Der US-Künstler Andy Warhol ahnte es schon 1968. Obwohl es da weder das Internet noch soziale Medien gab. Seine Prophezeiung ist mehr oder weniger Wirklichkeit geworden: «In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.»
Die Eitelkeit ist neben dem Föhn und dem Neid die stärkste eidgenössische Naturkraft. Also möchten wir doch alle gerne im Fernsehen kommen. Das zählt natürlich viel mehr als eine Präsenz auf Facebook. Aber wie hier in Paris? Wie erlange ich die paar Sekunden TV-Berühmtheit?
Sich ins echte Fernsehen zu schleichen oder zu schmuggeln, ist eine schwierige Kunst. Eine Viertelstunde muss es ja nicht sein. 15 Sekunden reichen.
Es gibt die Option, dass ich mich in einem möglichst ausgefallenen Outfit während eines olympischen Wettstreites auf der Tribüne als «Superfan» auffällig verhalte und deshalb von einer TV-Kamera erfasst werde. Aber als Chronist gehört es sich nicht, exotische Gewänder zu tragen. Solcherlei Verhalten könnte den Entzug der Akkreditierung nach sich ziehen.
Sich bei Interviews hinter der befragten Person ins Bild zu schleichen ist erstens kindisch und zweitens sowieso unmöglich: Die TV-Intis finden bei Olympischen Spielen in einem abgesperrten Raum statt.
Einmal habe ich es trotzdem geschafft, während Olympischen Spielen ins Fernsehen zu kommen. Das ist so lange her, dass ich jetzt diese Geschichte erzählen darf. Es war 2016 in Rio. Dank der Hilfe von Rolf Bichsel, dem Berichterstatter der hochseriösen Agentur Keystone-SDA – also keinem olympischen oder sonstigen Hallodri.
Er fragt mich beim Frühstück: «Willst Du heute mit mir im Fernsehen kommen?» Es muss wohl ein Scherz sein. Aber warum nicht? Heute habe ich sowieso nichts Besseres zu tun. Also begleite ich ihn zum Tennis. Er ist ein weit in der Welt herumgekommener Experte dieses Sportes und weiss ganz genau, wo man sich hinter der Grundlinie aufstellen muss, um beim Aufschlag von Martina Hingis von der TV-Kamera kurz erfasst zu werden.
Es funktioniert! Weil die Tennisanlage in Rio ein chaotisches Provisorium ist, können die akkreditierten Berichterstatter mehr oder weniger herumhühnern, wie und wo sie wollen. Es ist tatsächlich problemlos möglich, auf dem Nebenplatz hinter die Grundlinie zu gelangen. So kommt es, dass Rolf Bichsel und ich beide während der Direktübertragung beim Aufschlag von Martina Hingis jeweils auf den Bildschirmen unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens gut zu erkennen sind. Nach der Heimkehr bin ich King am Himmelstisch. So nennen arg bösartige Zyniker unseren Stammtisch. Weil dieser Tisch für die Rentner die letzte Station vor dem Einzug ins Himmelreich ist.
Ja, ja, zugegeben: Solcherlei Schabernack mag kindisch sein und ist in Paris natürlich – und zum Glück – nicht möglich. Roland Garros ist nicht Rio, sondern eines der berühmtesten Tennis-Zentren der Welt. Kein Chronist (und auch keine Chronistin) und auch sonst keine Unbefugten können sich während eines Spiels in den Schwenkbereich der TV-Kameras hinter der Grundlinie schleichen.
Aber inzwischen habe ich eine – zugegeben etwas frivole – Idee (wofür ich sogleich um Entschuldigung bitte), wie ich hier in Paris vielleicht doch im Fernsehen kommen könnte. Natürlich nicht eine Viertelstunde lang. Aber gut und gerne 15 Sekunden. Weltweit. Von Leutschenbach über New York bis Peking und Sidney.
Die Lösung ist ganz einfach. Die Ufer der Seine sind gut zugänglich. Ich pinkle einfach an möglichst exponierter Stelle in den Fluss, wenn im Rahmen der Triathlon-Wettbewerbe in der Seine olympisch geschwommen wird. Sozusagen als olympischer Manneken Pis.
Die TV-Bilder haben selbst bei einer Direktübertragung immer ein wenig Vorlauf. Damit die Sittenwächter und TV-Regisseure Bilder, die diese Welt nicht sehen soll, der Welt vorenthalten können. Flitzer schaffen es bei Direktübertragungen in der Regel nicht mehr richtig ins Fernsehen.
Aber die Manneken-Pis-Bilder würden die Sittenwächter der Welt nicht vorenthalten. Denn sie liefern endlich für alle sichtbar die logische, naheliegende Erklärung, warum die Qualität des trüben Seine-Wassers im Zusammenhang mit den Spielen von 2024 ein Dauerthema ist. Und wenn ich mich so ans Ufer stelle, dass im Hintergrund gar der Eiffelturm zu sehen ist, werden diese TV-Bilder sogar Kultstatus erlangen.
Na ja, man soll nicht immer alles sooooooooo ernst nehmen …
Die Triathlonwettbewerbe wären dann einkassiert.
Du könntest dem Ganzen aber noch die Krone (💩) aufsetzen. Aber lassen wir das.