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Olympia 2024

Fall Khelif: Wieso die IBA kein Mitspracherecht hat

Dieser von Skandalen geprägte Weltverband fordert Olympia-Ausschluss von Boxerin Khelif

Seit Tagen ist die International Boxing Association (IBA) in den Schlagzeilen, weil sie Gerüchte um angeblich männliche Boxerinnen an den Olympischen Spielen schürt. Während sie Regeleinhaltungen fordert, nimmt sie diese bereits seit Jahrzehnten nicht ernst.
06.08.2024, 18:0406.08.2024, 19:30
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An der Pressekonferenz am Montag goss der Box-Weltverband rund um die Debatte von Imane Khelif und Lin Yu-ting noch mehr Öl ins Feuer. Sie hätten wissenschaftliche Tests, die zeigen, dass die beiden männlich seien, behauptete IBA-Präsident Umar Kremlew. Dann wetterte er gegen den Präsidenten des Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, und verkündete:

«Ich bin nur hier, um das Chaos zu beseitigen.»

Angesichts der turbulenten Geschichte der IBA eine ironisch anmutende Aussage. Eine Übersicht.

Wer ist die IBA?

Bei der International Boxing Association (IBA) handelt es sich um den ehemaligen Weltverband des olympischen Boxsports mit Sitz in Lausanne. Bis 2023 war der Verband vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Vertretung des Boxsports anerkannt. Unter anderem organisierte er die alle zwei Jahre stattfindenden Amateur-Boxweltmeisterschaften der Männer und Frauen. Zudem legte er die international gültigen Regelwerke des olympischen Boxens fest und bildete Kampfrichter für internationale Wettbewerbe aus.

Auf der offiziellen Webseite heisst es:

«Die Vision der IBA für den Boxsport umfasst auch den Geist und die Werte der olympischen Bewegung und hält sich an diese. Mit diesen Werten gewährleistet die IBA ein Höchstmass an transparenten Standards, auch für alle unsere globalen Wettbewerbe, Ranglisten, Kampfrichterwesen und die Vergütung der Boxer.»

Doch wie ein Blick auf die Geschichte der IBA zeigt, sind ihre Standards gar nicht so «transparent», wie sie versuchen Glauben zu machen.

Jahrzehntelange Misswirtschaft

Gegründet wurde der Verband 1946 als Nachfolgeorganisation der FIBA (Fédération Internationale de Boxe Amateur) und hiess damals noch AIBA (Assocation Internationale de Boxe Amatuere).

1986 wurde der Pakistaner Anwar Chowdhry zum vierten Präsident des Verbandes gewählt. 20 Jahre lang stand er an dessen Spitze und revolutionierte während seiner Präsidentschaft ein computergestütztes Punktesystem, das bis 2013 in Gebrauch war. Er sorgte allerdings nicht nur für positive Schlagzeilen: Immer wieder geriet er wegen seiner Finanzen unter Beschuss.

Prof. Dr. Anwar Chowdhry (Pakistan) - Präsident des Internationalen Amateurboxverbandes AIBA - PUBLICATIONxNOTxINxRUS Boxen Herren Weltcup 2005, Welt Cup, Worldcup, World, WC, Boxsport, Amateurboxspor ...
Anwar Chowdhrys Finanzen sorgten während seiner Präsidentschaft für Diskussionen.Bild: imago / chernykh

Der ehemalige AIBA-Präsident soll im Jahr 2006 350'000 Dollar von seinem Schweizer Bankkonto abgehoben haben. Eine hohe Summe für einen pensionierten Mann, der über eine Non-Profit-Organisation präsidiert. Die Diskussion hatte Konsequenzen – noch im selben Jahr wurde Chowdhry abgewählt.

