» Das Livetracking von der Partie
Historische Momente sind manchmal enttäuschend banal. Gut möglich, dass wir heute anlässlich der 2. Runde des olympischen Tennisturniers Zeugen eines geschichtsträchtigen Momentes werden, dessen Rahmen aufgrund des eindrücklichen Palmarès der Protagonisten eigentlich zu trivial erscheint. Im olympischen Tennisturnier trifft Rafael Nadal auf Novak Djokovic – und am Ort, an dem der Spanier seine grössten Erfolge feiern durfte, liegt ein Abschied in der Luft.
Dass die Karriere eines des grössten Tennisspieler der Geschichte in Paris enden könnte, hat durchaus eine gewisse Symbolkraft – denn Roland Garros ist für den Olympiasieger von 2008 ein «Genius Loci», ein Ort, an dem für ihn so oft alles zusammengepasst hat, ein Ort, an dem er 14 seiner 22 Grand-Slam-Titel gewonnen hat. Paris und Nadal – das ist Liebe.
Djokovics Beziehung zu Roland Garros ist komplizierter. Lange tat er sich auf dem Court im Herzen Frankreichs schwer, erst 2016, acht Jahre nach seinem ersten Grand-Slam-Sieg, holte er seinen ersten Titel am French Open. Djokovic und Paris, das ist keine Liebe im klassischen Sinne, eher eine Hassliebe. Denn ausgerechnet Paris, wo der Serbe bisher «nur» drei Titel feiern konnte, ist auch der Ort, an dem er im letzten Jahr mit seinem 23. Grand-Slam-Titel Rafael Nadal an der Spitze der Liste der Spieler mit den meisten Major-Titeln ablöste.
Paris, 2006: 20-year-old Nadal faces 19-year-old Djokovic for the very first time
— Tennis TV (@TennisTV) July 28, 2024
Paris, 2024: Back in the same city, 38-year-old Nadal faces 37-year-old Djokovic for a 60th time
Timeless. pic.twitter.com/WCoFhW8ubd
Die Gründe, weshalb das heutige Spiel im Roland Garros ein Spezielles ist, sind fast alle in der Vergangenheit zu verorten, denn die Ausgangslage vor dem heutigen Aufeinandertreffen, das wohl das letzte dieses ganz besonderen Duells sein dürfte, ist eigentlich so klar wie lange nicht mehr. Die beiden alternden Genies, die bereits neunmal in einem Major-Final aufeinandertrafen, stehen sich an Olympia bereits in der 2. Runde gegenüber – und zwar nicht zur Primetime, sondern an einem ziemlich gewöhnlichen Montagnachmittag.
Eine ungewöhnliche Situation, meint auch Rafael Nadal: «Es ist immer etwas ganz Besonderes, gegen Novak zu spielen. Der Unterschied ist, dass wir normalerweise um das Finale oder Halbfinale spielen, dies ist die 2. Runde», sagte der Spanier, als klar wurde, mit wem er es zu tun bekommen wird. Novak Djokovic freut sich trotzdem auf das Duell mit einem seiner grössten Rivalen: «Gegen ihn zu spielen ist wie ein Finale in jedem Turnier, und besonders hier, wenn man weiss, was er erreicht und was er für unseren Sport getan hat, besonders hier in Roland Garros. Es wird möglicherweise das letzte Mal sein, dass wir uns auf einer grossen Bühne gegenüberstehen.»
Als Rafael Nadal vor 18 (!) Jahren zum ersten Mal gegen den aufstrebenden Djokovic spielte, der damals noch die Nummer 63 der Welt war, befand sich der Spanier bereits auf dem Weg zu seinem zweiten French-Open-Titel. Djokovic musste die Partie damals wegen Rückenproblemen aufgeben. Heute ist die Ausgangslage eine andere. Der 38-jährige Nadal verbrachte die letzten zwei Jahre damit, seinen von Verletzungen geschundenen Körper irgendwie am Laufen zu halten. Djokovic stand Anfang Juli im Wimbledon-Final, wo er gegen Carlos Alcaraz, den neuen spanischen Tenniskönig, verlor, und hält sich auf der Weltrangliste nach wie vor an Position zwei.
Nadal selbst sagte vor der Partie, dass er in den letzten Jahren «nicht sehr konkurrenzfähig» gewesen sei. Doch der Erstrundensieg gegen Marton Fucsovics stimmte den Spanier zuversichtlicher: «Ich habe eine Zeit lang gutes Tennis gespielt», sagte er, nur um sofort wieder zu relativieren: «Ich konnte dieses Niveau aber nicht lange genug aufrechterhalten».
Doch auch an Djokovics Körper gehen die Jahre intensiver Beanspruchung nicht spurlos vorbei. Der 37-Jährige musste bei den French Open im Juni aufgrund eines Meniskusrisses im rechten Knie aufgeben und operiert werden. Der sonst so siegessichere Serbe steht in der aktuellen Saison noch ohne Titel da und scheint in letzter Zeit auch neben dem Platz diverse Kämpfe zu führen. In Paris dürften die Sympathien des Publikums klar verteilt sein: Gegen den «König von Paris» hat Djokovic in dieser Hinsicht einen schweren Stand.
Heute Nachmittag (ca. 13.30 Uhr) kommt es im Roland Garros also zum Gipfeltreffen zwischen zwei Spielern, die ihre aus sportlicher Sicht besten Zeiten hinter sich haben. Zum 60. Mal trifft Rafael Nadal auf Novak Djokovic. Wie ausgeglichen die Kräfteverhältnisse in der Vergangenheit jeweils waren, zeigt die Bilanz: 29 Partien konnte Nadal für sich entscheiden, 30 Mal lachte am Schluss Djokovic.
Rafael Nadal hat seinen Rücktritt zwar noch nicht offiziell bekanntgegeben, doch scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis er die ganz grosse Bühne verlässt. Nun spielt er an seinem Herzensort gegen Djokovic, an dessen Seite er gemeinsam mit Roger Federer eine Tennis-Ära geprägt hat. Und man muss sich unweigerlich fragen, ob es für Nadal, sollte er gegen Djokovic verlieren, denn einen besseren Ort für eine Wachablösung gäbe. Sollte dies tatsächlich eintreten, könnte Nadal im Doppel mit seinem Landsmann Carlos Alcaraz die Bühne an der Seite jenes Mannes verlassen, der auserkoren scheint, in seine Fussstapfen zu treten.