Nach den Absagen von Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard scheint es auf dem Zeitfahr-Podest der Männer mehr Platz zu geben. «Falsch», sagt Stefan Bissegger. «Es muss so oder so alles zusammenpassen», ergänzt Stefan Küng.
2021 brach Nina Christen gleich am ersten Tag den Medaillenbann und brachte Schwung in die ganze Schweizer Olympia-Kampagne. 2024 hätte dies Marlen Reusser tun sollen – sie wäre, wenn es die Gesundheit zugelassen hätte, die Athletin mit der wohl grössten Chance auf eine Medaille der ganzen Delegation gewesen.
Nun liegt es an Stefan Küng oder Stefan Bissegger, Paris 2024 aus Schweizer Sicht zu lancieren. Beide formulieren die Medaille als Ziel, die Buchmacher verteilen die Top-3-Plätze allerdings deutlich auf Joshua Tarling, Filippo Ganna und Remco Evenepoel. Der Brite wurde im vergangenen Jahr mit 19 Jahren WM-Dritter, der Italiener ist viermal Weltmeister in der Einzelverfolgung auf der Bahn und zweimal Weltmeister im Einzelzeitfahren auf der Strasse, und der Dritte der Tour de France aus Belgien kann einfach alles und trägt derzeit das Regenbogen-Trikot im Zeitfahren.
Von den beiden Thurgauern wirkt Bissegger beim Medientreff in Paris zuversichtlicher, angriffiger. «Die Strecke ist super für mich. Es gibt nur noch wenige solche Zeitfahren», hält er fest. Der 25-Jährige, in Tokio 2021 Mitglied des Bahnvierers, findet unmittelbar nach der Trainingsrunde auf dem 32,4 km langen Parcours sichtlich Gefallen an der Aufgabe: «Wenige schwierige Kurven, kaum Anstiege, so wie ich es gerne habe.»
«Pogacar und Vingegaard können sich während den Rundfahrten zwischen den Etappen besser erholen als andere. Deshalb sind sie dort vorne», meint Bissegger. Zudem benachteilige das oft hügelige Profil während einer Tour die klassischen Zeitfahrer. «Aber hier werden die Karten neu gemischt», betont der Europameister von München 2022. «Flach. Und alle sind gut erholt.» Zehn Fahrer kämen fürs Podest infrage.
Küng habe, so erwähnt Bissegger, gegen Pogacar auf einem solchen Kurs noch nie verloren, sofern beide ausgeruht angetreten seien. Der Angesprochene kann den Steilpass nur bedingt annehmen. Der 30-jährige Küng hadert mit gesundheitlichen Problemen, die ihm vor der Tour de Suisse (Bronchitis samt Fieber) und nun mit dem vorzeitigen Ausstieg aus der Tour de France zu schaffen gemacht hatten.
«Vor sieben Tagen hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, ich könnte mit Vollgas durch Paris fahren», sagt er. «Jetzt fühle ich mich aber recht frisch.» Das klingt nicht so wirklich überzeugend, zumal Küng auch noch meint: «Ich brauchte die Tage nach der Tour, um gesund zu werden. Ich hoffe, ich habe es hinter mir. Es ist so, wie es ist. Ich mache das Beste daraus. Meine Stärken sind auch die Routine und die Gelassenheit.»
Im ersten Zeitfahren an der Tour de France lag Küng vor seinem Kollegen, obwohl er technische Probleme bekundete, die Kette sprang nicht vom grossen auf den kleinen Kranz. «Das kann hier nicht passieren, hier fahre ich nur mit einem Kettenblatt», hält Küng fest.
Der Olympia-Vierte von Tokio will nicht mehr gross auf die Spiele von Japan eingehen, wo er Bronze um bloss vier Zehntelsekunden verpasste. «Es geht in unserem Sport schnell weiter, gleich steht das nächste Rennen an». Deshalb sinne er hier nicht auf Teufel komm raus nach Revanche. «Ich weiss einfach, dass wenn alles zusammen passt, ich hier wieder die Chance auf eine Medaille kriege.» (ram/sda)