Das Ziel ist die erste olympische Medaille seit 1948 in St.Moritz (Bronze). Auf der Fahrt zu diesem grossen Ziel sind die Schweizer vom Weg abgekommen: drei Niederlagen hintereinander. Zwei ehrenvolle (0:1 gegen Russland, 1:2 nach Penaltys gegen Tschechien) und nun im letzten Gruppenspiel eine blamable gegen Dänemark (3:5).
Die Partie gegen die Dänen enthält alles: das erste Tor in diesem Turnier bei fünf gegen fünf (zum 1:0), ein Eigentor von Lukas Frick, der erste Gegentreffer in Unterzahl, viel zu viele Disziplinlosigkeiten und defensive Aussetzer («Pausenplatz-Verteidigung») plus ein Nationaltrainer, der mit den Schiedsrichtern hadert und das auf der Bank während des Spiels auch lautstark kundtut. Patrick Fischer beeilt sich zwar, pflichtbewusst zu sagen, die Schiedsrichter seien sicherlich für die Niederlage nicht verantwortlich. Aber er ist es, der die Schiedsrichterleistung ins Spiel bringt.
Warum dieser missglückte Auftritt? Auf den ersten Blick können wir sagen: Die vielen Umstellungen haben das Spiel aus der Balance gebracht. Denis Malgin kehrt ins Team zurück und Patrick Fischer hat gleich alle vier Linien umgestellt. Er begründet es so: «Wir hatten bis zu dieser Partie kein Tor bei fünf gegen fünf erzielt, da mussten wir neue Linien zusammenstellen.»
Doch der zentrale Grund ist nicht in taktischen Massnahmen zu suchen. Es ist etwas anderes: Die Schweizer haben die Dänen unterschätzt. Das verneinen die Spieler vehement. Reto Berra sagt: «Nein, wir haben den Gegner nicht unterschätzt. Es war eher so, dass wir zu viel wollten.» Seine Aussage ist stellvertretend für andere.
Tatsächlich war es nicht so, dass die Schweizer überheblich oder gar arrogant waren. Aber sie sind mental aus der Balance geraten. Den Kopf hatten sie im Medaillenhimmel: Das grosse Ziel ist das Edelmetall. Patrick Fischer hat das so oft gesagt, dass es eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Das ist richtig so. Wer grosse Ziele erreichen will, muss lernen, gross zu denken.
Und dann kippt das Spiel gegen Dänemark kurz nach der ersten Pause. Aus einem 1:0 wird in 21 Sekunden ein 1:2. Gegen Dänemark! Damit hat keiner gerechnet. Wer eine olympische Medaille will, kann doch nicht gegen Dänemark stolpern. Die Frustration über die unverhoffte Wende zum Schlechten führt zu Frustration, zu Disziplinlosigkeiten, zu Strafen, zu defensiven Fehlern, zur Niederlage.
Die Frage ist, ob sich nun die Dämonen des Zweifels in die Kabine einnisten. Patrick Fischer ist sicher, dass das nicht der Fall sein wird. Er sagt, die Reaktion der Mannschaft im letzten Drittel habe ihm gefallen. In der Tat: Seine Spieler geben nicht auf und sie erzwingen den Anschlusstreffer zum 3:4, als ihr Coach den Torhüter durch einen sechsten Feldspieler ersetzt hat. Die Schweizer gehen schliesslich mit fliegenden Fahnen unter.
Immerhin hat Patrick Fischer auch eine Antwort auf die wichtigste Frage gefunden: Mit Reto Berra oder Leonardo Genoni in den Achtelfinal? Die Frage – oder es ist mehr eine Feststellung – geht also an den Nationaltrainer: Das Gute an der Niederlage ist, dass Sie nun wenigstens wissen, wer im Achtelfinal im Tor stehen wird. Leonardo Genoni. Oder? «Denken Sie? Das Gute an unserer Situation ist, dass wir auch nach drei Niederlagen unser Ziel noch erreichen können.»
Patrick Fischer hat bisher in den Partien, die gewonnen werden mussten, Leonardo Genoni eingesetzt (sofern der Zuger Meistergoalie im Aufgebot war): Bei der Silber-WM 2018, bei der WM 2019 und 2021. Wenn er nun Reto Berra bringt, dann ist es ein Akt der Verzweiflung.
Wer der Gegner sein wird, steht erst nach Abschluss der Gruppenspiele am Sonntagabend fest. Durchaus möglich, dass die Schweiz im Achtelfinal erneut gegen Dänemark antreten muss. «Lieber nicht», sagt Dänemarks Nationaltrainer Heinz Ehlers. Er freut sich über den Sieg – es ist ein grosser Sieg – aber er ist eben auch Realist: «Die Schweiz hat sehr gut gespielt. Es hat uns sehr geholfen, dass wir mit zwei schnellen Toren nach der ersten Pause das Momentum auf unsere Seite bringen konnten.» Der grosse Taktiker ahnt, ja, er weiss: Ein solcher Doppelschlag wird seiner Mannschaft gegen die Schweizer nicht noch einmal gelingen.
Die Schweizer sind bei weitem gut genug, um das Achtelfinal zu überstehen. Unabhängig davon, wer der Gegner sein wird.
Ob sie es schaffen, ist nicht eine Frage des Talentes, des Tempos, der Kraft oder der Taktik. Es ist eine Frage des Kopfes. Eine Frage der Balance zwischen künstlichem und echtem Selbstvertrauen. Den Kopf haben die Schweizer im Medaillenhimmel. Aber mit den Füssen stehen sie nun im Keller der Tabelle.
Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn Patrick Fischer und seine Spieler wieder auf die Erde zurückkehren, den Kopf nicht mehr im Medaillen-Himmel, sondern beim Achtelfinalspiel haben, dann ist noch alles möglich.
Sie sind nur drei Siege von einer Medaille entfernt. Es ist, wie es ist: Eine Medaille ist so nah – und doch so ferne.
Und alle Jahre, alle Turniere wieder, kriegens die Schweizer nicht gebacken ein minimum an mentaler Stärke aufs Eis zu bringen. An was liegts?