Die Schweiz und das Mountainbike – das passt. Man wusste das schon vor den Olympischen Spielen von Tokio, regelmässig fuhren und fahren Athletinnen und Athleten an Grossanlässen und im Weltcup grosse Siege ein und schaffen es aufs Podest. Und doch durften selbst kühnste Optimisten nicht damit rechnen, was dem Frauenteam am historischen 27. Juli 2021 gelang: Ein Dreifach-Sieg im olympischen Cross-Country-Rennen. Zählt man die Silbermedaille von Mathias Flückiger hinzu, hat das Schweizer Team in Japan vier der sechs Medaillen gehamstert.
Aus dem Nichts kam der Sweep durch Jolanda Neff, Sina Frei und Linda Indergand nicht. Die Klasse der neuen Olympiasiegerin Neff, die schon Welt- und Europameisterin war, ist seit Jahren bekannt. Und Frei und Indergand gelang es, am berühmt-berüchtigten Tag X die vielleicht besten Leistungen ihrer Karrieren abzurufen. Dazu kam, dass die Schweizerinnen im Gegensatz zu einigen Konkurrenten kein Materialpech zu beklagen hatten.
Und es kam vor allem auch hinzu, dass die Schweiz über eine akribisch arbeitende Equipe neben der Strecke verfügt. Alle drei Medaillengewinnerinnen hoben diesen Fakt in den Interviews hervor. «Die Teamleistung zeigt, dass wir in der Vorbereitung alles richtig gemacht haben», bilanzierte Neff im SRF.
Die St.Gallerin schilderte, wie viel Arbeit die Verantwortlichen von Swiss Cycling und die Fahrerinnen und Fahrer in den letzten Jahren ins Techniktraining investiert hätten. Gerade bei den Sprüngen war es augenscheinlich, wie viel besser als die meisten Gegnerinnen die Schweizerinnen diese beherrschten. Seit langem betont der Nationalcoach Edi Telser die Wichtigkeit des Techniktrainings – nun hat sich dieses ausgezahlt.
Bronzemedaillengewinnerin Indergand sagte: «Unser Techniktrainer gab uns bei der Besichtigung vor dem Rennen die nötige Ruhe.» Er machte den Fahrerinnen klar, dass sie auch bei schwierigen Bedingungen stark sind.
Im Gegensatz zum Männer-Rennen am Vortag hatte sich die Unterlage nach Regenfällen deutlich verändert. «Wir hatten heute Morgen eine Stunde Zeit, um uns auf diese Verhältnisse anzupassen», so Neff. «Dass uns das so gut gelungen ist, hat den Unterschied ausgemacht.»
Thomas Frischknecht hatte 1996 bei der Olympia-Premiere der Sportart mit Silber die erste Schweizer Medaille gewonnen. Nun sagte er als SRF-Experte in Tokio: «Was mich heute am meisten freut, ist der Teamspirit, den hat man gesehen. Ich spreche nicht nur von den drei Fahrerinnen, sondern auch von allen rundherum. ‹Es hät giiget› und daraus können grosse Resultate entstehen.»
Neff, Frei und Indergand sei darüber hinaus entgegen gekommen, dass sie nicht zu den Topfavoritinnen gezählt hatten. «Die Französinnen sind an den eigenen Erwartungen gescheitert», so Frischknecht.
Drei Medaillen in einem Rennen – und es müssen nicht die letzten olympischen des Trios gewesen sein. Neff und Indergand sind 28 Jahre alt, Frei ist erst 24. Im Sommer 2024 bei den Spielen in Paris können sie alle noch einmal dabei sein und auch Los Angeles 2028 dürfte zumindest für Frei ein Thema sein.
Der Sweep im Mountainbike-Park in Izu dürfte jedoch dafür sorgen, dass die Konkurrenz im eigenen Land nicht kleiner wird. Schliesslich gibt es viele Talente, die den Etablierten das Leben schwer machen wollen. «Bei den Rennen in der Schweiz startet der Nachwuchs an den gleichen Events wie die Olympia-Medaillengewinner. Das gibt diesem Sport eine gewisse Nähe», sagt Frischknecht, der getrost als «Mister Mountainbike» bezeichnet werden darf. «Da gibt es dann viele junge Sportler, die den ‹Grossen› nacheifern und auch einmal an Olympische Spiele wollen.»
Zugpferd Nummer 1 war in den letzten Jahren Nino Schurter, der 2008 (Bronze), 2012 (Silber) und 2016 (Gold) einen kompletten Olympia-Medaillensatz und dazu zahlreiche WM-Titel errungen hatte. In Japan wurde er gestern Vierter und jubelte heute vor Ort mit seinen weiblichen Teamkolleginnen.
Auch diese Nachwuchsförderung gilt als wichtiger Grund für die anhaltenden Erfolge der Schweizer Mountainbiker. Hinzu kommt die starke Konkurrenz im eigenen Lager: Wer sich zuhause durchsetzt, der weiss: Wenn das gelingt, dann muss man sich auch auf Weltniveau vor niemandem fürchten.