An Chowdhrys Stelle trat der Taiwanese Wu Ching-kuo. Eine Verbesserung führte dieser allerdings nicht herbei. Auch gegen ihn wurden schwerwiegende Vorwürfe wegen finanzieller Misswirtschaft und Unregelmässigkeiten in der Buchführung erhoben. Unter ihm drohte der AIBA der Bankrott, nachdem diverse Investoren die sofortige Rückzahlung an Darlehen und Investitionen in Millionenhöhe gefordert hatten. Geld, dass die AIBA nicht besass.

India: AIBA President Dr Ching Kuo-Wu Addresses A Press Conference NEW DELHI, INDIA - MARCH 1: International Boxing Association (AIBA) President Dr Ching Kuo-Wu during a press conference about the new ...
Ching-kuo brachte die AIBA weiter in Verruf.Bild: www.imago-images.de

Um zu verhindern, dass er weiterhin Kontrolle über die AIBA hatte, wurde 2017 ein Interimsmanagementkomitee eingesetzt.

Ein hochrangiges Mitglied der Organisation sagte damals gegenüber dem Guardian:

«Die Mehrheit des Exekutivkomitees hat einfach genug, und wir müssen korrigieren, was falsch gelaufen ist. Es ist nicht etwas, das über Nacht passiert ist. Das geht schon seit Langem so, und jetzt reicht es. Es sind grössere Veränderungen erforderlich, und es wird noch mehr kommen. Es ist eine schlechte Führung, und es ist so ziemlich eine Ein-Mann-Show mit ein paar Mitarbeitern geworden.»

Auch das IOC kritisierte die AIBA zu diesem Zeitpunkt schon seit Längerem und drohte mit dem Rückzug des Boxens als olympische Sportart, sollte keine Besserung eintreten. Die Probleme der AIBA lagen nicht bloss in der Überschuldung, sondern auch an immer wieder kritisierten Kampfrichterleistungen an Olympischen Spielen. Unter anderem sollen Kämpfe an den Olympischen Spielen in Rio 2016 manipuliert worden sein. Wie ein Bericht 2021 offiziell bestätigte, hätten die Ring- und Punktrichter am Morgen vor einem Kampftag jeweils gesagt bekommen, wer gewinnen solle.

Das IOC forderte die AIBA im Dezember 2017 dazu auf, bestimmte Schritte zur Besserung zu unternehmen und Dokumente offenzulegen. Doch wie der Abschlussbericht des IOC zeigt, kam es 2018 zu einem Hin und Her zwischen den beiden Institutionen. Das IOC warf der AIBA dabei immer wieder vor, nicht transparent zu sein. So etwa im Mai 2018:

«Die IOC-Exekutive kam jedoch zu dem Schluss, dass die wichtigsten Bedenken noch nicht ausgeräumt sind und weitere Informationen benötigt werden, insbesondere in den Bereichen Führung, Finanzen und Anti-Doping.»

2019: Die AIBA wird suspendiert

Mitten im noch laufenden Disput wurde im November 2018 der Usbeke Gafur Rachimow zum neuen Interimspräsidenten der AIBA ernannt. Für das IOC wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte: Der Usbeke soll gemäss US-Finanzministerium Schlüsselmitglied der kriminellen Organisation Brothers's Circle sein. Eine kriminelle Gruppe, die sich aus Führern und hochrangigen Mitgliedern mehrerer eurasischer krimineller Gruppen zusammensetzt.

NEW DELHI, INDIA NOVEMBER 14: AIBA President Gafur Rakhimov during an opening ceremony of Women Boxing World Championship WM Weltmeisterschaft at IGI stadium, on November 14, 2018 in New Delhi, India. ...
Gafur Rachimow.Bild: www.imago-images.de

Im Mai 2019 entschied sich das Komitee, die AIBA aufgrund der anhaltenden Mängel und unzureichenden Reformbemühungen zu suspendieren. Sie deutete jedoch an, den Verband nach den Olympischen Spielen in Tokyo 2020 wieder in den Kreis der olympischen Sportverbände aufzunehmen – sofern substanzielle Änderungen umgesetzt würden.

