Donnerstagnachmittag, 5. August 2021 in Spielberg (Zeltweg) kurz nach 16.20 Uhr sagt Valentino Rossi an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz:
Fast auf den Tag genau vor 25 Jahren hatte der damals 17-jährige Valentino Rossi am 4. August 1996 am gleichen Ort als Dritter des 125er-Rennens seinen ersten von 235 Podestplätzen herausgefahren. 2009 hat er seinen letzten Titel geholt, 2017 seinen letzten Sieg.
Statistisch ist Valentino Rossi nicht der Grösste. Giacomo Agostini gewann 15 WM-Titel und 122 GP, Valentino Rossi siegte «nur» 115-mal und feierte 9 Titel.
Die Statistik sagt wenig aus, wie stark Valentino Rossi die Welt des Motorradrennsportes verändert. Das macht ihn zum grössten aller Zeiten. Nur wenigen Stars gelingt es, ihren Sport zu verändern.
In der Ausstrahlung ist er vergleichbar mit der Rolle von Roger Federer im Tennis. Auch er übt seinen Sport mit einer «göttlichen» Leichtigkeit aus und verwandelt Anstrengung in Eleganz. Ein «Pilot de Charme».
Aber so wie Roger Federer der «Grand Slam» nicht gelingt, so bleibt auch Valentino Rossi der ganz grosse Traum verwehrt: Er kann auf Ducati nicht Weltmeister werden. Ja, er gewinnt in den zwei Jahren auf der italienischen Kultmarke nicht ein einziges Rennen (2011, 2012).
Der Motorrad-Rennsport (GP-Zirkus), den es in dieser Form seit 1949 gibt, kommt nie ganz aus der Ecke des Abenteuerlichen heraus. Es ist immer eine Welt, die nach Benzin, Oel und verbranntem Gummi riecht.
Eine Welt für Aussenseiter und nie mit der globalen Akzeptanz von Fussball oder Tennis oder dem olympischen Sport insgesamt. Und auch nie mit dem Glamour der Formel 1.
Erst Valentino Rossi beschert den Asphalt-Cowboys zu Beginn dieses Jahrhunderts die weltweite gesellschaftliche Anerkennung. Weil er es wie keiner vor ihm – nicht einmal Barry Sheen – versteht, Fahrkunst, Mut und Todesverachtung mit Intelligenz, Schlagfertigkeit und Eleganz zu kombinieren.
Oder um es etwas polemisch zu formulieren: Er ist der intelligenteste Mann, der je eine Höllenmaschine gesattelt hat.
Und doch kommt auch er nicht ungeschoren davon. Am 5. Juni 2010 erwischt es ihn beim Training zum GP von Italien in Mugello. Durch einen Sturz zieht er sich einen komplizierten Beinbruch zu. Er ist bereits 31 und muss erst jetzt zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere ein Rennen auslassen. Dieser erste und einzige gravierende Unfall des scheinbar «Unzerstörbaren» versetzt Italien in einen Schockzustand.
Es ist ein Wendepunkt in seiner Karriere: Er gewinnt von nun an nie mehr einen WM-Titel. Und bleibt doch der mit Abstand charismatischste Pilot, dessen Verehrung zeitweise religiöse Züge annimmt. Eines der Rituale: Zum GP in Misano pilgern seine Anhänger von seinem nahe gelegenen Wohnort Tavullia zum Renngelände und nach dem letzten Rennen stürmen sie die Strecke.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist er auf der Piste unschlagbar und darüber hinaus ein Entertainer, der seine Rivalen auch verbal und mit allerlei Schabernack in die Enge treibt. Unvergessen, wie er einst seinen Rivalen Max Biaggi verhöhnt. Der hat angeblich ein Verhältnis mit Supermodel Naomi Campbell, was ihm natürlich Bewunderung einträgt. Also nimmt Valentino Rossi eine Sexpuppe während einer Auslaufrunde auf seine Maschine. Mit der Aufschrift «Claudia Schiffer».
Seine Startnummer 46 macht er zum Markenartikel und er wird zum bestbezahlten und bestvermarkteten Piloten der Geschichte. Er verdient in seinen besten Jahren gut als 30 Millionen Franken im Jahr – zwei Drittel davon Werbeeinnahmen.
Valentino Rossi wird auch nach seinem Rücktritt eine der charismatischsten Persönlichkeiten im GP-Zirkus bleiben.