Wenn am Sonntagnachmittag Nottingham und Tottenham aufeinandertreffen, könnte Remo Freuler zu seinem Premier-League-Debüt kommen. Nachdem er am letzten Wochenende in Everton erstmals im Kader gestanden war, spielte er in der ersten Runde des Ligacups in Grimsby bereits über die volle Spielzeit für seinen neuen Klub.
Freuler ist einer von 16 Neuzugängen in Nottingham. 148 Millionen Euro liess sich der Aufsteiger diese gemäss «Transfermarkt» kosten. Weltweit hat demnach nur Chelsea ein grösseres Transferminus in diesem Sommer. Nottingham Forest investierte mehr Geld als Barcelona, Bayern oder finanzstarke Klubs wie Manchester City und Paris Saint-Germain. Doch wie kann das sein? Woher nimmt ein Aufsteiger das Geld, um plötzlich mehr einzukaufen als Europas Elite?
Die Antwort ist vielschichtig. Einerseits spielen natürlich die deutlich höheren Einnahmen aus Fernsehgeldern eine Rolle. Hier kann Nottingham mit mindestens rund 120 Millionen Euro rechnen. So viel bekam der Tabellenletzte Norwich in der vergangenen Saison gemäss «Planet Football». In der zweithöchsten Liga gibt es nur einstellige Millionensummen. Die Gewinne steigen durch den Aufstieg also deutlich, doch das alleine deckt die Transferausgaben und gestiegenen Löhne nicht.
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— Nottingham Forest FC (@NFFC) August 26, 2022
Hier kommt Evangelos Marinakis ins Spiel. Der Grieche ist der Besitzer des Klubs. Dem Reeder gehören neben Nottingham Forest auch eine Mehrheit der Anteile an Olympiakos Piräus. «Er war bisher sehr grosszügig», sagt Kieran Maguire in seinem Podcast «Price of Football». Maguire ist Experte für Finanzen im Fussball. Nottingham habe bereits in der zweiten Liga regelmässig Verluste gemacht, die Marinakis stets gedeckt habe.
So schrieb auch der Vorstandsvorsitzende Nicholas Randall vor dem ersten Premier-League-Spiel seit 1999 an die Fans: «Marinakis ist ein vorbildlicher Besitzer und hat uns immer mit den nötigen Ressourcen ausgestattet.» Aufgrund der Regeln zum Financial Fair Play (FFP) darf aber auch der Besitzer nicht Unsummen an Verlusten decken. Über drei Jahre gesehen, dürfen Premier-League-Klubs gemäss der «Nottingham Post» knapp 125 Millionen Euro Verlust machen. Diese Summe übersteigt Nottingham alleine schon mit den Transferausgaben aus dieser Saison.
Der englische Meister von 1977/78 kalkuliert also mit Verlusten. Die Transferausgaben können aber amortisiert werden. Bei Rekordeinkauf Morgan Gibbs-White beispielsweise kann die Ablösesumme von 50 Millionen Euro über die fünf Jahre Vertragslaufzeit verteilt werden, wodurch jährlich «nur» 10 Millionen Euro Verlust geschrieben werden müssen. So stellt das FFP noch kein Problem dar.
Zumal ein Grossteil der Neuzugänge unter 25 Jahre alt ist und eine Wertsteigerung erwartet werden kann. Vor allem, wenn die Spieler gute Leistungen zeigen und sich auf dem höchsten Niveau präsentieren können. In diesem Fall könnten die Spieler später auch teurer verkauft werden. Doch Nottingham geht ein grosses Risiko ein. Denn was, wenn die Spieler nicht den Erwartungen entsprechen?
Sollte der Klub wieder absteigen, werden die hohen Ausgaben zum Problem, weil die erlaubten Verluste in der Championship deutlich tiefer sind. Dies erlebte zuletzt Derby County, dem wegen finanzieller Probleme die Insolvenz drohte und dann 21 Punkte abgezogen wurden, wodurch der Verein in die dritte Liga abgestiegen ist. Zwar gibt es sogenannte «Parachute Payments» (Fallschirmzahlungen), welche den grossen Unterschied in den Einnahmen von Absteigern im Vergleich zur Premier League abfedern sollen. Jedoch sind auch diese beschränkt.
Nur was bleibt dem Aufsteiger anderes übrig? Die Erfahrung zeigt: Nur wer investiert, kann auch in der Premier League bestehen. Zu gross ist der Unterschied zwischen Championship und dem Oberhaus. Das musste zuletzt zweimal in Folge Norwich City erfahren. Die «Canaries» pflügten in den Saisons 2018/19 und 20/21 durch die zweite Liga und wurden problemlos Erster, nur um im jeweiligen Folgejahr sang- und klanglos als Letzter wieder abzusteigen. Die Ausgaben blieben jeweils überschaubar.
Anders als bei Leeds United, dem nach dem Aufstieg mit dem 9. Platz eine Überraschung gelang. Leeds bezahlte über 100 Millionen Euro für neue Spieler. So wie jetzt Nottingham. Und trotzdem ist Forest in der Marktwerttabelle mit 200 Millionen Euro auf dem drittletzten Platz, nur vor den anderen Aufsteigern Fulham (197 Mio.) und Bournemouth (160 Mio.). Zum nächstwertvollsten Team aus Brighton fehlen über 50 Millionen Euro an Marktwert.
Es ist klar ersichtlich: Die Schere geht nicht nur zwischen der Premier League und den restlichen europäischen Ligen immer weiter auf, sondern auch zwischen den oberen beiden englischen Ligen. Deshalb wird es für Aufsteiger immer schwieriger, sich festzusetzen und nicht zur Fahrstuhlmannschaft zu verkommen, wie es Norwich oder auch Fulham in den letzten Jahren war.
Aus diesen Gründen investierte das Team von Trainer Steve Cooper in Spieler wie Freuler, Gibbs-Wright oder auch Taiwo Awoniyi und Moussa Niakhaté. Dazu kommt der ablösefreie Jesse Lingard, der einen Einjahresvertrag für rund 7 Millionen Euro unterschrieben hat. Es ist der Preis, den ein Verein bezahlen muss, um in der Premier League konkurrenzfähig zu sein. Und so bleibt es für die «Reds» nur zu hoffen, dass sich das Risiko ausbezahlt macht. Nach drei Spieltagen steht der Klub mit vier Punkten im Mittelfeld der Tabelle.