Im Juli 2019 trat Rahimov von seinem Posten als Präsident zurück und am 12. Dezember 2020 trat der Russe Umar Kremlew in dessen Fussstapfen.

Schnell schien der neue Mann eine Lösung für die finanziellen Probleme gefunden zu haben: Im April 2021 unterzeichnete AIBA eine Partnerschaft mit dem russischen Unternehmen Gazprom. Einen Monat später verkündete der Verband, dass er Schulden in Höhe von 10 Millionen Dollar zurückgezahlt habe. Das IOC äusserte Bedenken über diese Partnerschaft – umso mehr, nach dem Russland die Ukraine 2022 überfallen hatte.

FILE - The president of the International Boxing Association Umar Kremlev attends a conference in Paris, France, Nov. 16, 2023. The Court of Arbitration for Sport has upheld the IOC decision to remove ...
Umar Kremlew an einer Konferenz in Paris, 2023.Bild: keystone

Im Dezember 2021 wurde der Verband zwar offiziell in IBA (International Boxing Association) umbenannt, im Hintergrund änderte sich allerdings wenig. So sorgte etwa Kremlews Wiederwahl im Mai 2022 zu Diskussionen, nachdem sein einziger Konkurrent von der Wahl ausgeschlossen worden war. Und als die IBA im Winter 2022 die Partnerschaft mit Gazprom verlängerte, war die Geduld des IOC wieder am Ende.

Das Komitee drohte damit, den Boxsport unter der Führung der IBA bereits 2024 an den Olympischen Spielen in Paris aus dem Programm zu nehmen. Am 22. Juni 2023 wurde diese Drohung Realität. Zwar klagte die IBA beim Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne, blieb damit aber erfolglos. Der Boxwettkampf an den Olympischen Spielen in Paris wird daher unter der Führung des IOC durchgeführt.

Kremlew, der Gönner

Dass die IBA im Zuge der Diskussion um die Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu-ting scharf gegen das IOC schiesst, überrascht angesichts der ganzen Vorgeschichte nicht.

Kremlew versucht sich in der ganzen Debatte, als empathischer Gönner zu profilieren. Am 2. August liess er verlauten, dass die IBA der italienischen Boxerin Angela Carini, die den Kampf gegen Imane Khelif aufgegeben hatte, dasselbe IBA-Preisgeld zukommen lassen werde, wie wenn sie Olympiasiegerin geworden wäre.

In einer Mitteilung erklärt er:

«Ich konnte mir ihre Tränen nicht ansehen. Mir sind solche Situationen nicht gleichgültig, und ich kann versichern, dass wir jede Boxerin schützen werden. Ich verstehe nicht, warum sie das Frauenboxen abschaffen. Im Interesse der Sicherheit sollten nur berechtigte Sportlerinnen in den Ring steigen.»

An einer Pressekonferenz vom 5. August wiederholte die IBA ihre Behauptungen, wonach Imane Khelif und Lin Yu-ting männlich seien. Beweise oder Resultate von allfälligen Tests legte der Verband aber nach wie vor nicht offen. Dennoch forderte die IBA, dass die beiden Boxerinnen vom Wettbewerb ausgeschlossen werden sollten. Ihr Mitspracherecht und ihre Hoheit in der Regelauslegung hat die IBA mit dem Ausschluss von den Olympischen Spielen aber bereits vor zwei Monaten verloren.

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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Neruda
06.08.2024 19:21registriert September 2016
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Gasprom finanziert den Verband, also ist klar, dass der Kreml das letzte Wort hat. Diese Debatte gehört zum hybriden Krieg der Russen gegen uns. Und auch die Schweiz ist schon längst Kriegspartei, auch wenn dies viele, vor allem Rechte, wahrhaben wollen. Und wir waren es nicht, die ohne Kriegserklärung angegriffen haben!
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