Ach, wie wohl tut uns die Schadenfreude schon beim kleinsten Fussball-Missgeschick der Deutschen. Und erst recht bei einem krachenden wie dem Ausscheiden in der Vorrunde der Frauen-WM.
Die Genugtuung über fussballerische Pleiten eines Nachbarlandes gibt es zwar nicht nur in der Deutschschweiz. Auch die Welschen freuen sich über fussballerische Kalamitäten der Franzosen. Aber nirgendwo im Land ist diese seltsame Fussball-Schadenfreude so ausgeprägt wie zwischen Bern und Zürich.
Könnte der Grund auch die Sprache sein, warum Schadenfreude sozusagen zur DNA der alemannischen Schweiz gehört? Längst nicht alle Sprachen bringen die Freude über die Niederlage (oder eben den Schaden) eines anderen in einem einzigen, trefflichen Wort – Schadenfreude – zum Ausdruck. Im Englischen und im Französischen gibt es diesen Ausdruck nicht. Weil es in anderen Kulturen dieses Gefühl der Schadenfreude so intensiv wie bei uns nicht gibt? Eine philosophische Frage. Wir wollen nicht grübeln. Die Antwort finden wir am ehesten in der Fussballkultur.
Im Fussball ist es im deutschen Sprachraum einzig und allein uns vergönnt, schadenfreudig zu sein: Wie sollen sich die Deutschen in ihrem Selbstverständnis als «Fussball-Weltmacht» über eine Niederlage der kleinen Schweizer oder Österreicher freuen?
Selbst bei den Österreichern dürften Fussballpleiten der Schweizer oder der Deutschen kaum eine tief empfundene Schadenfreude auslösen. Sie sehen sich fussballkulturell mit wehmütigen Erinnerungen an das Wunderteam um Matthias Sindelar und Kultgoalie Rudi Hiden sowieso auf einer höheren Stufe als die Schweizer und fast auf Augenhöhe mit den Deutschen. Nicht nur, weil sie uns 1954 im WM-Viertelfinal in der Hitzeschlacht von Lausanne nach einem 0:3-Rückstand im torreichsten Spiel der WM-Geschichte mit 7:5 aus dem Turnier gekippt haben.
Das Wunderteam fegte einst auch die Deutschen in Berlin 6:0 vom Platz (1931) und der WM-Triumph von Cordoba 1978 (3:2), der das Turnier für Titelverteidiger Deutschland beendete, gehört zur Geschichte unseres Nachbarlandes wie Tells Schuss zur Schweizer Historie: Hans Krankl, der zwei Tore erzielte, ist Nationalheld geworden.
Ob solchen Heldentaten kann Schadenfreude nie so intensiv sein wie die wahre Freude über grandiose Siege. Uns bleiben hingegen nur die weitgehend verblassten Erinnerungen an den Triumph über Deutschland im WM-Achtelfinal in Paris (1938). An die Helden dieses 4:2-Sieges erinnert sich kaum mehr jemand. Doppeltorschütze André «Trello» Abegglen ist kein Nationalheld geworden. Und da ist noch etwas: Der erste WM-Triumph der Deutschen – 1954 errungen im Final im Wankdorf gegen den himmelhohen Favoriten Ungarn (3:2) – gilt nicht ganz zu Unrecht als wahrer Gründungstag des neuen demokratischen Deutschlands und Selbstvertrauens.
Im Fussball durfte unser Nachbarland fortan wieder dem Patriotismus frönen und die eigene Weltbedeutung rühmen. Diese grossen fussballerischen Töne bekommen wir in der Schweiz seit Generationen mit wie kaum ein anderes Land. Zumal unsere Väter am Anfang des TV-Zeitalters in der Deutschschweiz an den meisten Orten nur zwei Programme empfangen konnten: Leutschenbach und das erste Programm aus Deutschland.
Wahrscheinlich erfassen wir Schweizer von allen deutschen Nachbarn am besten, welch immense Bedeutung fussballerischer Ruhm für das deutsche Seelenwohl hat. Und wie sehr die Deutschen leiden, wenn sie im Fussball bei den Männern und nun auch bei den Frauen nur noch Hinterbänkler sind. Weil wir ihre Sprache kennen und auch wunderbar mithören und mitlesen können, wenn sich die Deutschen mit überzeichneter Selbstkritik kasteien. Oft für unser Verständnis masslos im Lob und eher noch massloser in der Kritik.
Ach, diese Schadenfreude tut so gut, dass sie intensiver ist als die Freude über einen fussballerischen Triumph eines Schweizer Teams – ausser, er wird mit einem Sieg bei einem Titelturnier über die Deutschen errungen. Aber davon sind wir ja seit 1938 so weit entfernt wie eine 1.-August-Rakete vom Mond. Der deutsche Fussball mit seinen WM-Triumphen und seiner Bundesliga war, ist und bleibt im Mannschaftsport bei uns das Mass aller Dinge.
Fussball-Deutschland ist für uns ein übermächtiger Titan. Alles, was uns bei der umfassenden fussballerischen Unterlegenheit gegenüber Deutschland bleibt, ist die Schadenfreude. Als Opium der fussballerisch Ohnmächtigen und Machtlosen.
Mir persönlich ist dieses Turnier egal, verstehe aber gewisse höhnische Bemerkungen ein stückweit.