MV Agusta ist eine mythische Marke. Giacomo Agostini wurde in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren auf dieser Marke mit den magischen Farben silber-rot der erfolgreichste Töffpilot aller Zeiten – seine Rekorde hat auch Valentino Rossi nicht gebrochen.
In den 1980er-Jahren wurde die Produktion eingestellt. Erst wurde die Marke von Claudio und Gianfranco Castiglione 1992 gekauft, 2008 an Harley Davidson für 70 Millionen Dollar verkauft und schliesslich 2010 für einen symbolischen Dollar wieder erworben. Inzwischen führt Claudios Sohn Giovanni Castiglione die Firma.
Mit dem russischen Oligarchen Timur Sardarov hat er einen Investor gefunden und den Mythos MV Agusta wiederbelebt. Die Italiener füllen eine Marktnische für exklusive Boliden (ähnlich wie Ferrari im Autobusiness) mit einer exklusiven auf rund 10'000 Einheiten pro Jahr beschränkten Produktion. Das Werk ist in Varese domiziliert und bietet rund 200 Arbeitsplätze.
Zum neuen, dynamischen Image gehört ein Engagement im Rennsport auf höchstem Niveau. Nächste Saison steigt MV Agusta über das Forward-Team in die Moto2-WM ein und die Maschinen werden, natürlich, in den legendären Farben silber-rot lackiert. Giovanni Castiglione hat den besten Töff-Manager und Dealmacher mit der Suche nach zwei Piloten beauftragt: den Italiener Carlo Pernat.
Carlo Pernat kennt das Fahrerlager wie sein Wohnzimmer – und so kennt er eben auch Tom Lüthi. Er sagt: «Wir brauchen einen Routinier, der weiss, wie man Rennen gewinnt und eine Maschine entwickelt und einen zweiten, wilden jungen Piloten. Wir werden einen talentierten Italiener unter Vertrag nehmen und sind sehr an Tom Lüthi interessiert.
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— Speedweek (@SpeedweekMag) 24. Mai 2018
Carlo Pernat wird in der Sache konkret. «Wir bieten einen Zweijahresvertrag und ein Salär von rund 300'000 Euro.» Es sei auch denkbar, dass Tom Lüthi seinen Techniker Gilles Bigott mit ins Team bringe.
Die Geschichte ist interessant. MV Agusta hat ja seit den 1970er-Jahren keine GP-Rennerfahrung mehr und muss das Wissen einkaufen. Der Motor ist nicht das Problem: Alle Moto2-Maschinen werden ab nächster Saison von den Dreizylinder-Einheitsmotoren von Triumph ausgerüstet – die Dreizylinder-Philosophie passt perfekt zu MV Agusta.
Einen freien Markt gibt es – wie bisher – nur bei den Fahrwerken und die sollen im ersten Jahr vom helvetischen Spezialisten Eskil Suter geliefert werden. Mit seiner Firma Suter Racing Technology baut er seit Jahren Fahrwerke für verschiedene Klassen. Auch für die Moto2-WM. Auf einer Suter ist Marc Marquez Moto2-Weltmeister geworden (2012) und 2010, 2011 und 2012 gewann Suter die Konstrukteuren-WM in der zweitwichtigsten Töff-WM. Carlo Pernat bestätigt: «Zu 80 Prozent ist klar, dass wir die Fahrwerke mit Eskil Suter entwickeln werden. Das Ziel ist natürlich, dass wir dann so schnell wie möglich dazu in der Lage sind, selber Fahrwerke zu bauen.»
Ordnen wird die Dinge: Eine italienische Kultmarke (MV Agusta) steigt 2019 neu ins GP-Business ein (Moto2), arbeitet im technischen Bereich mit einem Schweizer zusammen (Eskil Suter) und möchte einen der beiden Höllen-Maschinen mit einem Schweizer bemannen (Tom Lüthi).
Carlo Pernat sagt, Tom Lüthi sei die erste Wahl. Wenn es nicht gelinge, ihn zu verpflichten, dann sei Mika Kallio ein Kandidat – der Finne hat 2005 den Kampf um den 125er-WM-Titel gegen Tom Lüthi verloren und arbeitet zurzeit als Testpilot für den österreichischen Kraftradhersteller KTM.
Und was sagt Tom Lüthi zu dieser Geschichte? Natürlich bekräftigt er hier in Assen erst einmal, dass er sich ganz auf die Gegenwart konzentriere und dass die Zukunftsplanung die Sache seines Managers Daniel M. Epp sei und dass er wenn immer möglich eine zweite Saison in der MotoGP-Klasse fahren möchte. «Aber MV Agusta ist eine interessante Option.» Er werde sie mit Daniel M. Epp prüfen.
Das Interesse von MV Agusta zeigt zweierlei: Erstens den guten Ruf, den Tom Lüthi im internationalen Töffgeschäft geniesst. Daran ändert auch die schwierige Gegenwart (noch keine WM-Punkte in der ersten MotoGP-Saison) nichts. Zweitens: Carlo Pernat kennt den «Fahrer-Markt» wie kaum ein anderer. Dass er an Tom Lüthi denkt, zeigt auch, dass er dessen Chance auf eine zweite MotoGP-Saison nicht sehr hoch einschätzt.