«Der alte Mann und die Höllenmaschine» – diese Zeile steht über der Saisonprognose. In Anlehnung an Ernest Hemingways Meisterwerk «Der alte Mann und das Meer». In diesem Roman gelingt dem alten Fischer Santiago tatsächlich der Fang seines Lebens.
Aber nun versteht der alte Mann seine Höllenmaschine vor dem ersten Rennen der Saison (Sonntag, 16.00 Uhr, live SRF) nicht mehr.
Am Anfang dieses Töff-Dramas steht eine düstere Prognose. Sein Freund und Manager Daniel M. Epp prognostiziert am Samstagnachmittag vor dem Qualifying, als alles noch möglich scheint, exakt diesen 18. Platz im Training (6. Startreihe).
Wie kommt er bloss zu dieser pessimistischen Einschätzung? «Weil ich die Ratlosigkeit in den Gesichtern der Techniker gesehen habe.» Ratlosigkeit und Nervosität in der Box fürchten Rennfahrer wie der Teufel das geweihte Wasser. Und Tom Lüthi wird später sagen: «Fragezeichen in den Augen ist das Schlimmste.»
Ein kurzer Blick zurück: Im zweiten Training des ersten Tages (am Freitag) stürzt Tom Lüthi zweimal. Er bleibt unversehrt und lässt sich keinerlei Verunsicherung anmerken. Sein Selbstvertrauen scheint intakt zu sein. Er wirkt ruhig und gelassen. Keine Spur von Unsicherheit und Nervosität.
Warum sollte er auch nervös sein? Er ist als grosser Favorit nach Katar gekommen. Mit 33 Jahren der grosse alte Mann der zweitwichtigsten Töff-WM. Alles scheint zu passen. Erfahrung, Selbstvertrauen, Fitness, technische Betreuung und die Resultate aus den Tests in Europa (Jerez).
Die Einschätzung der letzten Wochen, er sei so gut wie nie drauf, kann doch nicht falsch sein. Seine Erfahrung wird ihm helfen, am zweiten Trainingstag (am Samstag) alles zu korrigieren. Hatte er denn nicht im allerersten Training am Freitag noch die Bestzeit herausgefahren?
Aber die Korrektur gelingt nicht. Tom Lüthi schafft es als 13. im dritten Training am Samstagnachmittag gerade noch direkt für die Qualifikation II – aber dann ist Schluss: er wird dort 18. und Letzter. 6. Startreihe. Und sagt: «Das geht nicht. Das ist eine Katastrophe.» Er sage nicht, wie er sich auf der Maschine gefühlt habe. «Es wäre nicht jugendfrei. Es war ein Horror.»
Was nun? Er schildert das Problem. Stark vereinfacht gesagt: zu wenig Grip. Es beginnt bereits beim Anfahren der Kurve. Dann rutscht die Maschine weg. Bei extremer Schräglage zu geringe Kurvengeschwindigkeit und Schwierigkeiten beim Herausbeschleunigen. Was bei den ersten Tests in Jerez noch wunderbar funktioniert hatte, geht nicht mehr.
Wie weiter? «Wir müssen erst einmal herausfinden, warum wir diese Probleme haben. Erst wenn wir das wissen können wir eine Lösung finden.» Also wird er die Nacht in der Box verbringen um mit seinen Technikern eine Lösung zu finden? «Das habe ich mir gerade überlegt. Aber das würde wohl nicht helfen. Ich habe meine Informationen weitergegeben. Mehr kann ich nicht tun. Ich habe Vertrauen in meine Techniker und lasse sie arbeiten.» Er werde dann wohl ein Bier für die Nachtarbeit spendieren.
Techniker sind die «ärmsten Hunde» in diesem Geschäft. Mässig bis miserabel bezahlt (nur die allerbesten kassieren hohe Saläre) und wenn es nicht läuft, arbeiten sie an einem GP-Wochenende zwei Nächte durch. So wie jetzt Tom Lüthis tüchtige Mannschaft.
Hat er schon einmal eine so dramatische Situation erlebt? «Nein, dieser Wechsel von Schwarz und Weiss hatte ich noch nie.» Nicht einmal während der missglückten MotoGP-Saison 2018? (kein WM-Punkte). «Doch. Damals war alles schwarz …». Ironie der Geschichte: 2018 hat er seine einzige MotoGP-Saison in Katar mit einem …18. Platz im Training begonnen (16. im Rennen).
Kein anderer Sport hat eine so reiche Ausredenkultur wie der Motorsport. Könnte es sein, dass nicht die Technik das Problem ist? Sondern der Fahrer?
Diese Frage stellt sich immer. Die Antwort ist in diesem Falle ausnahmsweise klar: es muss die Technik sein. Tom Lüthi mag Katar. Auf dieser Strecke ist er bei den letzten sechs Rennen in der Moto2-Klasse jedes Mal aufs Podest gefahren. Seine Moto2-Katar-Bilanz (in Klammer Trainingsklassierung).
Am Fahrer kann es also nicht liegen. Es ist die Technik. Sein Team ist nicht in der Lage, die Maschine abzustimmen. Dabei ist es die genau gleiche Crew wie letzte Saison.
Gibt es ein Problem mit dem Team? «Nein» sagt Tom Lüthi. Die Zusammenarbeit sei tipptopp. «Auch hier funktioniert alles gut. Das Problem ist einfach, dass das Motorrad nicht auf die Änderungen reagiert. Wir können das Problem nicht lösen.»
Alle haben die gleichen Motoren und Reifen, einen freien Markt gibt es nur bei den Fahrwerken und auch da gibt es keine Ausrede: Tom Lüthi fährt auf Kalex – wie alle drei Piloten (Joe Roberts, Luca Marini, Enea Bastianini) in der ersten Reihe.
Technische Probleme sind bei einheitlichem Material besonders schwierig zu lösen. Weil es um Details geht.
Der Teufel steckt im Drama um Tom Lüthi im besten Wortsinn im Detail.