Dass man dann vielleicht im Frühling oder Sommer mal an einen Punkt gelangt, wo man sich denkt, was habe ich noch für Ziele, kann sein. Aber das kann ich jetzt noch nicht sagen.
Im vergangenen Frühling mussten Sie als Gesamtweltcupsieger noch sehr viele Verpflichtungen wahrnehmen. Braucht es in diesem Jahr eine längere Pause?
Stand jetzt glaube ich nicht. Ich bin noch in einem Alter, in dem man die Kraft dazu hat. Und man Dinge schneller verarbeitet und sich schnell erholt. Ich glaube nicht, dass ich viel anders machen werde. Und jetzt gross etwas zu verändern, wäre auch blöd. Wenn man fast in jedem Rennen um den Sieg fahren will, muss man irgendwann im Sommer wieder anfangen, zu trainieren.
Es heisst, man müsse auch einmal verlieren, damit man wieder lernen kann, zu siegen. Haben Sie solches auch schon erlebt? Zum Beispiel, als Sie im WM-Super-G nur Vierter wurden, dann aber drei Tage später die Abfahrt gewannen.
Man muss aufpassen, wenn es darum geht, was verlieren heisst. Ein vierter Platz an einer Weltmeisterschaft ist jetzt nicht eine riesige Niederlage. Aber ich weiss, was Sie meinen. Darum klar, man kann zum Beispiel das Weltcupfinale vor zwei Jahren auf der Lenzerheide nehmen (Red., Odermatt verpasste die grosse Kristallkugel knapp). Oder die WM vor zwei Jahren in Cortina (Red., Odermatt gewann keine Medaille). Oder diesen Fast-Unfall in Kitzbühel. Solche Dinge tun in diesem Moment weh, aber für die Zukunft schaden sie sicher nicht.
Hatten Sie eigentlich in den zwei Wochen in Courchevel nie Lagerkoller?
Nein, überhaupt nicht. Wir hatten es hier im Vergleich zu Cortina sehr gut. Damals war ich näher am Koller. Es war die Corona-Zeit, wir hatten ein kleines 3-Sterne-Hotel, in dem ich gefühlt jeden Tag die gleichen Pasta gegessen habe. Dann ist es mir auch noch nicht so gut gelaufen. So sind die Tage schon lang. Hier in Courchevel hatten wir ein cooles Hotel und eigene Köche. Wir haben sehr fein und abwechslungsreich gegessen. Und ich traf immer mal wieder meine Eltern oder meine Freundin.
Und was war das kulinarische Highlight in diesen zwei Wochen?
Ein Filet am Abend nach meinem Sieg im Riesenslalom.
Immerhin ehrlich…
Aber man könnte ja die Planung, die Anzahl Rennen, die kurzen Abstände zwischen den Rennen etc. ändern wollen…
Wo war bei der Planung der Gedanke die Umwelt weniger zu belasten genau berücksichtigt.
Aus meiner Sicht wurde er sehr marginal berücksichtigt und es stellt sich unweigerlich die Frage, warum?