Gerechter Fussball? Was der VAR verspricht, ist gar nicht erstrebenswert
Es ist langsam müssig, über Fehler des VAR zu diskutieren. Zu eruieren, was denn angepasst werden müsste, damit das Konzept des Videobeweises im Fussball funktionieren könnte. Oder abzuwägen, ob die Verringerung von Fehlentscheiden den Verlust von Emotionen beim Torjubel wert ist. Schliesslich wird dies schon seit vielen Jahren getan. In der Schweiz und in den grossen Ligen kennt man den Videoschiedsrichter seit sechs oder mehr Jahren.
Und doch ist das Konzept noch nicht ausgereift, gibt es immer noch viel zu viele Fehler – wie zuletzt am Mittwochabend im Spitzenspiel zwischen dem FC Basel und YB. Nicht einmal eine noch so stark getönte Fanbrille kann da verdecken, dass der Penalty, der zum 2:1 für den FCB führte, nicht gerechtfertigt war. Xherdan Shaqiri stand klar im Abseits. Man kann es den Bernern nicht verübeln, dass sie diese Szene als spielentscheidend ansehen und glauben, die Partie wäre anders verlaufen, hätte Videoassistent Urs Schnyder dies erkannt.
Es war ein menschlicher Fehler, der nichts mit dem Konzept des VAR an sich zu tun hat. Doch solange Menschen vor den Bildschirmen stehen oder sitzen, wird es eben immer solche Fehler geben. Die absolute Gerechtigkeit, die ein solcher Videobeweis vorgaukelt, ist nicht zu erreichen. Womit wir wieder bei der müssigen Diskussion über Sinn- oder Unsinnhaftigkeit des Videoassistenten angelangt wären.
Dabei sollte vielmehr die Frage gestellt werden, ob das Ziel des VAR – ein gerechter Fussball – überhaupt erstrebenswert ist.
Gehört es denn nicht eben zum Sport, dass nicht immer alles fair ist? Würde es den Fussball nicht viel zu steril machen, sollte es keine Fehlentscheide mehr geben und würde immer alles zu 100 Prozent gerecht sein? Worüber würden Fans denn nach Spielen noch diskutieren? Weshalb der abkippende Sechser vor dem entscheidenden Gegentor den Halbraumstürmer nicht in Manndeckung genommen habe, sondern in der Zonenverteidigung geblieben sei?
Das mag in Expertenrunden ja spannend sein, aber interessiert es Peter und Samuel aus Block C4 wirklich, was der jeweils andere dazu meint? Wohl kaum. Zumal diese Debatte wohl mit deutlich weniger Emotionen geführt wird als jene, ob der Schiedsrichter in der 89. Minute zu Recht auf den Penaltypunkt gezeigt hatte. Und um eine Floskel zu Hilfe zu nehmen: Emotionen machen den Sport doch aus. Deshalb pilgern Wochenende für Wochenende Millionen von Menschen in die Stadien dieser Welt.
Zudem gehört es doch auch zur Identität vieler Fangruppen, sich gerne als Opfer des Systems zu sehen. «Immer ist der Schiedsrichter gegen uns», heisst es dann. Oder: «Wäre es fair, wären wir viel erfolgreicher.» Auch das hat seinen Reiz, denn dank solcher Fehlentscheide können Fussballfans sich ihre eigenen Szenarien ausmalen.
Als halber Deutscher bin ich noch heute sicher, dass Deutschland im letzten Jahr Europameister geworden wäre, hätte dieser blöde Schiedsrichter nur das zu 100 Prozent absichtliche Handspiel vom Spanier Marc Cucurella als solches erkannt. FCSG-Fans können noch heute behaupten, dass sie 2000/01 doch eigentlich gleich noch einmal Meister geworden wären, wäre das Foul von GC-Stürmer Stéphane Chapuisat abgepfiffen worden. Dann hätte St.Gallen nämlich bestimmt nicht 0:4 verloren.
Nur durch Fehlentscheide entstehen solche Geschichten, weil sie eben Eventualitäten offen lassen. Vielleicht hätte Deutschland den fälligen Penalty ja auch vergeben oder wäre dann halt im Halbfinal gegen Frankreich ausgeschieden. Und St.Gallen hätte möglicherweise einfach 0:3 statt 0:4 verloren. Wir wissen es schlicht nicht – und deshalb können wir Fans mit voller Überzeugung behaupten, dass alles anders gekommen wäre, wäre der Schiedsrichter nicht blind.
Das gäbe es in einem vollständig gerechten Sport eben nicht mehr. Sollte der VAR sein Ziel also erreichen, würde er uns noch deutlich mehr Emotionen klauen.
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