Über 20 Fahrzeuge – Kastenwagen und Motorräder – rollen mit Blaulicht über die Avenue der Champs-Élysées in Paris. Sie transportieren Polizisten und Soldaten, alle schwer bewaffnet. Sie sichern nicht etwa Emmanuel Macron oder ein anderes Staatsoberhaupt, sondern einen Bus mit Athleten. So sehen die Olympischen Spiele 2024 für die Sportlerinnen aus Israel aus.
Frankreich ist sowohl Heimat der grössten jüdischen Gemeinde Europas und der drittgrössten jüdischen Bevölkerungsgruppe weltweit (440'000 Menschen) als auch von 4,5 Millionen Muslimen. Nirgendwo in Europa leben mehr Moslems als im Land des Olympia-Gastgebers. Im letzten Jahr haben sich antisemitische Vorfälle in Frankreich vervierfacht. Die Angst vor einem Terroranschlag wie 1972 in München ist hier allgegenwärtig.
Schon im Vorfeld hatten arabische Staaten und Palästina den Ausschluss Israels gefordert. Die Begründung: Wie Russland in der Ukraine begehe das Land im Gaza-Streifen einen Genozid. Das Internationale Olympische Komitee IOC hatte dafür kein Gehör. An einem Anlass im Maison Suisse sagte der Präsident Thomas Bach in einer Rede: «Wir alle wissen, dass es Kräfte gibt, die uns spalten wollen. Aber wir werden ihnen hier in Paris die Botschaft vermitteln, dass sie damit keinen Erfolg haben werden.»
Wunschdenken, wie die zahlreichen Vorfälle zeigen. Es beginnt bei der Eröffnungsfeier auf der Seine, wo der Fahnenträger Palästinas, Wasim Abusal, ein weisses Hemd trägt, auf dem Kampfjets aufgestickt sind, die Bomben auf ein Fussball spielendes Kind abwerfen. Der Boxer will das als «Botschaft des Friedens» verstanden haben. Oder ist es eine Provokation?
Danach sagte Abusal, sein Hemd zeige, wie es im Gaza-Streifen aussehe. «Das sind Kinder, die den Märtyrertod sterben. Deren Eltern sterben und die ohne Nahrung und Wasser im Elend zurückgelassen werden.»
Nach der Eröffnungsfeier wurden die Landesfahnen gehisst. Der Irak, im Alphabet ein Nachbar, forderte beim IOC, die Flagge mit dem Davidstern zu verschieben oder zu entfernen, damit die eigene nicht daneben weht.
Bald schon greifen die Animositäten auf den Sport über. Als der Judoka Tohar Butbul am Montag zu seinem Kampf antreten will, fehlt sein Gegner, der Algerier Messaoud Dris. Angeblich, weil er beim Wägen vom Sonntag 73,4 Kilogramm auf die Waage gebracht hat und damit 400 Gramm über dem Limit gewesen sei. Aber wohl viel mehr, weil sein Land Israel nicht anerkennt und ihm in Algerien Repressionen gedroht hätten. Schon 2021 in Tokio war ein Algerier nicht gegen Butbul angetreten und hatte das ohne Umschweife mit seiner Unterstützung für Palästina begründet. Fethi Nourine wurde daraufhin vom Judo-Weltverband für zehn Jahre gesperrt.
Butbul sagte am Montag, er habe kämpfen wollen: «Wir sind Sportler und wollen uns messen. Er und die muslimischen Athleten sind Opfer. Er hat wie ich hart gearbeitet, um bei den Olympischen Spielen dabei zu sein.»
Wobei das noch einer der harmloseren Vorfälle war. Die gravierendsten ereigneten sich, noch bevor das olympische Feuer entzündet worden war. Drei israelische Athleten erhielten anonyme Morddrohungen. Frankreichs Innenminister Gérard Darmanin hat eine Untersuchung eingeleitet. Beim am Mittwoch vor der Eröffnung ausgetragenen Spiel der Fussballer gegen Mali gab es Buhrufe und Pfiffe, als die israelische Hymne abgespielt wurde.
Drinnen schwenkten Zuschauer palästinensische Fahnen und skandierten «Heil Hitler» in Richtung der israelischen Anhänger, denen blanker Hass entgegenschlug. Draussen gab es Proteste. Hunderte Polizistinnen und mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten sicherten das Stadion.
Der 7. Oktober wirkt nach. Es ist der Tag, an dem Terroristen der Hamas 1193 Menschen in Israel getötet und 250 als Geiseln nach Gaza verschleppt haben, von denen heute noch rund 110 dort sein sollen – tot oder lebendig.
Opfer sind auch Sportler in Gaza. Unter den 38'000 Menschen, die bei der israelischen Offensive bisher ums Leben gekommen sein sollen, befänden sich über 400 palästinensische Sportler, Trainer und Betreuer, sagt Susan Shalabi, die Vizepräsidentin des Fussballverbands. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht. Aus Gaza sind keine Sportler in Paris.
Feindseligkeit schlägt Israels Sportlern aber auch aus der französischen Bevölkerung und Politik entgegen. Thomas Portes, ein Abgeordneter der linkspopulistischen Partei La France insoumise (Unbeugsames Frankreich), sagte, dass er die Gäste aus Israel ausdrücklich nicht willkommen heisse.
Portes spricht damit aus, was in Paris spürbar ist: eine anti-israelische Stimmung. Sichtbar wird diese durch Flaggen und Plakate auf Balkonen und Schmierereien an Fassaden. Sie sollen Solidarität mit Palästina zum Ausdruck bringen. Auch auf der Strasse zeigt sich diese Spaltung. Jüngst kam es auf der Place de la République zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus, die umgehend von Gegendemonstranten gestört wurde.
Tohar Butbul, der Judoka, dessen Gegner den Kampf verweigerte, sagt: «Ich hoffe, dass wir eines Tages Frieden haben im Nahen Osten. Dass wir uns auf der Matte messen und uns danach die Hand reichen können.»
Bei den Olympischen Spielen in Paris ist das nicht der Fall. Hier werden die 88 Athletinnen und Athleten geduldet, aber willkommen sind sie nicht.
Vielleicht kann mich ja mal jemand von den Haus internen Skeptikern updaten.