Der Wind hat gedreht in der Formel 1 - allerdings nur kurz, am Samstag in der entscheidenden Phase der Qualifikation auf dem Hungaroring. Die schlagartig veränderten äusseren Bedingungen mit signifikantem Temperatursturz haben gereicht, um Charles Leclerc im Ferrari auf die Pole-Position zu hieven, die schiere Dominanz der Fahrer von McLaren völlig unerwartet zu durchbrechen. Schön und gut. Aber würde der Vorteil des besten Startplatzes, zumal auf einer Strecke, auf der das Überholen ein schwieriges Unterfangen ist, reichen, um auch im Rennen gegen die orangene Übermacht bestehen zu können?
Es sollte nicht reichen, deutlich nicht. Immerhin dauerte es bis in die zweite Rennhälfte, bis Norris und Piastri zur Korrektur ansetzen konnten, um die gegenwärtige Hierarchie in der Formel 1 wieder herzustellen, den vierten Doppelerfolg am Stück, den siebten in diesem Jahr, einzufahren. Sie taten das Erwartete auf einem Circuit, auf dem die Vorzüge des McLaren, dem ohnehin besten Auto im derzeitigen Fuhrpark der Formel 1, im Besonderen zur Geltung kommen. Die Strecke mit ihren Kurven, die mit tiefer oder mittlerer Geschwindigkeit durchfahren werden, ist wie geschaffen für den MCL39.
Was macht den McLaren mit Jahrgang 2025 so gut? Bei den Erklärungen wird unter anderem das Einlenkverhalten hervorgehoben. Das Heck bleibt auch dann stabil, wenn die Vorderachse rotiert. Zudem erlaubt der MCL39 einen im Vergleich zu den Wagen der anderen Teams einen schonenderen Umgang mit den Reifen. Der Vorteil kommt vorab bei den Pneus der mittleren Sorte zum Ausdruck, jenen Walzen, die am ehesten zur Überhitzung neigen.
Mit den Vorteilen allein ist es allerdings nicht getan. Den Technikern des Teams McLaren ist es gelungen, die entscheidenden Basiswerte des Autos stetig auf ein noch höheres Level zu bringen. Tempo und Umfang der Entwicklungsarbeit sind nach der Einschätzung von Teamchef Andrea Stella «seit zwei Jahren höher beziehungsweise grösser, als ich es bei der Scuderia Ferrari in den besten Zeiten erlebt habe. Den Vorsprung, den wir uns dadurch erarbeitet haben, haben wir im Verlauf der Saison weiter vergrössern können».
Der Vorsprung von Norris und Piastri war auch im letzten Grand Prix vor der vier Wochen dauernden Wettkampfpause eklatant. George Russell im Mercedes auf Platz 3 handelte sich einen Rückstand von fast 22 Sekunden ein. Norris' Landsmann sorgte mit seinem Überholmanöver kurz vor Rennende dafür, dass Leclerc auch noch einen Podestplatz verpasste.
Lewis Hamilton im anderen roten Auto, der tags zuvor in seiner ersten Enttäuschung nach dem verpatzten Auftritt im Qualifying sich als «nutzlosen Fahrer» bezeichnet und seinen Vorgesetzten einen Fahrerwechsel vorgeschlagen hatte, fand sich mit einer Runde Rückstand auf Platz 12 wieder. Nicht viel besser erging es Weltmeister Max Verstappen. Der Niederländer war wie im eigenen Lager befürchtet kein Faktor und kam in seinem 200. Grand Prix für das Team Red Bull nicht über Rang 9 hinaus.
Gabriel Bortoleto fühlt sich in seiner ersten Saison in der Formel 1 immer wohler. Der junge Brasilianer in Diensten des Teams Sauber schaffte mit Rang 6 im Grand Prix von Ungarn ein persönliches Bestergebnis. Bisher hatte er die Plätze 8 und 9 in den Grands Prix von Österreich und von Belgien als zählbare Resultate abgeliefert. Weniger glücklich nach dem Wochenende auf dem Hungaroring war Nico Hülkenberg. Der aus Position 18 losgefahrene Deutsche musste sich mit Rang 13 bescheiden.
Für den Zürcher Rennstall gab es zum sechsten Mal in Folge Punktezuwachs. Trotzdem büsste die Equipe in der Teamwertung eine Position ein. Sie liegt nun einen Punkt hinter dem Rennstall Aston Martin, der sich dank den Plätzen 5 und 7 von Fernando Alonso und Lance Stroll in Mogyorod 16 Punkte gutschreiben liess.
Norris, der im Gegensatz zu seinen direkten Konkurrenten fürs Reifenwechseln nur einen Boxenstopp einlegte, rettete gegen den in der Schlussphase immer näher rückenden Piastri knapp sieben Zehntel Marge über die Ziellinie. In Schlagdistanz fahrend schenkten sich die beiden ein weiteres Mal nichts - ein Zweikampf, der wie im Grossen Preis von Kanada mit einer Kollision hätte enden können. In einer der letzten Kurven konnte Piastri eine Berührung der beiden Autos nur dank einem brüsken Bremsmanöver verhindern. Erinnerungen wurden wach an den Grand Prix von Österreich, in dem sich eine fast identische Szene abgespielt hatte.
Mit seinem neunten Grand-Prix-Sieg hat Norris in dem auf ein internes Duell geschrumpften Titelkampf wieder Boden gutgemacht. Sein Rückstand auf den in der Gesamtwertung vorne liegenden Piastri hat sich um sieben auf neun Punkte reduziert. Der Wind hat sich wieder etwas zu seinen Gunsten gedreht. (riz/sda)
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